Wie einfach, wieder auf den Straßen lang zu gehen, zu radeln, per Bus oder Straßenbahn zu fahren, auf denen ich das Laufen erlernte. Mein Gott, wie viele zig Jahre ist das her?! Aber ich erkenne sie wieder, auch wenn sich vieles im Laufe der Zeit verändert hat.

Wenn ich heute nach Oberschöneweide fahre – wer läuft schon vom S-Bahnhof Schöneweide in Niederschöneweide die Brückenstraße hoch?! – dann gibt es nicht mehr das AEG-Kabelwerk alter Art, doch die Fabrikbauten im gelben Klinker sind noch da.

Da in der Brückenstraße hat man mich bei einem HNO auf den Stuhl geschnallt, mir eine Maske aufs Gesicht gedrückt – als ich wieder aufwachte, schmeckte die Spucke nach Blut, ich lag auf einem Bett, und Mutter auch, die hatte einen Lichtkasten über dem Kopf gesetzt. Wir fuhren mit der Taxe heim.

Die Brückenstraße geht bis zur Spree. Über die Treskow-Brücke geht es in die Edisonstraße, die überquert die Wilhelminenhofstraße. Und an der Ecke Wilhelminenhofstraße Ecke Edisonstraße gibt es nicht mehr den Kaffee-Laden der „Zuntz’s selige Wittwe“, woher doch die übergroße Kaffee-Büchse stammte, die zu Hause die Weihnachtsbäckerei und besonders die Dresdner Stollen aus Mutters Handfertigkeit aufbewahrt wurde.

Die Edisonstraße geht weiter in Richtung Karlshorst. Da geht zwischendrin links die Siemensstraße ab, die zurück nach Niederschöneweide führt. Rechts ging die Rathausstraße ab, die heute (seit wann?) die Griechische Allee ist. In dieser Straße lebten wir bis 1936, Ecke Parsevalstraße.

Vom Herrenzimmer, vom Kinderzimmer und von Opas Zimmer konnte man hinüber zur ST.Antonius-Kirche blicken. Eigenartig: 1936 zogen wir raus nach Eichwalde, in der Nähe steht die Kirche St.Anton, und gerade bin ich aus Ingolstadt zurückgekehrt, wo mich allmorgendlich das Geläute der vom Balkon aus sichtbare Kirche St.Anton wecken wollte (ich war aber immer schon wach).

Wenn man nach einem Renntag in Karlshorst ein Feuerwerk los ließ, dann konnten wir vom Balkon aus die Leuchtkugeln aufsteigen sehen und das Grollen der Böller war zu hören. Die Rennbahn gibt es noch. Dahinter hat sich der Tierpark ausgebreitet, den gab’s damals noch nicht. Aber schön ist er.

Die Straßenbahn fährt noch immer vom S-Bahnhof Schöneweide nach Karlshorst. Was sie nicht mehr tut? Sie koppelt nicht mehr den zweiten Anhänger in der Treskow-Allee an oder ab, da fahren heute die Tatras und die Niederflurwagen der Straßenbahnen.

Lange, lange hat es gedauert, bis man die im Krieg zerstörte Stegbrücke Kaisersteg über die Spree wieder aufgebaut hat. Nun steht sie und mein Spatz und ich radeln so dann und wann da von Niederschöneweide nach Oberschöneweide, wenn’s zur Wuhlheide geht. GoogleMaps kennt den Steg noch nicht.

Der Kindergarten, den ich bis 1936 besuchte, war in einem Klinkerbau in der Firlstraße, gleich gegenüber der Christuskirche, wo unsere Schwester Eleonore getauft wurde. Damals betreuten uns dort Diakonissen, wie es heute damit steht, sollte ich mal nachsehen.

Auf dem Friedhof in Oberschöneweide war ich schon, klar, dass Tante Trudchens Grab und Opas Urne nicht mehr zu finden sind nach den vielen, vielen Jahren. Etwas schwieriger hätte unsere Mutter es mit uns dorthin zu gelangen: die Straße „An der Wuhlheide“ ist mächtig stark befahren.

Aber ein Spaziergang durch die Wuhlheide lohnt sich – das Gatter mit den Wildschweinen gibt es nicht mehr, dafür fährt da eine „Pionier“-Eisenbahn, und dann ist da auch ein Parkabschnitt, wo Baudenkmäler in Miniatur ausgestellt sind.

Wo ich getauft wurde, in der Friedenskirche in Niederschöneweide: da sieht es etwas ärmlich aus, die Kirchengemeinde ist wohl nicht sehr groß. Im Krieg hat man daneben einen hohen Luftschutzbunker gebaut, der ist (Gott sei Dank) verschwunden.

Schöneweide kann ich jetzt immer wieder passieren. Da gibt es am Bahnhof ein Einkaufszentrum, so auch für die, die nicht blöd sind. Aber sonst wird da immer umgestiegen zwischen Spatzens Zuhause in Johannisthal und meinem in Plänterwald. Das Bürgeramt befindet sich auch da – bin nun wieder Berliner.

ortwin

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Kommentare (2)

henryk ,...du warst immer fuer mich schoen....Lieber Ortwin....deine Geschichte hat mir sehr gefallen..wie immer.....Ein frohes Weihnachtsfest fuer dich und deinem Berlin....HenrykBerlin Henryk
Traute Nun bist Du angekommen, Glück und viele schöne Erlebnisse und die vertrauten Erinnerungen, wünsche ich dir im alten zu Hause.
L.G.Traute

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