»Es wird mal wieder Zeit!«


»Es wird mal wieder Zeit!«

 
 Dieser Satz wird mich bis in die Unendlichkeit begleiten, glaube ich. Damals war ich Fünf. Genauer gesagt: Fünf Jahre und 7 Tage alt!
Weißt Du, was man in diesem Alter denkt, welche Gedanken wie gelbe Blätter vor dem Wind davonfliegen? Dann bist du ein glücklicher Mensch. Es gibt eigentlich wenig, das damals in meinem jungen Leben solch große Kreise gezogen hat, wie diese Worte.
        Ist es denn schon so lange her? Mir kommt es heute vor, als stellte mein Vater immer noch ganz unwidersprochen fest: »Es wird mal wieder Zeit«.
Heiliger Strohsack - wo sind denn die 80 Jahre geblieben, die mich von jenem Tage trennten, als mein Vater diese Worte sagte, die ich von ganzem Herzen hasste! Ich schaute ihn an, ängstlich, bittend und etwas naiv. Hatte ich gehofft, dieses Mal ohne Schaden davonzukommen?
        Dann allerdings war es ein Fehlschluss. Vater öffnete seine Geldbörse, holte ein blitzendes Fünfzig-Pfennig-Stück heraus und sagte ganz unmissverständlich: »Ab, mein Freund!«
Mutter lächelte mich an. »Es muss sein, mein Junge.« In diesem Moment hätte ich alles andere gebraucht als das Lächeln meiner Mutter! Und dann war ich unterwegs zum Fachmann für Haarschneidetechnik.
      Das Glöckchen über der Ladentür begrüßte mich. Seit einiger Zeit kannte es mich schon, früher aber hatte es mich immer nur in Begleitung meines Papas gesehen.
»Klingeling - Klingeling!«
Die kleine Silberglocke muss mich wohl wiedererkannt haben, denn mir kam es vor, als grinste sie mich hämisch an. Kann ja sein, dass ich mich täuschte, jedenfalls nahm ich brav meine Mütze in die Hand und sagte daraufhin ganz artig und kleinlaut:
»Guten Tag, Herr Moritz.«
      
        
Von Herrn Moritz war nichts zu sehen, es war auch kein Kunde anwesend, der ›Salon‹, wie Herr Moritz seinen Laden immer großspurig nannte, war vollkommen leer. Die drei alten lederbezogenen Frisierstühle, die sicher noch aus Kaisers Zeiten stammten, warteten auf ihre Opfer, wie ich eines war. Vor ihnen an der Wand drei riesige Spiegel mit geschliffenem Rand, leider war der rechte von ihnen schon ziemlich blind und verzerrte die Person, die davor saß, bis zur Unkenntlichkeit.
          Ich atmete auf. Niemand da, ein Anflug von Glückseligkeit durchfuhr meinen gestressten Körper. Ich hatte wieder einmal einen Aufschub vor meinen Qualen erhalten. Dachte ich!
»Na mien Jung? Wird mal wieder Zeit, was?«

          Wie ich diesen Satz hasste! Warum musste mich jeder mit diesen Worten quälen? Reichte es nicht, dass ich auf dem rechten Stuhl des Herrn Moritz Platz nehmen musste und nun der Dinge harrte, die da auf mich zukommen sollten? Im halbblinden Spiegel vor mir konnte ich die genaue Zeit ablesen. Stand man jedoch genau vor dieser Uhr an der Wand, musste man umdenken, denn dann war alles spiegelverkehrt! Es war eine »Friseuruhr«, wie ich sie nannte.
      Der liebe Herr Moritz drehte nun meine Sitzgelegenheit in einer rasenden Geschwindigkeit rechts herum auf die Höhe, die er für seine Verschönerungstour brauchte. Das war dann aber auch schon der einzige Punkt, der mich an diesem Nachmittag begeistern konnte. Heute würde man ganz sicher super-gestylte moderne Sitzmechanik mit passgenauer Nackenstütze verwenden, die in jeder Hinsicht das Sitzen beim ›Hairdesigner‹ zu einem Erlebnis besonderer Art machen.
       
