Engelshaar Weihnachten 1944

Wunderbar behütet lagen wir im großen Familienbett. In der Mitte unsre Mutti, Klaus, mein um vieles älterer Bruder links und ich der Kleine, mal gerade 6 Jahre geworden, den meine Mutti zärtlich Möpsel nannte (obwohl ich bedingt durch das wenige Essen, das es in der Zeit gab, eher dürr war) rechts in ihren Armen. Und wie so oft erzählte sie uns eine der vielen wunderbaren, selbst erfundenen Geschichten oder Märchen.
Heute war es eine ganz besondere Geschichte.
Es war der Abend vor dem 24. Dezember und es handelte sich um einen Mann, der in englischer Gefangenschaft war und so gerne an Weihnachten bei seiner Familie gewesen wäre. Es war eine traurige Geschichte und wie so oft fing mein Bruder, der ja immerhin 20 Monate älter war, an zu weinen (er hatte halt nah am Wasser gebaut). Und wie so oft erfuhr ich nicht wie die Geschichte zu Ende ging, weil Mutti diese Heulsuse trösten musste. Ich war mal wieder böse auf ihn, aber er tat mir auch immer ein wenig leid, weil er so herzzerreißend schluchzen konnte.
Mit diesem Zwiespalt schlief ich meist ein. So auch in dieser Nacht.
Am Morgen sind wir besonders früh aufgewacht und waren voller Erwartung und Vorfreude und konnten den Abend kaum erwarten. Es schneite, alles war verzuckert und wir verbrachten eine Menge Zeit des Tages damit, Schneeflocken mit dem Mund einzufangen und warfen mit anderen Kindern Schneebälle. Aber irgendwie war alles friedlicher und leiser als sonst. Man merkte allen diese seltsame Spannung an, die Weihnachten auf ganz besondere Weise erzeugt, ganz besonders bei Kindern.

Ich kann mich noch genau erinnern wie lange es ging, bis es endlich draußen duster wurde.
Aufgeregt versuchten wir die letzte Stunde mit allem Möglichen zu überbrücken. Warten auf das Christkind, im wahrsten Sinn des Wortes.
Endlich ein leiser, silberner Glockenklang und Mutti ging mit uns zur Wohnzimmertür. Noch heute weiß ich nicht wer damals das Glöcklein betätigt hat, vermute aber, dass es die über uns wohnende Frau vor dem Glasabschluss war. Wir Kinder bemerkten ja nicht woher es kam, wichtig war nur: Das Glöckchen gab endlich die lang ersehnten Töne von sich.

Mutti machte die Tür auf und schob uns vor sich her ins Zimmer.
Da stand er: Wunderschön geschmückt mit roten und silbernen Kugeln und Lametta. Dazwischen saßen silbrig glitzernde Vögel mit weißen Schwänzen. Überall hingen selbst gebackene Süßigkeiten und ganz oben auf der Spitze war ein großer goldener Stern, der auf uns hernieder schaute.
Das Schönste aber war: Der ganze Baum mit all seinem Schmuck war überzogen mit Engelshaar und es sah aus, als wäre zu jeder der brennenden Kerzen eine nach innen zu den Kerzen hingehende Höhlung, die dem allem noch einen viel schöneren Glanz verlieh. Staunend und mit großen Augen sahen wir das Wunder an. Ich wusste genau: das Christkind war da.


Wie immer standen wir drei vor dem Christbaum und sangen verzaubert die schönsten Weihnachtslieder die wir kannten und für mich dabei (auch noch heute) das schönste (außer Stille Nacht)
Vom Himmel stieg hernieder, das holde Christkindlein.
Es tönen jubelnd Lieder und süße Melodein.
Da klingts auf Erden weit und breit
und jubelt immerzu
O Weihnachtszeit, o Märchenzeit
wie schön wie schön bist du.“

