Frauen vor Gericht! Eine Betrachtung zu 1912


„Es wird erwartet, dass Sie nur dienstlich antworten“

Kurioses aus der Zeit, als Frauen anfingen arbeiten zu gehen

Im Juni des Jahres 1912 musste sich Radebergs Gewerbegericht der Revision seiner 37 ausgesprochenen Urteile im Hinblick auf Frauenbeschäftigung stellen. Der Hintergrund lag in einem damals geradezu sensationellen Gerichtsspruch des Leipziger Kaufmannsgerichts. Dieses hatte einen Leipziger Kunsthändler verpflichtet, das Gehalt für eine „nicht berechtigte Entlassung“ nachzuzahlen. Die junge Frau war wegen angeblichen Flirtens mit einem Prokuristen fristlos entlassen worden.
Der „Kladderadatsch“ nahm dies für ein satirisches Gedicht zum Anlass:
„Alles fühlt der Liebe Freuden, Flirtet mit vergnügtem Sinn; Und ich soll das Flirten meiden, Weil ich Kontoristin bin?

Ist ein Prokurist ein Ekel? Nein. Ich lieb in ihm den Mann, Und kein böses Menetekel soll – bei Gott – mich hindern dran.
Ach, ein jedes Mädchen küsst ihn! Und ich soll mit ihm in Zwist leben, weil ich Kontoristin bin und er ein Prokurist?
Nein, ich Ärmste kann nicht hassen, Denn das Lieben ist mir Pflicht. Will mein Chef mich drum entlassen, Geh‘ ich schleunigst zum Gericht!
Dort sind heiter die Gesichter, Und man gibt mir recht allda. Gott sei Dank! Es gibt noch Richter in der Seestadt Leipzig, Ja!
Ja, ich muss den Flirt genießen, Denn es lässt mir keine Ruh. Sollte, Chef, es dich verdrießen, Ei, so mach die Augen zu.“
Die damit verbundene Pressekampagne erreichte auch Radeberg.

Superintendent Kaiser sah in seiner Sonntagspredigt den Untergang des Abendlandes kommen, wenn Frauen nun solche Rechte genießen dürften. Er krönte seine Predigt mit dem Ausruf: „Ich glaube nicht daran, dass aus diesen Frauen züchtige und tüchtige Hausfrauen werden, geschweige gute Mütter und Ehefrauen!“
Und die nunmehr angeordnete Revision der Gewerbegerichtsurteile brachte mindestens neun Beispiele „mit Überschreitung der Grenzen der Gewerbegerichtsbarkeit“ hervor. So war der Begriff einer „Schäkerin“ zum Anlass genommen worden gleich drei jungen Frauen auf der Kaiserlichen Post zu kündigen. Sie hatten im Postscheckvekehr (!) „unzüchtige Blusen mit offenherzigen Blick“ getragen. Die Begründung: Das Wort Schäkerin (im Postverkehr tatsächlich mit Scheckerin angegeben) bedeute nach dem Hebräischen „Busen, weiblicher Schoß“.

Die Telefonistinnen mussten mit ihrer Unterschrift beglaubigen „Es wird erwartet, dass Sie nur dienstlich antworten! Jedes Flirten ist verboten! Eine Anzeige eines Telefonkunden führt sofort zur Kündigung!“ Dabei mussten die jungen Frauen unverheiratet und kräftiger Statur sein. Jede Heiratsabsicht führte zum unweigerlichen Entlassen.

Entlassen wurde auch Amalie Kliemann. Bei einem Produktenhändler hatte sie wegen herunterfallenden Waren „unchristlich geflucht – Himmel Sakrament, noch einmal!“ Und schließlich war eine Kontoristin bei Wagawa & Crönert (Strohhutfabrikation) entlassen worden. Sie trug über ihrem Seidenstrumpf ein kleines goldglänzendes Kettchen am Fußgelenk. Begründung: „Mit diesem Accessoire lenke sie die männlichen Kunden ab!“

haweger 11-2014

Anzeige

Kommentare (1)

finchen das Moni-Finchen hat mal wieder eine Deiner Geschichten gelesen..........und lachte sich fast kaputt.
Die Postgeschichte hat mir so richtig gefallen, da ich selbst eine Postbeamtin war. Es stimmt, daß vom Arbeitgeber sittsame Kleidungsordnung gefordert wurde und die blauen Kittel nicht kürzen durften..............
Das Knie gehörte bedeckt!
Das war aber schon in den 60-ziger Jahren.
Und im Mini-Rock gingen wir dann wieder nach Haus........
Die 60-ziger Jahre sowieso so richtig verrückt, was die Bekleidung betraf. Ich konnte nähen und schneiderte mir die Klamotten selbst.
Zu dieser Zeit lebte ich in einem Mädchenheim eines Nonnenordens mit großem Nähsaal und dort fing eigentlich meine Nähwut an. Ständig kaufte ich mir besonders schöne Stoffe und meine Nonnen waren begeistert.
Noch eine "Burda", eine Nähzeitschrift, unterm Arm und schon kamen die Ordensdamen angerast.
"und was soll das jetzt werden"? war die Frage.
Und schon in Sekunden war die Zeitschrift stark geschreddert.
Für mich war es ein herrliches Gefühl, den Ordensdamen ihren Alltag zu versüßen.
Ein herrliches Jahr für mich.........wirklich.
mit lieben Grüßen bis zur nächsten Geschichte..
Deine treue Leserin
das Moni-Finchen

Anzeige