        Damals, im Jahre 1939, reichte dafür schon ein Stuhl mit Ledersitz, den man in ungeahnte Höhen drehen konnte! Herr Moritz hatte mich inzwischen in eine für ihn ergonomisch richtige Sitzlage gebracht; seine Operationsutensilien lagen griffbereit, blitzend und unheilvoll lauernd auf meinen Kopf hin ausgerichtet.
Dann - für mich unerwartet, kam der Friseur mit einem langen Streifen weichen Papiers auf mich zu, wickelte es ohne zu fragen um meinen Hals und warf mir dann einen hellblauen Umhang über meine Schultern. Es wurde ernst! Höflich fragte der Herr Barbier mich aber noch, wie schon früher: »Halblang?« ich konnte nur noch ängstlich nicken.
       Haarschn.jpg Mit einem »Klickklack« begann die kleine mechanische Haarschneidemaschine ihre meuchlerische Tätigkeit. Und mit jedem »Klick« entfernte sie mir einige Längen von meinem Winterpelz, während sie beim anschließenden »Klack« einige Haarspitzen ziemlich unsanft und schmerzhaft hinter sich her zog! Somit kann sich heute jeder vorstellen, dass dieses Marterinstrument mich schon oft in meiner Vorstellungskraft dazu verleitet hatte, dieses Folterwerkzeug aus dem Verkehr zu ziehen! Leider bot sich da nie eine Gelegenheit, die Pläne in die Tat umzusetzen.
        
        Nach etwa fünf Minuten Leidenszeit kam endlich doch noch die modernere elektrische Kollegin der alten Maschine zum Einsatz. Frage nur niemand, warum der »Schermeister« diese nicht von Anfang an benutzte - ich weiß es bis heute nicht!
        Als schließlich die Schönheitsprozedur zum Ende kam, nahm Herr Moritz ein wunderhübsch verziertes Fläschchen zur Hand, schüttete etwas »Eau de Cologne« auf seine Hand und verrieb diese exorbitante Flüssigkeit in mein übrig gebliebenes Haar. Das war dann der Höhepunkt der Episode und versöhnte mich mit der ganzen Misere. Nachdem dann die Papiermanschette von meinem strapazierten Hals entfernt war, nahm Herr Moritz wie ein Torero den blauen Umhang mit elegantem Schwung von meinem Corpus und meinte dazu: »Bittschön, der Herr!«
        
            Mit einem gnädigen Kopfnicken überreichte ich ihm sodann »meine edle Silbermünze«, verließ dann seinen »Salon«, während er noch lächelnd meinte, dass ich ja meinen Papa schön grüßen sollte!
Also - ich möchte nicht darauf schwören, dass ich diesen Wunsch noch angebracht habe, jedenfalls war ich für die nächsten 4-6 Wochen von einer Sorge befreit.

Aber ihr wisst ja alle selbst: Die Zeit vergeht manchmal sehr schnell ...


©2020 by H.C.G.Lux


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Kommentare (6)

Muscari


Tolle Geschichte eines armen "gequälten" Jungen.
Solche netten Berichte aus alten Zeiten lese ich immer sehr gerne.

Ich, als kleines Mädchen, hatte in der Beziehung überhaupt keine Probleme. Meine Mutter ließ mir Zöpfe wachsen - wachsen und weiter wachsen.
Bis ich eines Tages Scharlach bekam, mir im Krankenhaus noch Läuse einhandelte, sodass man mir dort die Haare ganz kurz schnitt und sogar eine übel riechende Packung verpasste.
Später dann hielt meine Mutter das Schneiden der Haare bei.
Einem Friseur begegegnete ich zum ersten Mal mit 14 Jahren, bei dem ich die erste Dauerwelle erhielt.

Dem damals gequälten Jungen schicke ich einen teilnahmsvollen Gruß.
Andrea

nnamttor44

Oje, da hast Du aber eine schreckliche Friseurgeschichte wunderhübsch beschrieben, lieber Horst!

