Als wir auf dem Flughafen von Guadeloupe landeten, wurde es gerade dunkel. Nachdem wir unsere Koffer hatten, gingen wir zur Autovermietung. Am Schalter der Mietwagenfirma standen schon Himmel und Menschen. So dauerte es mindestens eine Stunde, bis wir endlich an der Reihe waren. Die beiden diensthabenden jungen Damen unterschieden sich äußerlich ganz extrem in Haut- und Haarfarbe. Darüber hinaus waren sie sich allerdings sehr ähnlich, denn sie schienen beide gut drauf zu sein und scherzten mit allen Kunden. Leider verstand ich die Witze nicht und so blieb es mir verborgen, was da so lustig war. Ich litt umso mehr unter der unnötig verlängerten Warterei.
Endlich war ich an der Reihe und zitierte meinen auswendig gelernten Satz „Bonsoir mesdames, j'ai réservé une voiture“, worauf sie zu meiner Ver­wunderung in schallendes Gelächter ausbrachen. Verunsichert zeigte ich meinen Voucher und sie brauchten sehr viel Zeit, bis sie meine Reservierung fanden, obwohl die Auswahl ja nicht mehr sehr groß sein konnte, nachdem ich doch wahrscheinlich der letzte Kunde für diesen Abend war. Als sie meine Buchung endlich gefunden hatten, musste ich viele Unterschriften leisten und da ich nicht auf Anhieb wusste wo, lachten sie sich noch einmal scheckig.
Ich war froh, als ich die Papiere für das Auto endlich in der Hand hielt und die beiden ebenso hübschen wie albernen Mädels verlassen konn­te.
Auf dem Parkplatz übergaben zwei junge Beschäftigten die gemieteten Autos. Einer der Angestellten führte uns zu einem großen Auto aus französischer Produktion. Ich hatte jedoch nur „VW Polo oder Vergleichbare“ geordert und protestierte deshalb. Doch der junge Mann war ganz sicher, dass es sich um das Auto für uns handelte und so nahmen wir es in Besitz.

Noch freuten wir uns über diesen vermeintlich guten Tausch.
Wir verstauten unsere Koffer, stiegen ein und fuhren los. Inzwischen war es nach deutscher Zeit schon nach zwei Uhr morgens und wir waren hundemüde. Schließlich waren wir jetzt 24 Stunden wach. Wir freuten uns nur noch auf unsere Hotelbetten, ohne zu ahnen, dass der schwerste Teil der Reise noch vor uns lag.

Selbstverständlich hatte ich mir zu Hause schon die Route vom Flughafen nach Sainte-Anne, wo sich das Hotel befinden sollte, angesehen. Die Strecke war gut ausgeschildert, sodass wir den Weg auch problemlos fanden. Allerdings nervte mich das Auto, denn es schien sehr untermotorisiert zu sein. An den kleinsten Steigungen musste ich herunterschalten, damit der Motor nicht ausging, was mich an unseren Trabant mit voller Zuladung erinnerte. Ich hatte den Verdacht, dass die Klimaanlage die halbe Motorleistung für sich beanspruchte.
Am Ortsschild von Sainte-Anne prangten viele Hotelwerbetafeln. Unter anderem fanden wir auch den Hinweis auf das gesuchte Hotel „Pierre et Vacances“. Aufmerksam fuhren wir die Hauptstraße entlang und musterten jedes Gebäude – das gesuchte Hotel war nicht dabei. Als wir den Stadtrand erreicht hatten, wendete ich und wir befuhren die Hauptstraße in entgegengesetzter Richtung. Diesmal schauten wir nicht nur auf die Gebäude, sondern auch auf Hinweistafeln von Hotels, die vielleicht in der zweiten Reihe standen. Wir fanden nichts. Daraufhin fuhren wir kreuz und quer durch die Stadt, ohne eine Spur vom gesuchten Hotel zu finden. Auch die wenigen Passanten, die wir trafen und fragten, hatten keine Ahnung, wo sich dieses ominöse Hotel befand.
Erneut fuhren wir von einem Ende von Sainte-Anne zum anderen - wieder ohne Erfolg. Langsam wurden wir nervös und gereizt. Es konnte doch nicht sein, dass wir dieses verdammte Hotel nicht fanden!

