Frechheit siegt (Eine Episode aus Berlin)


Sonntagnachmittag. Nachdem wir Alt-Tempelhof und das Tempelhofer Feld erkundet hatten, wollten wir noch zu einem kleinen Abendkonzert in die Matthäus-Kirche im Kulturforum. Da wir hungrig waren und wenig Zeit blieb, suchten wir den Imbissstand an der Potsdamer Straße direkt vor der Kirche auf. Neben dem Stand ein erloschener Grill, auf ihm eine einsame Bratwurst und ein Fetzen Fleisch. Ein junger Verkäufer hoffte, die beiden Stücke noch loszuwerden. Wir wollten eine frische Currywurst, also stellte mein Mann sich an; ich setzte mich auf eine Bank und schaute zu, wie die Leute ihren Hunger und Durst stillten.

Ganz plötzlich tauchte vor mir ein untersetzter Mann mit Fahrradhelm und giftgrüner Signalweste auf. Mit einer großen Plastetasche in der Hand griff er nach knapp einem Dutzend leerer Bierflaschen, die neben einem Bistrotisch in einem Kasten abgestellt waren, und sammelte sie rasch ein. Als der Junge vom Grill zu ihm trat und etwas fragte, zeigte der Flascheneinsammler auf einen Bratwurst essenden jungen Mann neben dem Bierkasten und meinte: „Der hat sie mir geschenkt.“ Dann eilte er mit den Flaschen davon. Im Hintergrund stand sein Fahrrad, mit Taschen behängt; eine Frau mit Fahrrad wartete auf ihn, half ihm, die Flaschen zu verstauen.
Der Junge vom Grill, offensichtlich irritiert, war inzwischen zum Stand geeilt, um sich wohl nach dem rechtmäßigen Flascheneigentümer zu erkundigen. Nun lief er dem Flaschensammler hinterher und versuchte, mit ihm zu diskutieren. Jener hatte inzwischen alle Flaschen verpackt, stieg mit seiner Partnerin aufs Rad und trat kräftig in die Pedale. Der Versuch des Jungen, das Rad festzuhalten, scheiterte. Resigniert kehrte er um.

Wir hatten das Schauspiel verfolgt und schauten den jungen Mann, auf den der Flaschendieb gezeigt hatte, fragend an. Dieser lachte und sagte: „Er hat mich gefragt, ob er meine Flasche haben könnte.“
Frechheit hat eben gesiegt.

©Mona

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Kommentare (1)

KaPiToshi Hallo Mona47!
Habe neulich in Köpenick-Seelenbinder-Ecke Bahnhofstrasse,Du kennst dort den Obststand,beobachtet,wie ein Radfahrer sich im vorbeifahren reichlich bedient hat.Dem soll es nach meiner Meinung quer wieder rauskommen. Gruß Kapitoshi

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