Meine schrecklichste Erinnerung besteht darin, dass mein Vater - seines Zeichens DER Friseurmeister in unserer Stadt - mir als Fünfjähriger zur Kinderkommunion meiner großen Schwester einen Lockenkopf zaubern wollte. Das Dumme war nur, meine Haare wollten nicht lockig werden!

Ende der 1940er Jahre wurde eine Dauerwelle noch mit an der Dauerwellhaube fest angebrachten dünnen Haarwicklern die Dauerwelle in die Haare "gekocht"! Ich hatte ganz mutig eine Sitzung übertanden, aber meine Schnittlauchlocken krümmten sich kein bisschen. Es gab eine zweite und dann eine dritte Sitzung ... Und endlich zeigte mein strapaziertes Kinderhaar so ein wenig Neigung, nicht mehr ganz so gerade herumzuhängen. Mehr mochte ich meinem Papa nicht zugestehen.

Als dann der Tag kam, an dem ich in weißer Engelchenkleidung mit Locken glänzen sollte, hatte ich so eine wilde Lockenpracht auf meinem Kopf, dass es fast nicht möglich war, sie zu bändigen.

Foto 16 Annes Kinderkommunion 1949.jpgEs war für lange Jahre der letzte Versuch, mir "hübsche Locken anzudrehen"!

Es nützte nichts, Tochter eines Friseurs zu sein, Zufriedenheit mit der gegebenen Haarfrisur kommt erst viel später ...

Herzl. Gruß von Uschi

Syrdal


Lieber Pan, hat mich doch deine hübsche Geschichte an „meinen Friseur“ erinnert. Der Unterschied allerdings ist, dass ich richtig gerne hingegangen bin. Es gab dort so viel zu sehen und zu erleben.
Ganz besonders fasziniert war ich von dem braunen Ledersitz, den der Schnippelmeister mit einem Griff umschwenken konnte… toll, so was hatten wir zuhause nicht. Und dann hat der Meister mich samt Sitz „hochgepumpt“, bis meine Ohren auf seiner Augenhöhe waren. Nun gut, groß war er nicht, so dass sich die Höhe in erträglichem Maße hielt. Zur Not hätte ich hinunter hüpfen können... Und dann kam ich jedes Mal ins Staunen: Er klapperte mit seiner Schere zwischen den einzelnen wirklichen Schnitten wie der Klapperstorch mit dem großen roten Schnabel, der oben auf dem Turm unserer Burg nebenan wohnte. Ich liebte dieses schnelle Klick, Klick, Klick, Kick!
Schlussendlich kam das Schönste: „Fertig“, sagte der Meister, und dann fuhr ich wieder sanft nach unten, wobei der Stuhl zischte, als wär er froh, mich endlich los zu sein, obgleich ich doch kaum ein Gewicht auf den Sitz gebracht hatte. – Alles tolle Sachen, die es nur dort im „Friseursalon“ gab, den man von weitem erkennen konnte, weil eine silbern blitzende Schale vor der Tür draußen im Wind schaukelte…

Hab Dank für deine schöne Geschichte, die mich sogleich ergötzlich an „meinen Friseur“ erinnert hat.

Mit Grüßen zu Dir von
Syrdal
 

Rosi65

Kein Wunder, dass das Kind alles misstrauisch beäugte, denn tatsächlich haben Friseure früher auch mal Zähne gezogen. Kann man diesen Menschen überhaupt trauen?
Einfach herrlich und sehr amüsant geschrieben.👍

Herzlichen Gruß 
    Rosi65

nnamttor44

@Rosi65  
Ihr Lieben, mein Friseurvater war nur Friseur. Aber als er in den Kriege eingezogen wurde, wurde er als Sanitäter eingezogen. Muss ja doch noch in den Köpfen als Barbier herumgeschwirrt sein ...

LG Uschi

Pan

Duuu!
Meine Zähne hat der aber nicht gekriegt ...
meint lächelnd
Horst


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