Gedanken über das Loslassen


Manchmal muss man Dinge loslassen obwohl man sie liebt.Wer an etwas festhält aus egoistischen Motiven,denkt mehr an sich als an andere.


Ein Beispiel möchte ich aus meiner eigenen Familie erzählen. Meine Tante nenne sie mal Dora wurde in der Nazizeit geboren. Durch einen Sauerstoffmangel während der Geburt wurde sie geistig- und leicht körperbehindert geboren. Dora verbrachte die ersten Jahre ihres Daseins viel im Keller, man hatte Angst dass sie als lebensunwertes Leben eingestuft wurde.

Dora war 11 Jahre als der Krieg aus war. Sie wurde ins 1. Schuljahr eingestuft, blieb dort 8 Jahre drin. Sie lief jeden Tag mit einem Besen durch das Dorf und fegte, überall.

Jeder kannte sie jeder sprach mit ihr, man sollte meinen sie hatte ein zufriedenes Leben. Sie war ins Dorfleben integriert.

Da sie keine Treppen gehen konnte schlief sie im Haus unten. Durch die Spastik im rechten Arm wurde sie gewaschen und angezogen, das Essen wurde ihr mundgerecht dargereicht .Sie wurde rundum versorgt.

Die Jahre vergingen meiner Oma fiel die Versorgung immer schwerer. Aber sie liebte dieses Kind wohl ganz besonders ,weil es so hilflos war.

Als meine Oma krank wurde und niemand sich rund um die Uhr um Dora kümmern konnte, wurde sie von ihren Schwestern zur Lebenshilfe gebracht.

Es ging innerhalb von Wochen eine riesen Veränderung in Dora vor, sie lernte sich alleine Anzuziehen und zu waschen, sie half in der Gruppe mit beim Kochen, sie lernte Treppen zu steigen. Und was niemand bis dahin wusste sie konnte sehr schön malen, mit der linken Hand .

Dora blühte auf. Mit über 40 Jahren fing sie an zu lernen. Meine Oma kam zunächst gar nicht damit klar, sie fühlte sich als Versager und als jemand der sein Kind abschiebt.

Es war der Pfarrer der meine Oma überzeugte, dass es ein Zeichen von großer Liebe sei jemanden loszulassen in ein besseres Leben.

Die ersten Monate kam Dora noch nach Hause zum schlafen. Sie wurde morgens abgeholt, aber Dora wollte nicht und auch die Wochenenden wollte sie lieber dort verbringen.

Dora fuhr mit der Gruppe in Urlaub, sie gingen ins Kino usw. Ihre Lebensqualität stieg.

Sicherlich gibt es auch Situationen, wo es sich tatsächlich um Abschieben handelt. Aber jeder Fall sollte gesondert betrachtet werden. Einzig und alleine geht es um die Frage was ist für denjenigen, um den es geht am besten. Erst durch das Loslassen meiner Oma hatte Dora eine bessere Lebensqualität.

Dora lebt heute noch sehr betagt in der Lebenshilfe.

Lessalina

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Kommentare (3)

Syrdal Loslassen können, sich trennen können, sich "abnabeln", ist wohl eine der schwierigsten Übungen, die wir im Leben zu bestehen haben. Doch wir alle müssen das "Loslassen" lernen, spätestens dann, wenn wir unser Gastsein auf dieser Erde "loslassen" müssen. Wohl dem, der es früh erlernt und dabei erfährt, dass das Loslassen letztlich ein Segen ist, wie es Lessina so wunderbar beschrieben hat.

Meine Liebe verstarb vor vielen Jahren in meinen Armen, ...leise singend... Sie hatte lange vorher das Loslassen ganz bewusst angenommen und sich zu eigen gemacht. Sie konnte auf diese Weise gefasst und fröhlich in ihre „neue Welt“ hinüber gleiten...

Deine Geschichte, verehrte Lessina, regt an, über das eigene "Loslassen können" nachzudenken...
Danke!
Traute Das hat mich tief angerührt.
Nun, von außen betrachtet, sieht man das die alles umfassende Liebe , dieses Mädchen so eingehüllt hat, das sie keine Initiativen entwickeln brauchte/konnte/wollte/ musste.
Nun in die Gemeinschaft aufgenommen, konnte sie sich messen mit den vielen Unterschieden ihres Umfeldes und das trieb sie an auch zu sein was ihr möglich ist.
Wäre ein Glück für alle, die in ihrer Entwicklung gebremst werden, wo auch immer das geschieht und aus welchen Gründen.
Mit freundlichen Grüßen,
Traute
nnamttor44 ...liebe Lessalina! Als meine Tochter 13 war, wurde bei ihr zwingend zu operierendes Wirbelgleiten diagnostiziert. Ein Jahr hatte sie dann auch noch einen sehr schwer einzustellender Diabetes Typ 1, den sie wohl durch eine Blutübertragung während der OP entwickelt hatte.

In der Folgezeit habe ich meine Tochter (für eine Mutter) natürlich sehr umsorgt. Sie scheute sich die täglichen Insulinspritzen selbst zu setzen, wollte - wie es für Teenager üblich ist - mit ihren Freunden zum Tanzen, ins Kino in die nächste Stadt usw, was ich nur ungern der 16-Jährigen zugestehen mochte.

Als es darum ging, für sie eine Lehrstelle zu finden, war es unmöglich, eine zu finden: sie war zweifach behindert. So eine wollte kein Arbeitgeber.

Sie hat dann im Annastift ihre Lehre absolvieren können. Es ist mir ungeheuer schwer gefallen, mein "angeschlagenes Küken" los zu lassen. Aber ich durfte feststellen, dass sie sich in ihr Erwachsenenleben frei geschwommen hat! Sie kam danach nicht mehr ins Elternhaus zurück.

Heute ist sie eine sehr selbstständige Frau mit Familie (obwohl sie nie ein Kind hätte haben sollen lt. Ärzte), die sehr gut mitten in ihrem Leben steht und das meiner Kinder, das wirklich ins Leben passt!

Es war gut, dass ich nicht (noch mehr) geklammert habe, vermutlich wäre sie heute nicht so glücklich!!

Uschi

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