[center][/center]Ein Friedhofsgang
v. J.N. Vogel


Beim Totengräber klopft es an:
"Mach auf, mach auf, du greiser Mann!
Tu auf die Tür und nimm den Stab,
musst zeigen mir ein teures Grab!"

Ein Fremder spricht`s mit strupp`gem Bart,
verbrannt und rauh, nach Kriegerart.
Wie heißt der Teure, der euch starb
Und sich ein Pfühl bei mir erwarb?

Die Mutter ist es; kennt ihr nicht
Der Marthe Sohn mehr am Gesicht?
"Hilf Gott, wie groß, wie braun gebrannt;
Hätt` nun und nimmer euch erkannt."

"Doch kommt und seht, hier ist der Ort,
nach dem gefragt mich euer Wort.
Hier wohnt, verhüllt von Erd` und Stein,
nun euer totes Mütterlein."

Da steht der Krieger lang` und schweigt,
das Haupt hinab zur Brust geneigt.
Er steht und starrt zum teuren Grab
Mit tränenfeuchtem Blick hinab.

Dann schüttelt er sein Haupt und spricht:
"Ihr irrt, hier wohnt die Tote nicht.
Wie schlöss` ein Raum, so eng und klein,
die Liebe einer Mutter ein!"





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Kommentare (1)

anjeli der älteren Epoche und doch zeitnah durch das Thema. Denn Mutterliebe überdauert jede
Zeit und ist grenzenlos.
Liebe Ingridius, ich kann mir vorstellen, daß du dieses Gedicht in deiner Schulzeit
kennengelernt hast. Vielleicht war es eines deiner Lieblingsgedichte.
Die Schriftsprache ist einmalig schön.

Grüße an dich von anjeli/ulla

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