Abends im Bett fragte ich meinen so viel älteren und klügeren Bruder wieso denn das Engelshaar nicht verbrannte.
Er sagte nur:“Möpsel ( was ja eigentlich nur meine Mutti sagen durfte, aber heute ließ ich es ihm mal durchgehen. Es war ja Weihnachten .
Also! Möpsel sagte er nur: „Es ist Engelshaar.“


Es war 1944 das vorvorletzte Weihnachtsfest meiner Kinder- und Jugendzeit, in dem ich mich so richtig glücklich und geborgen fühlte.
Und noch heute, nach so vielen Jahren, wenn ich einen Weihnachtsbaum aufstelle, denke ich dankbar an jene Zeit und den wunderschönen Christbaum mit dem Engelshaar, das sogar den Flammen der Kerzen widerstehen konnte.

.
 


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Kommentare (24)

solamente

lieber Hade,
auch nach Weihnachten ist die Geschichte wunderschön !
Danke :) 💖

lireli Christine

protes

auch den herzlesspendern sage ich danke
und freue mich, dass ihen mein engelshaar 👴
gefallen hat
liebe grüße hade

HeCaro

Lieber Hade,
das ist eine so Herz berührende Geschichte von einem kleinen Jungen
der mit großen Augen dem Bruder lauscht und  an das Christkind und
Engel glaubt.
In unserer Jugend war die Weihnachtszeit wirklich noch eine Zeit der
Geheimnisse und der Wunder.

Danke, dass Du Deine so schöne Erinnerung mit uns geteilt hast.

Ich wünsche Dir eine frohe Weihnachtszeit
und sende Dir herzliche Grüße.
 Carola  


 

protes

@HeCaro  
liebe Caro
eigentlich hast du mich mit deiner geschichte angeregt
das engelshaar nochmals einzubringen.

Spätestens wenn ich den weihnachstbaum kaufe
wird die erinnerung an diese ( trotz all dem irrsin drumherum)
schöne zeit zu dritt wieder geweckt.

auch dir eine schöne vorweihnacht
und liebe grüße hade

 

Tulpenbluete13

Lieber Hade

Ja je älter wir werden um so wertvoller sind unsere Erinnerungen- und je öfter denken wir daran.
Wie schön, wenn man dann eine so "engelsgeiche " Erinnerung hat....

Ich kannte die Geschichte noch nicht, lieber Hade, aber ich habe sie gern gelesen und ich fand sie sehr berührend..

Danke fürs Einstellen
lieben Gruß
Angelika

protes

@Tulpenbluete13  

Ich war sicher liebe Angelika,
dass ich sie vor vielen jahren mal eingestellt hatte,
da aber im blog nicht nach abc sortiert ist
ist der aufwand es zu prüfen einfach zu zeitraubend
und wie ich sehe hab ich damit recht getan.
liebe grüße hade
 

Syrdal


Lieber hade, was für ein unbezahlbarer Schatz ist uns doch gegeben mit diesen zutiefst in uns liegenden Erinnerungen an die allerschönsten Weihnachten, die man nur in der frühen Kindheit so innig, wie du es in stimmungsvoller Weise erzählt hast, erleben kann. Und wenn man deine wunderbare Erzählung liest, taucht man unwillkürlich ein in die einst selbst so erlebten „ersten Weihnachten“ mit dem unvergesslichen Staunen, den Lichtern, dem Lametta, den Liedern, dem Bratapfelduft und den Pfefferkuchen…

Sehr herzlich dankt dir für diesen vorweihnachtlichen Stimmungsgenuss
Syrdal
 

protes

@Syrdal  
lieber Syrdal
ja was wären wir ohne unsere gespeicherten werte
und wie gut, dass sie immer mal wieder geweckt werden
ich freue mich und schicke dir liebe grüße
hade

nnamttor44

Ja, Engelshaar und Lametta, das so manches Jahr nach der Verwendung am Tannenbaum gebügelt wieder eingepackt wurde, daran erinnere ich mich auch, lieber Hade. Aber ich war 1944 erst ein halbes Jahr alt. Meine Erinnerung setzt so 1951 ein.

