Glosse vom 10. Juni 2009: Plädoyer für die Abschaffung der Demokratie


Glosse vom 10. Juni 2009
Plädoyer für die Abschaffung der Demokratie oder so ...




Was ich von Herzen mag ...

Wie schrieb seinerzeit Friedrich Nietzsche: „Das Leben ist ein Born der Lust“. Die Googlianer finden sofort die Quelle.
Unter uns: gebildete Menschen hatten so etwas seinerzeit im Kopf, aber so ist das Leben im allgemeinen und im speziellen die Entwicklung der menschlichen Spezies: [i]Vom Kopf zu Google. Philologen und Experten der ersten und zweiten Lautverschiebung, unter besonderes Berücksichtigung des Sächsischen, können auch dem gebildeten Laien (für die anderen ist dieser Aspekt weniger relevant) klar machen, daß diese Entwicklung gleichsam lautgeschichtlich vorgezeichnet war. Aber das gehört in das Kapitel Teleologie, was erst Thema im Wintersemester 2009/2010 an der Universität Senoria ist.[/indent]
Nun aber retour ... Leben – Lust – Europawahlen. Wie haben wir gezittert, gebibbert, gebebt, verzagt und wiederum verzückt ...
Sie werden doch hoffentlich die alliterierenden Spielereien, Chiasmus, Klimax, Tautologie etc. bemerken, gebildet wie Sie sind! (Ein Verlinken erspare ich mir hier!)[/indent]
... was haben wir uns anhand des Wahlzettels ...
Hier, bei mir auf dem Schreibtisch, wären rund 120 solcher Wahlzettel noch vorrätig – wiederum [i]unter uns Unter-Uns“ – das schafft Nähe, das Gefühl verschwörerischer Kumpanei, sowie bei den Finanzleuten und Bankern untereinander]: Es gibt Kommunen, bei denen liegen diese Wahlzettel waschkorbweise herum – Altpapier, Makulatur!

... so alles erhofft!


Meine Güte, endlich sind wir Alten angemessen berücksichtigt worden.

- Die nahezu klassischen Grauen (nomen est omen)

- 50plus – das Generationenbündnis (was immer darunter zu vestehen ist, denn ein Bündnis kann sehr unterschiedlich ausschauen!)

- RRP (= Rentnerinnen und Rentner Partei)

- Die Rentner (= Rentner–Partei–Deutschlands); letztere vermutlich rein männlicher Natur, was wiederum erstaunlich ist: Denn welcher Rentner überlebt schon seine Frau?

Dazu kommt natürlich als eigentliche und wesentliche Rentnervertretung: Die CDU, denn wie emsige und eifrige Wahlforscher herausgefunden haben, findet die Union nur bei den über Sechzigjährigen ungeteilte Akzeptanz. Das wiederum hat sie mit den Öffentlich-Rechtlichen Fernsehsendern gemeinsam, die kurz vor der Umbenennung stehen:
Seniorenfernsehen Eins und Zwei. Motto: Mit Brille und Hörgerät sehen und hören Sie uns besser!
So nebenbei ... die Kinderchen, [i]unsere
Kinderchen kennen diese Öffentlich-Rechtlichen Fernsehsender gar nicht mehr, deren Weltbild (soweit man davon noch reden kann) wird vom Unterschichtenfernsehen geprägt besser: reduziert und deformiert. Wobei immer die Frage wissenschaftlich relevant wäre: Was verblödet sie mehr: Fernsehen oder Internet? - Aber das ist ein anderes Thema. [/indent]
So weit, so gut ... immerhin erfreute sich die Europawahl einer höheren Beteilungsquote als etwa solche fundamentalen Bildungssendungen wie DSDS (für Nicht-Eingeweihte: Deutschland (!) sucht den Superstar) oder die andere Suche nach irgendwelchen Next-Top-Models. (Unbestätigt ist allerdings jene Fama, nach der sich eine gewisse Angela M. bei beiden Wettbewerben beteiligen will.)