Wir machten eine kurze Pause, während der wir beschlossen, die Stadt zu verlassen und irgendwo auf einen Parkplatz zu fahren, um dort im Auto zu übernachten. Auf der Straße zwischen Flughafen und Saint-Anne war uns kein Parkplatz aufgefallen, weshalb wir die Stadt in entgegengesetzter Richtung verließen. Zu unserer Enttäuschung gab es aber auch dort während der nächsten zehn Kilometer keinen Parkplatz und so suchten wir nach einem Seitenweg, auf dem man das Auto abstellen konnte. Endlich fanden wir auch einen und ich bog in ihn ein. Um nicht direkt neben der Straße zu stehen, folgte ich dem Weg, der immer enger wurde und schließlich auch noch steil anstieg. Schnell kam unser Auto an seine Grenze und nicht einmal das Herunterschalten in den ersten Gang verhinderte, dass der Motor stehenblieb. So schräg konnten wir unmöglich stehenbleiben, weshalb ich versuchte, trotz Dunkelheit und Müdigkeit rückwärts wieder aus der Sackgasse herauszukommen. Das gelang mir zum Glück auch ohne Schaden anzurichten, aber nun hatten wir immer noch keinen Schlafplatz gefunden und so fuhren wir weiter weg von Saint-Anne. Nach wenigen hundert Metern dachte ich, ich hätte eine Halluzination, denn vor uns tauchte ein großes Schild auf, das uns darauf hinwies, dass wir in Kürze „Pierre et Vacances“ erreichen würden. Wir trauten unseren Augen nicht und erst als wir vor dem Tor der Anlage standen, war uns bewusst, dass wir es doch noch geschafft hatten.

An der Rezeption konnten wir uns anmelden und bekamen den Schlüssel für das Hotelzimmer sowie eine Chipkarte zum Einschalten des Stromes.
Ein Wachmann ging vor uns her und zeigte uns den Weg zum Gebäu­de, in dem sich unser Zimmer befand. Während wir unterwegs waren, er­losch plötzlich die Außenbeleuchtung der Anlage. Zum Glück hatte der Wachmann eine Taschenlampe, mit deren Hilfe wir unser Zimmer fanden und aufschließen konnten.
Neben der Eingangstür befand sich der Sicherungskasten, der oben einen Schlitz hatte, wie ich im Schein des Mondlichts feststellen konnte. In diesen Schlitz musste die Karte eingeführt werden – aber wie? Da die Karte quadratisch war, gab es acht Möglichkeiten, sie in den Schlitz zu stecken. Ich versuchte sie alle nacheinander, während meine Frau immer wieder einen Lichtschalter betätigte, aber die Lampe blieb dunkel. Ich konnte mir nur vorstellen, dass ich genau die eine, richtige Möglichkeit ausgelassen hatte, war aber zu erschöpft, um es noch einmal zu versuchen.
Während meine Frau die Tür offenhielt, holte ich unsere Koffer aus dem Auto. Dann zogen wir uns aus, legten uns auf das große Doppelbett, tranken die kleinen Fläschchen Bordeaux leer, die wir im Flugzeug bekommen hatten und waren im Nu eingeschlafen.

Mir kam es vor, als hätte ich erst ein paar Minuten geschlafen, da weckte mich ein unangenehmes Geräusch, das sich als Telefonklingel ent­puppte. Erstaunt hob ich den Hörer ab, da ich nicht wusste, wer uns denn dort anrufen sollte.
Am Telefon war eine Mitarbeiterin der Autovermietung, die mir sagte, dass ich das falsche Auto hätte. Ich sollte es umgehend zurück zum Flughafen bringen oder für jeden Tag einen Zuschlag zahlen.
Es war kurz nach sieben Uhr morgens Ortszeit und demzufolge strahlte schon die Sonne am Himmel. Jetzt wollte ich aber endlich den Strom einschalten, denn das Badezimmer hatte kein Fenster und so tappten wir darin völlig im Dunklen. Wenn ich aber gedacht hätte, dass ich halbwegs ausgeschlafen und bei Tageslicht mehr Erfolg dabei haben würde, so hatte ich mich geirrt. Die Lampen blieben dunkel.
Nach dem Duschen bei offener Badezimmertür zogen wir uns karibisch leichte Kleidung an und gingen zur Rezeption. Dort wollte ich mich beschweren, dass wir keinen Strom hatten, aber der Mann an der Rezeption wusste es schon und sagte mir, dass seit gestern Abend auf der gesamten Insel der Strom ausgefallen sei. Er wies auf einen Gaskocher, auf dem ein großer Topf mit Kaffee stand und bot uns an, ein Kännchen davon zum Frühstück mitzunehmen, was wir auch taten.

