Früher, 1

Im Krieg wurde ich geboren, einen Teil meiner frühen Kindheit war ich mit Mutter und Bruder evakuiert nach Marienbad, damals "Deutsches Reich", wir wohnten im gleichen Haus wie meines Onkels Familie, der sozusagen strafversetzt war, als Postchef, weil er in München nicht sehr angepasst war an die Naziherrschaft. 
1945 wurden wir von amerikanischen Sattelschleppern nach Nürnberg gefahren, vorher nahmen uns die Tschechen alles ab, mir zum Beispiel einen Fotoapparat, den mir meine Mutter um den Hals gehängt hatte.

so nun geht's ein wenig weiter.

Als wir dann weiter transportiert wurden auf einem offenen LKW, auf dessen Ladung mit Kohlen, kamen wir In München am Heimeranplatz an, lauter Ruinen weit und breit. Wie sich später herausstellte, hatten Onkel und Tante unter einer dieser zerbombten Ruinen überlebt.
Wir gingen zu Fuss durch eine seltsame Siedlung, es war die Schrebergarten-Anlage Land in Sonne, für mich eine völlig neue Optik.
Etwas später kamen wir dann in eine Strasse, wo wir von einem mir fremden Mann hereingelassen wurden, es war der Großvater, mit Spitzbart, den Mann hatte ich noch nie gesehen, so dachte ich.
Als erstes gab er uns Frühäpfel, helle Farbe, nicht sehr geschmackvoll, dafür aber mehlig.
Dieser Mann bat uns also herein und wir wohnten dann in diesem Haus, das, leicht beschädigt den Krieg überdauert hatte.
Da wohnten aber noch viele andere Menschen darin, meine drei Cousinen mit Tante und meine andere Tante mit ihrem Mann, letztere hatte ich noch nie gesehen.

7.2.2020

Im Garten meines Großvaters fielen mir außer den Obstbäumen großblättrige Pflanzen auf, unter den schönen grünen Blätter konnte man wunderbar spielen, sich verstecken. Es war auch ein Gartenhaus mit Treppe und kleinem Kellerfach vorhanden, Torbogen für Rosen, und vor allem ein Brunnen mi einem großen Betonbecken, in das man auch steigen konnte und wunderbar herumspritzen. Mein Bruder allerdings interessierte sich mehr für eine u-förmige Waschaufhänge, die man als Fußballtor verstehen und nutzen konnte.
Im Vorgarten war noch ein kleiner Rundbrunnen, mit 4 Spritzdüsen, nur eine funktionierte noch, der nahe Bombeneinschlag und Kriegsarmut hatte also doch seine Schäden hinterlassen.
Aus irgendeinem Grund gab es plötzlich einen "Holländer", ein Fahrzeug, mit dem man wunderbar auf der damals noch unbefestigten Straße herumrasen konnte. Nebenan war ein Riesengrundstück, auf dem eine kleine Hütte war, alles tabu.
Es war alles nicht schlecht, wenn da nicht eines Tages der Schul-Einberufungs-Befehl gekommen wäre...

9.2.2020

auf einmal war er da, hochgewachsen, mir unbekannt, unwichtig.
Später verstand ich Zusammenhänge: er war ein Kriegsheimkehrer, mein Vater.
In der letzten Phase des Kriegs war er am Gardasee Leiter einer militärischen KFZ-Werkstätte, hatte nur überlebt, weil er seinen Job dort nicht gegen die ja besetzte Bevölkerung machte, sondern, vielleicht juristisch "falsch", mit dieser kooperierte. Deshalb wurde er auch von den Bauern versteckt, vor den einrückenden US-Truppen. Dies schloss aber nicht aus, dass er dennoch gefangen wurde und fast wäre er von den Partisanen noch erschossen worden, wenn nicht Leute des Dorfes für ihn eingetreten wären.

Er hat viele Geschichten erzählt, von Kriegszeiten, von der Gefangenschaft bei den US-Truppen, es waren auch solche dabei, die die ganze Brutalität der deutschen Kriegführung offenlegten, die er, aus der Sicht von Versorgungstrupps, denen er angehörte, mit bekommen, gesehen, davon gehört hatte.

Jetzt nahm er seinen Job wieder auf, Strassenbahnfahrer, einmal durfte ich, privilegiert, durch die ganze Stadt auf dem Führerstand mitfahren.
abends brachte er Zigarettenkippen mit, die er in den breiten Ärmelstulpen seines Dienstmantels sammelte.
Er stellte daraus selbstgewickelte  Zigaretten her, rauchte dieses giftige, stinkende Zeug, sparte den Kauf eigener Zigaretten, aber er profitierte auch von dem Tabak, den Großvater im Garten anbaute, den dieser mit einer selbstgebastelten Vorrichtung schnitt, Krüllschnitt, soviel ich weiss.

Ob er begeistert war, dass ich in der Schule, einem Provisorium im Altersheim, ein Jahr zurückgestellt wurde, weil ich mit Spielen noch nicht fertig war, weiss ich nicht. Ich weiss nur noch, dass meine Mutter weinte, möglicherweise war sie gekränkt, weil man Zweifel an meiner Schulfähigkeit hatte, wo mein 6.Geburtstag genau mit dem ersten Versuchs-Schultag zusammenfiel.


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Kommentare (6)

HeCaro

Solche Erlebnisse aus der Kindheit prägen und nichts davon wird
je vergessen. Wenn man sich vorstellt wie arm viele Familien waren
und doch hat man immer wieder Sparmöglichkeiten gefunden und
sich durchgewurstelt. . Ein Glück, dass ein Vater wenigstens Arbeit hatte. 

Dass man später eingeschult wurde gab es in unsere Generation häufig.
Ich z.B. bin ein Dezemberkind und auch erst mit 7 in die Schule gekommen

Liebe Grüße, Carola

 

JuergenS

ich denke, dass ich nun mit "Früher, 2"  weitermache, sonst wird der Text zu lange, an einem Stück.😏

JuergenS

Ich weiss noch nicht, was es wird, aber ich bleib dran, bin überrascht über die Reaktionen.

Servus

Manfred36

Rosi65 hat es richtig formuliert. Die "Schreibstube" gehört auch hierher.

LG  Manfred

HeCaro

Wird das eine Biografie? Der Anfang klingt
interessant und ich bin gespannt, wie es 
weiter geht.

LG Carola 

Rosi65

Hallo heigl,

wie schön, dass Du hier in unserer "Schreibstube" mitmachst.
Ich wünsche Dir viel Spaß beim Verfassen Deiner Erinnerungen.

Herzliche Grüße
  Rosi65
 


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