Ja, und jetzt ist diese Wahl aus. Eigentlich schade, finden Sie nicht? Jetzt, wo das Ganze einen gewissen Unterhaltungswert gewann. Denn vorher fristete das Thema frustriert im Feuilleton der FAZ ein kümmerliches Dasein, jetzt aber wurde es interessant; aber angesichts der Ergebnisse hat sich das Gefühl einer gewissen Katerstimmung, zumindest für zwei, drei Tage, breitgemacht.
Aber wie heißt es wiederum beim Dichter (jetzt Hölderlin) so zutreffend und schön: Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch. (Nicht gegoogelt, sondern im „Gopf“)

Hier liegt die sogeannte Konsonantenschwächung vor (Lenisierung der Konsonanten „p“, „t“ und „k“ - die Schlüsselkonsonanten der 1. Lautverschiebung); hier besonders die stark differenzierte Aussprache des K/G-Lautes. Alles klar für Nicht-[i]Mediävisten?[/indent]


Was ich nicht mag ...

... bzw. für bedenkenswert halte: Was soll der Unfug mit der Demokratie, den Wahlen und ähnlichen Überflüssigkeiten? Schauen Sie, selbst im alten Griechenland war die Demokratie alles andere als eine Demokratie, eine Volksherrschaft: Ein paar hundert Männer durften sich, zum Beispiel in der Polis Athen, zusammentun und etwas daherreden. Von wegen: Alle Macht geht vom Volke aus; das waren keine zwanzig Prozent der Bevölkerung. (Vermutlich wird sich die zukünftige Wahlbeteiligung - versteht man den Trend zu lesen und zu deuten - bei dieser Prozentzahl einpendeln, wenn man diesem Unfug, lies: dem allgemeinen Wahlrecht, kein Ende bereitet.)
Immerhin hatten die Polis Sparta die reizende Einrichtung der Gerusia (altgriechisch: Gerousia), so eine Art Seniorenbeirat, faktisch ein Vorläufer des Seniorentreffs (ich stelle zu meinem Entsetzen fest: Der ST ist noch nicht einmal in Wikipedia verreten!). Zum Seniorenbeirat siehe weiter unten!

Was hat sich also wsentlich geändert, denn: Ein paar hundert Männer (vielleicht auch ein, zwei reiche Frauen) bestimmen letztlich, wo’s lang geht bzw. gehen soll.
Da kommen irgendwelche Schnapsnasen (Alkoholismus soll übrigens bei Politikern überproportional auftreten!) und meinen, eine Bestrafung für Nichtwähler fordern zu müssen.
Meine Güte, was glaubt der denn, was glauben die denn, was da so gewählt werden würde ... bei den 31 Wahlvorschlägen! Frustrierte und/oder blöde Leute (besonders die Kombination von beiden!), wahl- und demokratieenttäuschte und –verbitterte wählen sicher dann nicht staatstragend, d.h. Union, SPD (die gibt’s dann ohnehin nicht mehr) oder gar FDP.
Ein Volk, das vermutlich Wahlen von Superstars (halt: nicht der PolitikerInnen) und/oder von irgendwelchen halbmagersüchtigen, langbeinigen Teenies vermutlich für wesentlich wichtiger und sicher für unterhaltsamer hält als die Wahl von dieser Heerschar grauer Mäuse und/oder Hinterbänklern und/oder Eigenversorgern (auch ein Guttenberg rettet die Chose nicht!) ...
- ein Volk, dessen politische Kenntnisse – zumindest bei der Mehrheit – gegen Null tendiert (wobei sich die Italiener sicher im Minusbereich befinden) und wo Politik für das Volk nichts anderes als eine Art Infotainement ist, wo lächerliche Meinungsbefragungen (wer fragt wen, wie viele mit welchen noch lächerlicheren Fragen!) dann als Faktizität mit bunten Grafiken der Öffentlichkeit vorgegaukelt wird – vorgetragen von seriösen Herren, den Hofnarren der öffentlichen Meinung, mit dem ernsten Grundton politischer Dogmatik: So ist es ...
... sagen Sie ehrlich, für so ein Volk sind Wahlen etc. etwas Überflüssiges, was übrigens nur Geld kostet.