Während des Frühstücks resümierten wir nunmehr erheitert, wie die gestrige Anreise verlaufen war. Vor allem lachten wir darüber, dass wir kurz vor dem Hotel im Auto übernachten wollten. Auch die Geschichte mit den vergeblichen Versuchen, die Karte für den Strom richtig herum einzuführen, war sehr komisch. Wer hatte auch ahnen können, dass die Elektrizitätsversorgung auf der ganzen Insel zusammengebrochen war? Außerdem wussten wir jetzt, dass es ganz egal war, wie herum man die Karte in den Schlitz steckte.
Nach dem Frühstück fuhren wir los, um das Auto umzutauschen, Geld abzuheben und einzukaufen. Als wir einen Geldautomaten gefunden hatten, hielt ich an und wollte gerade aussteigen, da sah ich eine finstere Gestalt auf uns zukommen. Sein Gesicht war dominiert von einem wilden schwarzen Bart, die Haare waren lang und ungepflegt und seine Kleidung war total zerlumpt. Außerdem war er mit einem riesigen Buschmesser bewaffnet. Ich ließ den Motor wieder an und wollte gerade einen Alarmstart vollführen, da bog der wilde Kerl ab und steuerte direkt auf den Geldautomaten zu. Jetzt wollten wir aber sehen, was er da trieb und ich fuhr noch nicht los. Vielleicht wollte er den Geldautomaten mit seiner Machete knacken und das Geld rauben.
Erstaunt sahen wir, wie sich der vermeintliche Räuber an der Tastatur zu schaffen machte, wobei ihn sein Buschmesser arg behinderte. Dann zog er plötzlich Geld aus dem Automaten, zählte nach, steckte es ein und verschwand.
Wir schauten uns verblüfft an. Wer hätte gedacht, dass dieser Furcht einflößende Geselle ein Girokonto besaß? Wieder einmal zeigte es sich, dass man Menschen nicht nach ihrem Äuße­ren beurteilen sollte. Wie wir später bemerkten, gab es auf der Insel viele Männer wie ihn. Es handelte sich um Landarbeiter, die die Machete zur Ernte von Zuckerrohr benutzten.
 

Aus dem Kapitel Guadeloupe (Kleine Antillen) meines Buches
"Wer nicht fährt, der fliegt"


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Kommentare (7)

Meerjungfrau43

Eine schöne, abenteuerliche Geschichte !
Ja, vieles ist dort anders, man muss manchmal ganz schön Geduld haben !
Ich kann mich an diverse Urlaubsfahrten mit Auto erinnern, auf La Palma, Gomera u.a.

Rosi65

Hallo Wilfried,

manch einer würde sich wahrscheinlich gar nicht mehr vor die Tür wagen, nachdem er solch einen Urlaubsstart der besonderen Art, der eigentlich mehr an einen Einsteigerkurs für Überlebenstraining erinnert, erlebt hätte.

Klasse geschrieben !

  .M.f.G.
​​​​​​  Rosi65




​​​




 

Wilfried

@Rosi65 
Vielen Dank, liebe Rosi. Ich werde mir Mühe geben dieses Niveau zu halten. In meinen Büchern gibt es jedenfalls noch genug Stoff für viele weitere Blogs dieser Art.
Viele Grüße
Wilfried

Edit

Hallo Wilfried,
nachdem ich dein Buch  „Onkel Bürgermeister“ mit großem Interesse und „Reisehusten“ mit Vergnügen gelesen habe, stehen deine anderen Bücher bei mir natürlich auch auf der Agenda. 
Viele Grüße 
Edith 
 

Wilfried

@Edit 
Es freut mich sehr, dass dir meine Bücher gefallen, liebe Edith. Ich bin sicher, dass du auch die restlichen drei unterhaltsam finden wirst.
Ich habe die Lektüre deines Buches "Junge Jahre in Berlin" übrigens auch sehr genossen.
Viel Spaß beim Lesen und herzliche Grüße
Wilfried

Virginia

Gefllt mir wieder sehr gut, lieber Wilfried 😄. Es ist schon ein Ritual, dass ich mich samstags - mit einer Tasse frischen Kaffees - gegen mittag auf die Suche nach Deinem neuen Beitrag mache.

LG
Virginia

Wilfried

@Virginia  Das freut mich sehr, liebe Virginia. Ich hoffe, dass es mir noch sehr lange möglich sein wird, diesen Ritus aufrecht zu erhalten.


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