Es schlagen zwei Herzen in meiner Brust

Autor: ehemaliges Mitglied

Ich fragte mich öfter, wo gehöre ich wirklich hin, in die Großstadt, in der ich seit 51 Jahre lebe und in der meine Tochter geboren wurde, oder in die kleine, ländliche Stadt in der ich geboren, aufgewachsen bin, geheiratet habe und mein Sohn geboren wurde.

Als wir in die Großstadt zogen, da mein Mann nicht mehr den täglichen Stress des fahrens zu seinem Arbeitsplatz mitmachen wollte, ließ ich meine Mutter, Bruder und Familie, aber vor allen Dingen gewachsene Freundschaften und alles zurück, was mein Leben ausmachte. Aber da wir damals  nicht sonderlich gut oder schön wohnten und wir in der nähe des Arbeitsplatzes meines Ehemannes eine für damalige Verhältnisse schöne Wohnung bekamen, zogen  wir dahin und ich freute mich am Anfang auf ein neues Leben. Aber das Leben dort wurde für mich zur Qual, es war eine Ansammlung von Reihenhäuser am Stadtrand, ein Supermarkt, das wars, nicht einmal ein Spielplatz für meine Kinder war vorhanden, neue Freundschaften zu schließen, war fast nicht möglich, die Reihenhausbesitzer saßen in ihren Gärten oder Häusern. Ich war allein mit meinen 2 Kinder und versuchte soviel wie möglich mit meinen Kinder zu unternehmen, die Möglichkeiten waren gering, alles was wir brauchten oder unternehmen wollten, war in den nächsten Ortschaften inkl.Spielplätzen oder Schwimmbad. Ich hatte Heimweh, ich fühlte mich wie ein Fisch im trockenen, ich dachte daran, wie ich früher mit meinem  kleinen Sohn auf dem Fahrrad in den nahen Wald fuhr,  mich mit Freundinnen und ihren Kindern im Park traf oder wir einfach nur am Spielplatz  Zeit verbrachten und er im Sandkasten saß. Am Wochenende fuhren wir oft in die alte Heimat, aber es waren Besuche, mehr war und konnte es nicht sein.

Nach 4 Jahren bekam mein Mann einen anderen Arbeitsplatz und der Arbeitgeber stellte uns eine Wohnung und wir zogen um. Da verschwand das Heimweh etwas, wir hatten alles in der Nähe was man brauchte, Spielplatz und viel grüne Flächen zum spielen für unsere Kinder und konnten ganz leicht in die Innenstadt fahren um Kleidung zu kaufen oder um zu bummeln. Aber die Kleinstadt mit ihren Gassen, den vielen Fachwerkhäuser und die alten Freunde vermisste ich immer.

Als ich älter wurde, alleine war und die Kinder längst erwachsen und eigene Familien hatten und vor allen Dingen, als ich dann in Rente ging und viel Zeit hatte, fuhr ich wieder regelmäßig in die alte Heimat, meine Mutter gab es nicht mehr,  ich besuchte auch selten alte Freunde, aber ich ging durch die kleinen engen Gassen, besuchte die Kirche in der ich immer mit meiner Mutter war, ich zündete eine Kerze für die Toten in unserer Famile an, setzte mich eine Weile und hörte in mein inneres, ich sah meine Mutter noch neben mir sitzen, ihre gewaltige Stimme hörte ich die  Kirchenlieder singen und meine älteren  Geschwister auf der Empore kichern. Im Sommer fuhr ich in den vertrauten Park, setzte mich ab und zu, durchquerte den Park mit den riesigen alten Bäumen, an dessen Ende die Felde begannen und man den Berg sieht, an dessen Hängen viele Obstbäumen wuchsen und wachsen, trank dazwischen einen Kaffee oder aß ein Eis, ging die alten vertrauten Wege, sah mich mit meinem Bruder bei der Kirschenernte im Kirschbaum sitzen und genoß Stille und frische Landluft, es war immer schön.

Irgendwann stand ich vor der Entscheidung in eine andere, kleinere Wohnung mit Aufzug zu ziehen und ich fragte mich, zieh ich wieder dort hin, wo ich mich immer wohl fühlte, durchdachte die Vor-und Nachteile, dann war mir klar,  ziehe ich zurück, dann würde das Gefühl umgekehrt sein, ich würde die Großstadt vermissen und vermutlich mehr dort Zeit verbringen, wo ich jetzt lebe.  Es ist mein Zuhause, meine Kinder und Enkel leben hier, es ist eben meine 2. Heimat geworden.



 


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Kommentare (11)

Meerjungfrau43

So ähnlich ging es mir auch, daher kann ich Vieles nachempfinden !
Die Wurzeln sind doch besonders wichtig für uns, da vermisst man in der Stadt Vieles...

Ich habe lange - zu lange - in der Stadt wohnen müssen, dabei 20 Jahre auf dem Dorf aufgewachsen, doch meine Kindheits-Erinnerungen waren nicht positiv, da ich ein Flüchtlingskind war und meine Mutter sich weigerte, dort heimisch zu werden. Sie war eben eine richtige Städterin.
Während mich später die Angst nicht losließ, ich könnte in dieser häßlichen und unfreundlichen Großstadt hängenbleiben...