Denn was ist Demokratie anderes als: Legitimation für die Herrschaft des Kapitals, Beschwichtigung für das Volk, öffentlich-rechtliche Unterhaltung für alle. Wo, bittschön, und wie geht alle Macht vom Volke aus?



Über mich ...

... Was meinen Sie, wie würde die prozentuale Verteilung bei den Antworten zu folgender Frage aussehen:

Welche Interessen vertreten die Volksvertreter
- Ihre eigenen Interessen (im Sinne einer wirtschaftlichen und finanziellen Existenz als Volksvertreter)?
- Engagement für das Allgemeinwohl?
- Interessen einer bestimmten Klientel, die sie in irgendeiner Form bezahlt?
- Die Interessen ihrer Partei?

Zu den Volksvertretern. Nun hatte ich seinerzeit das zweifelhafte Glück – selbst politisch aktiv tätig – dem Geschehen etwas näher zu stehen. Hier einige Beispiele: Sicher – hoffentlich! – nicht repräsentativ, aber immerhin.

Person 1, Europaabgeordneter der GRÜNEN. Vor etlichen Jahren. Er sah die Aussichten für die GRÜNEN und damit für seine Wiederwahl nicht sehr gut, also wechselte er zur SPD (für die er – trotz der Wahlergebnisse bei der jetzigen Wahl – erneut im Europaparlament sitzt). Offiziell vertrat er die Ansicht, daß es von der Basis der SPD aus, seine politischen Ziele besser durchsetzen könne. Nur so nebenbei: Auf die Frage, warum er einen roten Blazer bei den Parteiversammlungen trage, wies er darauf hin, daß sich dies auf dem Bildschirm besser mache und zudem die Kameramänner ihn häufiger filmen würden.

Person 2. Galt vor etlichen Jahren ein Spitzenvertreter der bayerischen GRÜNEN, hat nach seinem Studium und seiner Promotion nichts anderes mehr getan als eben Politik. Nachdem er sich auf ein Spekulationsgeschäft (er hoffte auf eine jährliche Rendite von 70 Prozent) hereingefallen war und ihm die Fraktionsführung daraufhin signalisierte, daß sein Anspruch auf den männlichen Listen-Spitzenplatz nicht so selbstverständlich wäre (denn so habe er der Partei geschadet), wechselte er, mit dem selbstgebastelten Image eines Parteimärtyrers, zur CSU ... wo er allerdings nicht nur auf den Widerstand der alten CSU’ler stieß, sondern eben die erhoffte Karriere nicht machte.
Person 3 ... allen bekannt, instrumentalisierte jede Bundesdelegiertenversammlung in seinem Sinne; hier besonders jener Parteitag in Bielefeld, wo es um die Zusage der GRÜNEN für militärischen Einsatz ging.

Geben wir uns einen Ruck: Schaffen wir die Demokratie in dieser Form ab, denn sie erweist sich - mit dem Anspruch des "Alle Macht geht vom Volke aus" eigentlich als eine Farce. Politiker, Parteien, noch mehr aber Kapital und Wirtschaft bestimmen das Ganze. Muß noch mehr geschehen, als etwa jetzt in den USA und in der BRD?
Warum wird nicht wenigstens ein Zensuswahlrecht eingeführt, was doch eine korrekte Widerspiegelung der realen Verhältnisse wäre bzw. ist? "Wer's zahlt, schafft an!", hat doch der Volksmund und -verstand seit langem erkannt.
Viel visionärer waren da etliche Leserbriefe vor Jahren in der FAZ, wo u.a. gefordert wurde, das allgemeine Wahlrecht für Alte, Arbeitslose und Hartz-IV-Empfänger abzuschaffen, "denn - so wörtlich! - es ginge doch nicht an, daß die bloße Zahlenmajorität der Alten jede Zukunftsorientiertheit einer Gesellschaft verhindere".
Wo kommen wir dahin: Die Parteien als Wahlstimmengeiseln in der Hand des Prekariats und Seniorats!