Foto 82 Omas prüfender Blick, ob ihre Enkelinnen auch alle zufrieden sind 1951.jpg

Unsere große war immer ganz versessen darauf, möglichst all die Zuckerkringel, die auch den Baum schmückten, zu essen. Eine von uns las dann vor der Bescherung die Weihnachtsgeschichte vor und ich musste die Weihnachtslieder, die ich die ganze Adventszeit über zu üben hatte, mit Vaters Geigenbegleitung auf dem Klavier spielen. Ich kann bis heute die Texte der Weihnachtslieder nicht ...

Eine schöne Erinnerung hast Du uns aufgeschrieben. Danke sagt

Uschi

protes

@nnamttor44  

weihnachten mit musik ist natürlich schön
aber wenigstens mitsingen hättest du dann schon sollen lach
 oder liebe Uschi
 hattest du so viel freude am klavier, dass
du dich auf jeden ton konzentrieren musstest
 dann weiß ich wieso du die texte nicht kennst.
immerhin bvleibt es dir heute erspart
hoffe ich
 das klavier an weihnachten
ein lächelnder gruß hade
 

Rosi65

Lieber Hade,

bei Deiner kleinen Geschichte denke ich auch gerne an die Weihnachtszeiten meiner Kindheit zurück. Vor allem, wenn man sie, wie Du, mit viel Liebe und Geborgenheit in der Familie erlebt hat.

Gemeinsam besuchten wir immer, natürlich vor dem Essen und der Bescherung, den Weihnachtsgottesdienst in unserer Gemeinde. Das war immer sehr feierlich, wenn man unter Glockengeläute und in der besten Sonntagskleidung, die Kirche betrat. Wir Kinder bestaunten dann mit großen glänzenden Augen den geschmückten Riesentannenbaum, der vorne neben dem Altar stand. 

Einmal bekam ich zu Weihnachten endlich meine heiß ersehnten Rollschuhe geschenkt, auf die ich bestimmt schon "gefühlte 10 Jahre" gewartet hatte. Es waren Hudoras, sogar schon mit Gummirollen
(Ich sehe den Karton noch vor mir). Ich war darüber so glücklich, dass ich sie gar nicht mehr ausziehen wollte, sogar als ich ins Bett gehen musste.😂 😂😄
So schöne Erlebnisse vergisst man zum Glück nie.

Herzliche Grüße
  Rosi65

protes

@Rosi65  
liebe Rosi,
dankbar zu sein über die guten erinnerungen
und sich auch noch darüber freuebn können
ist ganz schön wichtig. gut, dass wir es können

herzliche grüße hade

lillii

An eine schöne Erinnerung hast Du uns teilhaben lassen,ich sehe sie direkt vor mir.
Aus dem kleinen Möpsel ist ja nun ein großer..., nein 😂 ich schreibe es nicht aus, geworden, der aber immer noch sehr wissbegierig ist und sicherlich jetzt  weiß, wie das mit Engelshaaren und allem so ist.
Ich wünsche eine schöne Adventszeit und ein schönes Fest unter einem mit Engelshaar geschmückten Baum, damit die Erinnerung noch mal aufgefrischt wird.

herzliche Grüße
Luzie

protes

@lillii  
nein liebe Luzie,
 das waren damals für kleine kinder kleine Bäume

inzwischen sind die bäume gewachsen
 und selbst wenn es dieses engelshaar noch gäbe
ich wollte es nicht über den baum ziehen müssen.

aber. inzwischen sieht der weihnachtsbaum
etwas anders aus

aber trotzdem in der erinnerung
die von damals waren die aller aller schönsten

liebe grüße schicke ich dir hade

Muscari


Wunderschön, lieber Hade,

ich konnte so richtig dabei sein. Auch an dieses Engelshaar erinnere ich mich gut.
Obwohl es am Heiligabend 1944 bei uns ganz anders aussah, erinnere ich mich an einen solchen Weihnachtsabend bei meiner Tante.