Wir hatten Glück, mein Mann konnte wählen und ich auch, wir zogen in eine Kleinstadt in Norddeutschland, bauten später ein Haus auf dem Dorf (weil es dort viel billiger war).

Doch nur fünf Jahre durfte ich mich "Zu Hause" fühlen, dann wollte sich mein Mann trennen und ich zog zurück in die Kleinstadt, wo meine Arbeit war.

Und dann : 15 Jahre nach dem "Ruhestand" : wieder Trennung von meinem zweiten Mann (immerhin erst nach 20 Jahren), jetzt lebe ich allein im "Betreuten Wohnen" auf dem Land, mein Ort hat alles, was man braucht (Supermärkte, Fitnessstudio, Ärzte, Apotheke usw.), noch kann ich mit dem Auto in die nächste Kleinstadt fahren...
Und ich fühle mich wohl hier !
Habe einen Hund, kenne viele Leute, auch in der nächsten Kleinstadt, duze alle !

Jetzt bin ich hier zu Hause...wo meine Freunde sind... und Landleben ist richtig für mich !

JuergenS

Bei mir ist das Heimatgefühl diffuser als bei vielen.
Ich kenne mehrere Urlaubsgebiete, wo ich derartig starke Einfühlungsimpulse spürte, dass ich eigentlich über das mit der zweiten Heimat hinausgehen müsste.

Es gibt bei mir sicher mehrere Orte und Gebiete, für die ich "Heimatgefühle" habe, heutzutage frisch gehalten dadurch, dass man vieles live durch webcams allüberall zumindest beobachten und träumen kann, sozusagen.

      🗽    🚋

ehemaliges Mitglied

@JuergenS  gereisst bin ich auch viel und habe einige Zeit sogar in Thailand gelebt. Ich hätte überall da leben können, wo meine Bedürfnisse einigermaßen gestillt werden, aber die Kleinstadt, in der ich geboren und einen Teil meines Lebens verbracht habe, ist trotz aller Efahrungen einfach der Ort an dem es mich immer wieder hinzieht.

Aber ich glaube tatsächlich, dass die Menschen sehr unterschiedlich reagieren.

Rosenbusch

werderanerin

@Rosenbusch  ...

ich wollte nur noch kurz ergänzen, dass wohl wirklich jeder irgendwie etwas "anderes" mit dem Begriff "Heimat" verbindet/empfindet.

Das Thema hatten wir schon mal und auch da sind unterschiedliche Meinungen kundgetan worden. Aber das alles finde ich völlig o.k. - der Begriff "Heimat" mag vielleicht so eine Art Überbegriff sein..., drunter kommen sehr viele andere Begriffe, wie u.a. "Heimatgefühl" (siehe Juergen), Erinnerungen an "damals" vielleicht eben auch die Jugendzeit..., die einfach nur gut tun aber hin und wieder sind es auch Menschen, die man kannte und mit "Heimat" verbindet...und und und...

Kristine

ehemaliges Mitglied

@werderanerin   ich habe keine Ahnung ob das Thema Heimat hier schon einmal stattgefunden hat, so aktiv bin ich hier nicht gewesen, dass ich das alles weiss oder wissen muss. Aber ich schrieb, den Begriff Heimat verbindet jeder mit dem was es eben für ihn bedeutet und unsere Gefühle für wen oder was auch immer, bestimmen unser Leben.

JuergenS

@werderanerin  
sind ja alles nur Worte, Gefühle, Wehmut, Sehnsucht, etc. alles gut, es ist Philosophie, nicht mehr.😃

nnamttor44

Liebe Rosenbusch!
Ich habe gerade meinen wohl letzten Umzug meines Lebens hinter mir. Als Münsteranerin war mir diese Stadt lange meine Heimat, in der ich heranwuchs, wo ich fast jeden Winkel kannte. Aber zu dem Gefühl der Heimat gehört für mich auch das sich in der engsten eigenen Familie wohl zu fühlen. Meine eigene Familie war mir dafür wichtiger als die, in die ich hineingeboren wurde.

Das änderte sich, als meine Kinder beide aus ihrem familiären Nest geflüchtet waren. Nichts mehr von ihrem Leben wirklich mitzubekommen, stets darum kämpfen zu müssen, sie gelegentlich besuchen zu dürfen - entfremdet. Es fehlte etwas, das mir mein Zuhause zur Heimat machen konnte. Klar weiß man, hier wurde ein Kind geboren, hier wuchs es auf. Doch die Erinnerungen an nicht schöne Erlebnisse stehen als Störpunkte in der Erinnerung.

Vor 10 Jahren bin auch ich von meinem zweiten Zuhause, das nie wirklich meine Heimat war, geflüchtet, in die Stadt gezogen, wo meine Tochter schon Jahrzehnte lebt. Und dieses ihr Zuhause wurde jetzt ein Stück Heimat für mich. Ich fühle mich hier genauso zuhause, daheim, wie sie.

Es ist seltsam, wieviel es ausmacht, geliebte Menschen um sich zu haben, um sich wohl zu fühlen, sich zuhause zu fühlen, aber es tut gut!