Da sollte man doch Nägeln mit Köpfen machen: Allgemeines Wahlrecht abschaffen, eine Art Bürgerrat und Seniorenrat (siehe oben!) als begleitende Gremien und demokratische Ersatzinstitutionen schaffen, im übrigen: Programmgestaltung des Fernsehens per Bürgerentscheid per Telefon (Anruf ein Euro), laufende Verlosungen von Einkaufsgutscheinen, Reisegutscheinen und zehnmal, sagen wir: dreizehnmal (Weihnachten eine Verlosung extra) im Jahre eine lebenslange Rente von zweitausend Euro monatlich - natürlich auch per Telefon (zehn Euro pro Anruf).
Das freut das Volk der Schnäppchenjäger, erheitert, schafft gute Laune, verschafft den Hofnarren der öffentlichen Unterhaltung und Verblödung eine Dauerstellung. Als Dreingabe freier Zugang zum Internet und die Ermunterung, sich doch in BLOGs etc. zu äußern ... da können sie Dampf ablassen, was niemand weh tut, denn lesen tut's ohnehin kaum jemand. So einfach kann eine zeit- und mediengemäße Demokratie sein.

In diesem Sinne ... freundlich, freudig, fröhlich und der Zukunft zugewandt

Die Bertha (Jahrgang 1934)
vom Niederrhein




P.S. Noch mal so unter uns ... falls Sie überhaupt gewählt haben: Was haben Sie gewählt? Farborientiert? Schwarz, rot, gelb, grün, grau oder violett? (Meine Güte, bei den letzteren am zweiter Stelle eine Blau; die muß sich verirrt haben)
Also diese senilen Vertreter, pardon ... diese senorialen Vertreter habe ich nicht gewählt, ich bin selbst senil und grau genug. Ich liebäugelte mit den (einäuigen?) Piraten ... das hatte so etwas Abenteuerliches an sich.

P.P.S. Ein hübscher Zeitvertreib: Suchen Sie anhand der Angaben auf dem Stimmzettel die entsprechenden Internetseiten der Parteien, Gruppen und Grüppchen auf! Studieren und vergleichen Sie deren Wahlprogramme, soweit die welche haben ... , wobei Sie nicht meinen müssen, nur die Kleinen verzapfen irgendwelchen Schwachsinn und Scheißdreck ... interessant wird's, wenn Sie feststellen, was etwa - in diesem Falle relevanter - die bereits vertretenen Parteien schreiben und fordern und was nicht. (Das allein gäbe Stoff für die restlichen Glossen dieses Jahres!) --- Ich habe ausgewachsene Kandidaten (so im Alter von 25 bis 32 Jahre) zu diesem Programmvergleich ermuntert und aufgefordert ...

P.P.P.S. Vielleicht sollte man das Wählen - wenn überhaupt noch - von gründlichen politischen, gesellschaftlichen und zeitgeschichtlichen Kenntnissen abhängig machen ... dann zumindest ergäbe die Stimme einen gewissen inhaltlichen Sinn.

P.P.P.P.S. Noch am Rande: Warum wird die Korruption von Abgeordneten in Deutschland nicht bestraft?






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Kommentare (3)

Medea Zum Vorschlag des Bürgerrates und des Seniorenrates
bringe ich noch den des Weiberrates hier ein - es dürfte keine
Schwierigkeiten machen, den im ST zu etablieren, zumal es ja
reichlich keifende, das Lasso schwingende, wortgewaltige und einen zum
Fürchten bringende Frauen en masse gibt. So bleibt "das Leben ein Born
der Lust", den alten Nietzsche bestätigend - diese Damen werden den
Herren schon aufzeigen, wo es längs geht ..... *Zwinker*

pelagia sorry
pelagia der noch ein Sparschwein hat und nicht alles Geld in die Ausbildung der Kinder gesteckt hat, an deren Inhalten der Arbeitsmarkt bei der Wunderwirtschaftslage leider nur geringes Interesse zeigen kann. So bleibt mancher "Schatz" unentdeckt.
Chris Howland zu hören ist nett, auch sein "Fraulein" ist unvergessen.
Liebe Bertha, Deinen Plattenschrank würde ich gern mal durchstöbern.

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