Hartmut.

Es war ein strahlender, warmer Septembertag.

Meine Schwester hatte Semesterferien und hatte mich, die Kleine, nach Königsberg/Ostpr.
in die Obhut meiner Tante gebracht. Meine Mutter wurde, wegen der nächtlichen Bombenangriffe,
mit meinem jüngeren Bruder nach Oberösterreich evakuiert.
Mein Vater war an 1. September 1939 eingezogen worden. Die ganze Familie war durch die Kriegsereignisse auseinandergerissen.


„Was fangen wir heute an ?„ fragte mich meine Schwester.“ Wollen wir auf dem Schloßteich Kahn fahren? “
„Ja, gerne, “ sagte ich und wir gingen die kurze Strecke bis zum See.

Ruth hatte ihre Uhr vergessen und so fragte sie kurz entschlossen einen jungen Landser,
der ziemlich ziellos herum schlenderte, nach der Zeit. Schließlich wollte sie wissen,
für wie lange wir einen Kahn mieten konnten, um rechtzeitig zum Essen zurück zu sein,
denn meine Tante nahm es mit den Mahlzeiten sehr genau.

Der junge Mann fragte meine Schwester höflich, ob sie etwas dagegen hätte,
wenn er mitführe. Sie hatte nichts dagegen. Warum sollte sie einem jungen
Soldaten, der auf Urlaub war, diesen Wunsch abschlagen?

Ich kam mir während der Fahrt allerdings ziemlich überflüssig vor, denn mich beachteten sie kaum noch, so angeregt unterhielten sich die beiden.

Dafür lernte ich das Rudern. Ich weiß noch, dass ich im stillen dachte, na wartet, bis ich groß bin.

Als die Kahnfahrt zu Ende ging, verabschiedeten wir uns und ich hörte noch, wie Hartmut,
er hatte sich selbstverständlich vorgestellt, Ruth fragte, ob sie sich wiedersehen könnten.

Hartmut musste wieder nach Russland an die Front und es entstand ein reger Briefverkehr
zwischen Ruth und ihm. Ich nehme an, daß sie sich auch später öfter begegnet sind.

Jahre vergingen. Ruth hatte geheiratet. Zuerst hatte sie eine Anstellung in Solingen als Lehrerin,
später war sie Prokuristin in der eigenen Firma. Sie hatte Hartmut vergessen.

Ich nicht. Denn nach unserer Ausbombung 1943 hatte uns jemand anonym
Geld geschickt und ich hatte immer das Gefühl, das er es gewesen war.
Das mußte aber nicht stimmen.

1985 erkrankte meine Schwester an einer unheilbaren Krankheit.

Sie war immer eine mutige Frau gewesen, ja, manchmal sehr waghalsig.
Das hatte sie später, bei ihrer Flucht aus Westpreußen, wo sie ihre erste Anstellung hatte, bewiesen.
Als sie erkannte, dass der Treck niemals in den Schneemassen weiterkommen würde, hatte sie sich von ihm getrennt und sich auf eigene Faust durchgeschlagen und kam nach schlimmen Erlebnissen, völlig erschöpft, in Oberösterreich an.

Als sie wusste, daß keine Heilung möglich war, zog sie die Konsequenz.

Am 5. August 1985 starb sie.
Drei Tage später, früher hatte mein Schwager es nicht übers Herz gebracht, mich zu benachrichtigen, rief er mich an und teilte mir das Geschehene mit.

Kaum 10 Minuten, nach diesem Gespräch, ich stand noch ganz unter Schock, schellte
das Telephon wieder und eine Männerstimme sagte:

“ Mein Name ist Sattler.“ Ich hatte ihn als Kind in Königsberg zuletzt gesehen und sagte sofort
“Hartmut? “

„Ja,“ sagte er,“ woher wissen Sie meinen Vornamen?“ Er war vollkommen überrascht.
Ich sagte ihm, weil ich nur einen Herrn Sattler kenne.

Er hatte meine Schwester und uns gesucht. Lange war er in russischer Gefangenschaft gewesen
und hatte nach seiner Heimkehr ein Lehrerstudium in Berlin absolviert.

Er war verheiratet. Konnte Ruth aber nicht ganz vergessen.
Während eines Urlaubes in Oberösterreich, suchte er den Ort auf, in dem wir früher evakuiert
waren. Auch ich war inzwischen wieder bei meiner Mutter.

Meine Anschrift erfuhr er von der Gasthauswirtin, die meine Klassenkameradin gewesen war, und nun rief er mich an.

Ich musste ihm, noch ganz benommen, die Wahrheit sagen.
Er war ganz nahe, rief vom Hotel Post in Horn an. Ich bat ihn zu kommen, denn ich wäre froh
gewesen, wenn ich mit jemandem über meine Schwester hätte reden können.
Aber er war nicht alleine.

Später rief er täglich von Berlin an. Immer gegen 14 Uhr 10.
Dann führte er seinen Hund aus und hatte einen Vorwand.

Er erzählte mir, daß er immer am 19 September, Ruths Geburtstag,
rote Rosen in die Spree würfe. Wir sprachen lange und er sagte mir,
daß er bei der Bank schon auffiele, weil er immer Markstücke brauchte.

Langsam merkte ich, daß seine Gefühle für Ruth auf mich übergingen.
Er war ein angenehmer Gesprächspartner. Aber es kam, wie es kommen musste.
Mein Mann sah es nicht gerne und ich musste ihm das sagen.

Er rief nicht mehr an.

Lieber Hartmut, danke für die Rosen für Ruth.
Danke für unsere guten Gespräche.
Verzeih`, wenn ich Dich gekränkt habe.

Sarahkatja

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Kommentare (2)

sarahkatja Liebe Marianne,
dann sind wir fast gleichaltrig. Damit sie nicht ganz verloren gehen, darum schreibt man die Erinnerungen auf. Du wirst sicher auch einiges erlebt haben, das wert wäre, erhalten zu werden. Vielleicht lesen es später einmal die Kinder oder Enkel iund sind erstaunt, dass die, die sie nur als ältere Menschen kennen, auch genau so jung und oft auch töricht waren, wie sie selber.

Einen lieben Gruß sendet Dir Sarahkatja
marianne für die Geschichte!
Sie hat mich sehr bewegt.
..Manchmal denke ich, wir, die wir (ich beispielsweise in Württemberg) nicht Vertriebene oder Ausgebombte waren, wir hatten es besser....
natürlich: eine unglückliche Liebe kann jede/n treffen!

Dir wünsche ich alles Liebe und grüße, Marianne (Jahrg. 1936)

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