Glückliche Reise


Eva und sie standen an der Bushaltestelle. Sie schaute auf die Uhr, bald müßte der Bus kommen, mit dem sie für drei Tage nach Tirol fahren wollten. Eva schnatterte unentwegs, halt so wie immer und sie hatte sich angewöhnt, zwischendurch "ja, ja" zu sagen, "ach so ist das" und "aha". Die Worte rauschten an ihrem Ohr vorbei, ohne großen Widerhall zu finden.

Eva war lieb und nett, aber auch anstrengend, doch sie war froh, mit ihr befreundet zu sein. Wenn´s einmal bei ihr brannte, sozusagen, war Eva zur Stelle und sie würde es bei ihr genau so machen. Sie war verläßlich und ab einem gewissen Alter wird es immer wichtiger, einen Menschen zu haben, auf den man sich verlassen kann. Außerdem verreiste sie nicht gern allein, mit Eva wurde es nie langweilig.

Der Bus kam; sie stiegen ein. Der Reisebegleiter begrüßte sie als letzte Gäste unter den Zusteigenden. Er sagte, an der nächsten Raststätte werde gehalten. Der Busfahrer erklärte technische Details vom Bus; wie man den Sitz verstelllen oder die Lüftung einstellen kann. Und dass der Bus bequeme Fußstützen habe.

Vorsichtig schaute sie sich um, musterte die übrigen Fahrgäste. Der Bus war vollbesetzt, überwiegend Frauen, halt so wie sie: alleinstehend, verwitwet, befreundet oder sonst was. Es gab auch Paare, aber nur wenige. Eva verteilte bereits Bonboons an ihre Nachbarn vor und hinter ihnen. Das tat sie immer, kam auch gleich mit ihnen in Kontakt, darin war sie ein As. Sie selbst schaute lieber aus dem Fenster, ließ die Landschaft an sich vorbeisausen, hörte nur vage Gesprächsfetzen und Lachen vor- und hinter sich.

"Komm, steh auf" sagte Eva - "Wir haben Pinkelpause!" Benommen rieb sie sich die Augen, mußte doch tatsächlich eingeschlafen sein. Sie war noch ganz steif vom langen Sitzen, man ist ja nicht mehr die Jüngste, dachte sie. Eine hilfreiche Hand streckte sich ihr entgegen, als sie ausstieg. Sie nahm dankbar an und sah den Menschen, zu dem die Hand gehörte. Ein netter Mann, stellte sie fest, und so aufmerksam! Er war etwas größer als sie. Er hatte ein nettes Lächeln für sie, als er ihr beim Aussteigen half, und sagte zu ihr: "Na, junge Frau- auch unterwegs?"

"Eeeeerich!! Kommst du jetzt endlich?!" Es war ein harte, fast schrille Stimme, die beide aus ihrem kurzen Gespräch riß. "Erich, nun mach schon! Wir haben nicht soviel Zeit, immer mußt du den Kavalier spielen!"

Bedauernd zuckte er mit den Schultern, während er sich der Stimme seiner Frau zuwandte. Eigentlich sah sie recht gut aus, war flott und modisch angezogen, alles abgestimmt aufeinander. Nur der etwas verkniffene, harte Zug in ihrem Gesicht, diese herabgezogenen Mundwinkel störten den Gesamteindruck. Vielleicht geht sie in den Keller zum lachen, dachte sie, als sie dem Ehepaar auf dem Weg zum Restaurant nachschaute. Was die Frau an Falten um den Mund hatte, reihte sich bei ihr um die Augen: Lachfältchen graben sich genau so ein, kam es ihr in den Sinn. Was soll´s - Hauptsache man steht dazu!

Als sie wieder in den Bus einsteigen, suchte ihr Blick die beiden; sie saßen nicht weit von ihr. Und jetzt, da sie die Stimmen kannte, konnte sie auch einiges von ihrer Unterhaltung verstehen. Das war nicht schwer, denn die Frau sprach laut und herrisch. Und er antwortete etwas einsilbig: "ja, ja" und "so, so" - das war ihre Konversation. Schade, dachte sie- dieser Mann hätte sicher etwas besseres verdient.

Am Ziel in Tirol angelangt merkte sie, dass das Ehepaar zufällig genau das Zimmer nebenan bezogen hatte. Im Lift nach oben, hin zu ihrem Stockwerk hatten sie nebeneinander gestanden; es war ziemlich eng wegen des Gepäcks. Beim Verlassen dees Lifts hatte der Ehemann Eva und ihr den Vortritt gelassen - das war für ihn selbstverständlich.

Beim Auspacken hörte sie, leicht benommen vom ständigen Geplapper Evas, welche auf dem Balkon die schöne Aussicht bewunderte, die markante Stimme der Frau nebenan:
"Erich hast du ... - Erich, kannst du ... -Erich, weshalb und wieso...?"- Sie war einfach nicht zu überhören.

Warum nur läßt er sich das dauernd gefallen, überlegte sie. War es etwa schon Gewohnheit geworden, dass es ihm gar nicht mehr auffiel - nach all den Jahren des Zusammenseins? Oder kam es ihr nur so vor? Jedenfalls bedauerte sie den charmanten Mann im Nebenzimmer.

Der Zufall wollte es so, dass sie im Speisesaal, an einem Tisch für sechs Personen, das Ehepaar dirket neben sich hatten. Es blieb nicht aus, dass man miteinander sprach, sich allmählich näher kam, Gemeinsamkeiten suchte, die den Abend bestimmen sollten. Eigentlich war die Frau ganz gescheit, sie ließ sogar einen guten Bildungsstand erkennen. Warum nur wirkte ihr Auftreten so hart und kompromißlos im Umgang mit ihrem Mann? Könnte so eine tolle Frau sein.

Der nette Erich suchte des öfteren ihren Blickkontakt. Ein Knistern und Kribbeln setzte bei ihr ein. Gefühle, die sie schon lange nicht mehr kannte. Erich ging es anscheinend ebenso. Es funkte gewaltig zwischen den beiden. Sie versuchten es zwar zu verstecken, aber leise Signale drangen doch durch. Einmal fing sie einen intensiven kritischen Blick von Erichs Frau auf, der sehr nachdenklich schien. Das geschah am Tag vor der Abreise.

Inzwischen waren sie alle per "Du" am Tisch. Seit dem Tanzabend am Vortag. Alle zusammen hatten sie schöne Ausflüge miteinander unternommen. Sie genoß es, wenn Erich ihr zuvorkommend die Hand reichte - kleine Berühungen nur leicht wie ein Hauch. Nein - sonst war da nichts; sie konnten sich mit gutem Gewissen in die Augen schauen. Nichts weiter war passiert - außer eben dem gewissen Knistern ...

Oder doch? Die Stimme von Erichs Frau klang plötzlich ganz anders, wenn sie mit ihm sprach. Sie schraubte ihre Kommandos zurück. Und es war seltsam, zu sehen, dass Erichs Frau die Hand ihres Mannes suchte beim Spaziergang der Gruppe. Vielleicht war ihr bewußt geworden, dass man auch im fortgeschrittenen Alter nie ganz sicher sein kann, dass es durchaus Rivalinnen geben könnte, die sich für den Gefährten ernsthaft interessierten? Dass man immer, das ganze Leben lang an sich und an der Partnerschaft arbeiten muss, um sie beständig zu erhalten?

Also - wenn sie das begriffen hat, wenn Erich gemerkt hat, dass er noch nicht zum alten Eisen zählt - und wenn sie wieder die Schmetterlinge im Bauch spüren konnte - immer noch! - dann war dies

eine glücklich Reise


Celida I.Gr.




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