Aber erst mit unseren kleinen Kindern, in den sechziger und siebziger Jahren, haben wir einen Heiligabend in ähnlicher Form regelrecht zelebriert.
Ja, und damit dann das nachgeholt, was uns in unserer Kindheit versagt geblieben war.

Ich danke Dir für diese schöne Erinnerung und grüße Dich herzlich.
Andrea

protes

@Muscari  
liebe Andrea

das gute an all dem was so geschehen ist
sind die lichtblicke aus dieser zeit
und die weiter entwicklung
ohne weitere kriegserlebnisse
in unserem land
liebe grüße hade

Pan

Ach Hade, ich denke bei Deinem Text an 1944 und das weckt
gute Gedanken in mir! Aber das muss wohl so sein, nicht wahr?
Es überdeckt damit all die scheusslichen Erlebnisse, die danach folgten ...
Es grüßt Dich
Horst

protes

@Pan  ja lieber Horst,
 nicht nur die danach auch die davor
haben sich tief in mich eigebrannt
brennende, eingestürzte häuser
ind denen menschen starben
die jabos mit ihrem ganz besonderen ton
und das ratatatata
udn auch die bomben.
und doch gab es die schönen erlebnisse
die unsere mutter uns beiden buben machte
auch wenn wir meist hunger hatten
einen nachdenklichen gruß
hade

indeed

Lieber Hade,

eine sehr schöne Erinnerung, die du dir im Herzen aufbewahrst hast. Schön erzählt. Ich habe sie sehr gern gelesen. !944 da war ich gerade ein halbes Jahr alt zu Weihnachten. . .

Aber das Glöckchen ertönte auch bei uns und wir wurden vorher gebadet und mussten dann erst einmal ein Stündchen Mittagsschlaf machen. . .  Schnellbälle werfen war auf jeden Fall absolut nicht drin, denn da wäre ich patschnass und wahrscheinlich auch schmutzig nach Hause gekommen. Schnee war ja nicht immer sauber, gelle? Nur wenn er frisch gefallen war . . und ich war als Kind nun einmal ein Dreckspatz. Das gute aber war, meine Mutter hat nie geschimpft. . . (ich übrigens schimpfte deshalb auch nie mit meinen Kindern, das wäre gemein gewesen), lach.

Eine schöne Zeit mit deinen Lieben wünsche ich dir und sei herzlich gegrüßt
Ingrid

protes

@indeed  
liebe Ingrid,
 ja es gibt dinge im leben die man nie vergisst
und das ist gut so, vor allem wenn die schönen
überwiegen
eine schöne adventrzeit
wünsche ich euch
hade

Manfred36

Wenn du ausdrucksstark deine Anekdoten erzählst, muss man sie einfach zu Ende lesen.

Wir hatten zu dieser Zeit einen Lametta-Christbaumschmuck. der auch nicht brannte. Es waren die Alu-Streifen, die die Alliierten Bomber massig oberhalb der Flak abwarfen, damit die Scheinwerfer sie nicht orten konnten.

protes

@Manfred36  
hallo Manfred,
 daran erinnere ich mich auch noch und jetzt erst habe ich erfahren
welchem zweck sie eigentlich dienten
dass daraus lametta gemacht wurde weiß ich vom nachbarn,
 der hat sie auch gesammelt die streigen und dann feinste streifen daraus gemacht
schöne vorweihnacht wünsch ich dir
hade

werderanerin

Eine schöne Geschichte, lieber Hade..., wenn man sie liest , hat man das Gefühl, dabei gewesen zu sein... 

Wenn ich an heutige Weihnachtsbäume denke, fällt mir vor allem die Vielfältigkeit auf.., Jeder macht es irgendwie "anders", Hauptsache ist aber doch, dass es schön ist.

Kristine    💥

protes

@werderanerin  
liebe Kristine,
genau so ist es jeder sollte es so halten
wie es für ihn  und in der familie für alle
das beste ist damit nicht erst darüber gestritten werden muss-
lachende grüße hade 




 


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