Ich habe Deine Erzählung gerne gelesen. Danke dafür sagt
Uschi

Roxanna

Leider ist es so im Leben, liebe Rosenbusch, man kann nicht immer so, wie man will, vor allem wenn man Familie hat. Ich kann sehr gut verstehen, dass es dich immer wieder in deine Heimatstadt zieht, in der du aufgewachsen bist. Es sind die Gefühle, die Erinnerungen, die immer wieder zurückziehen, vor allem, wenn es schöne Erinnerungen sind. Vielleicht ist es auch die Geborgenheit, die man damals erlebt hat. Manche sagen, Heimat ist an keinen Ort gebunden, das stimmt, nach meiner Meinung nur bedingt. Ich selber habe, dadurch dass meine Eltern mit meinen Geschwistern aus Oberschlesien flüchten mussten und immer ihrer Heimat dort nachgetrauert haben, nie irgendwo wirklich Wurzeln geschlagen. Da, wo ich heute lebe, das ist mir schon ein Stück weit Heimat geworden, aber nicht so im eigentlichen Sinne. Es ist doch schön, dass du dein Heimatgefühl immer wieder genießen kannst und dann wieder dorthin zurückkehrst, wo du deine Familie hast. Dieses alte Wege gehen und sich erinnern ist etwas Schönes, aber vielleicht immer nur für eine bestimmte Zeit.

Deine Geschichte hat mich bewegt, danke fürs Erzählen und herzlichen Gruß

Brigitte

ehemaliges Mitglied

@Roxanna  
Ein Stück von mir wird immer in der alten Heimat bleiben, meine Geschwister sind in alle Winde verstreut, meine Eltern schon lange tot, aber in dieser kleinen ,ländlichen Stadt wo jeder jeden kennt, fühle ich mich noch immer wohl.

Im Prinzip ist die Rückkehr immer noch nicht ganz ausgeschlossen, da es dort inmitten des sehr großen Parkes eine gute Seniorenresidenz gibt und wenn ich im Sommer wieder meine Ausflüge dorthin machen kann, werde ich mich nach den Bedingungen und den Preisen erkundigen.ich sehe mich schon etwas länger nach Betreungseinrichtungen um (falls ich es einmal nötig habe), es gibt hier  wo ich lebe natürlich auch eine bekannte und gute Seniorenresidenz, aber ich tendiere eher dort hin. Irgendwann werde ich es wisssen. In dieser Seniorenresidenz im Park scheinen sich die Bewohner sehr wohl zu fühlen und ziehen aus allen möglichen Bundesländer dort hin, man kommt öfter einmal ins Gespräch, wenn man auf einer der vielen Bänke sitzt und sich Bewohner der Residenz dazu setzen und erzählen.
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Meine  Kinder und Enkel sind kein Hindernisgrund, die können die Stunde Fahrt dorthin genauso machen wie ich es viele Jahre für meine eigene Mutter getan hatte, um sie zu besuchen. Die gehen alle ihre eigenen Wege, ob ich da oder dort besucht werde, spielt letzlich keine Rolle.

Es gibt nie eine Antwort auf was ist Heimat, ich weiß, dass mein Vater als Besserabiendeutscher bis zu seinem Tod seiner Heimat nachtrauerte, Deutschland wurde es nie richtig.

Einen herzlichen Gruß auch an Dich und an alle, die meine Geschichte gelesen und kommentiert hatten.

werderanerin

Da hast du dir ja selbst die Frage nach "deiner" Heimat beatwortet, denke ich.
Für mich ist "Heimat" immer dort, wo ich sagen kann..."ich bin glücklich". Wenn dann mein Partner neben mir ist, Familie und meine Enkel in der Nähe sind, ist es wirklich "mein zu Hause = Heimat" !

Auch ich habe einen ganz großen Teil meines Lebens in Berlin verbracht, habe dort auch noch Familie aber es ist eben nicht mehr meine "Heimat"...es ist nur noch Berlin. Zurück käme für mich niemals mehr infrage.

Heimat kann überall sein !

Alles andere, in einem tief drin sind Erinnerungen, die uns alle ausmachen, wichtig sind, mehr aber auch nicht !


Kristine

ehemaliges Mitglied

@werderanerin  ist für Dich so und bestimmt  für viele andere, ganz so ist es bei mir nicht, zudem ich Witwe bin und meine alte Heimat immer noch viel besuche, nur Besuche reichen mir inzwischen, aber die brauche und genieße ich. Meine ältere Schwester wohnt zu weit weg und lebt schon viel länger in einer Großstadt und hat auch immer noch Sehnsucht nach der kleinen Stadt in der wie einen Teil unserer Kindheit und Jugend verbracht haben. Sie beneidet mich um meine Möglichkeiten immer wieder einmal die alte Heimat zu besuchen.Auch sie hatte, aber zusammen mit ihrem Mann schon darüber nachgedacht, ihr Alter dort zu verbringen, aber deren Familie ist inzwischen sehr groß und 200 Km fährt man nicht einmal in der Woche so eben.

Rosenbusch
 


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