Henne Ilse mit blauem Pioniertuch


und wie schon bei Henry, dem Miststück, erwähnt, lebte Henne Ilse außerhalb des Hühnerzoos, begrüßte die Hausfrauen mit ihren Backblechen auf der Ballustrade an der Hintertür der Backstube und hatte für jeden ein freundliches Glucksen. Ilse kam mir entgegen, wenn ich aus der Schule kam, ich nahm sie in den Arm, streichelte sie, gab ihr Leckeres zu fressen und setzte sie wieder auf ihren Lieblingsplatz. Ilse war glücklich mit mir und ich mit ihr. Bis zu meinem 10-ten Geburtstag. Und das war so.....
Ich ging wie immer in die Schule, mein Platz war mit Blumen gekränzt, die Klassenkameraden standen auf und sangen irgendein Pionierlied.
Na, das paßte genau zu mir. Der Direktor und die Klassenlehrerin standen Spalier und überreichten mir: ein blaues Pioniertuch! Schluck.?!-- und denke...und sage nichts.
Das gelang mir auch, nur zu Hause ging die Hölle los. Den Scheuerlappen trage ich nicht mal als Unterhose...das Ding fliegt in den Ofen...ich mag dieses blöde Getue nicht...ich bin doch sowieso zum Kartoffelkäfersammelm eingeteilt...ich will nicht zu den dämlichen Versammlungen gehen...usw. Meine Eltern standen wortlos einem tobenden Kind gegenüber und waren sprachlos. Nicht lange......im Laden war Kundschaft, die wohl meinen Tobsuchtsanfall mitbekommen hatte. Ausgerechnet auch noch die Frau des Direktors: Elschen mit dem Klitschkuchen. So hieß sie bei uns. Sie lispelte recht stark und dann spreche man mal Klitschkuchen aus. Das nur nebenbei, jedenfalls kam der "Scheuerlappen" bei der Direktion an. Die Situation wurde sehr brenzlig. Kurzentschlossen bekam meine treue Ilse das Tuch umgehängt und auch fachgerecht mit Pionierknoten ausgestattet, saß sie Tag für Tag auf ihrem Posten, ein echter Pionier im Kundenempfang. "Vater" lachte sich 'nen Ast und Ilse saß und freute sich über die Brosamen der Kuchen, die zum Abbacken gebracht und wieder abgeholt wurden. Ilse trug ihr Schultertuch bis zum Ende ihrer Tage. Es schien ihr wohl zu sein.
Aber eines Tages kam der "Meister" an mein Bett und sagte mir, daß Huhn "Ilse" verstorben ist. Gemeinsam haben wir Ilse mit Pioniertuch im großen Ofen der Bäckerei bestattet.
Das war Ilse mit meinem Pioniertuch.
Schön für sie, ein Pioniertuch, in dem sie sich wohlfühlte und eine wunderbare Geschichte für meinen Klassenaufsatz, der sich sogar der Direktor und Elschen mit dem Klitschkuchen nicht entziehen konnte. Damit rettete ich die Bäckerei vor weiteren Repressalien.

Gruß Finchen


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Kommentare (4)

finchen das glaube ich Dir. Bei uns war es etwas anders. Unsere Familie sprach innerhalb der Familie sehr offen und ich wurde so erzogen, daß kein Wort von dem, nach außen dringt. Du bist ja nun auch ein paar Tage älter als ich, für das Vorangegangene war ich zu jung und für das Folgende hatte ich schon einen instinktiven Blick. Als 1948 der Krieg in Korea ausbrach, brach ich mit einem Schreikrampf zusammen. Schon wieder Krieg und wo liegt Korea und kommt der zu uns? Das waren meine Fragen.
Grämen wir uns nicht, es kommen dennoch lustige Geschichten dabei raus.
Liebe Grüße
dar Moni-Finchen
finchen
--Die schreibe ich in "Erinnerungen" und nur für Euch!!!
Ich war ein sehr aufgeklärtes Kind, zumal mir meine Muttter von dem "sogenannten Heldentod fürs Vaterland" von meinem Vater erzählte. In unserer Familie wurde sehr offen vor mir, über das neue Regime diskutiert und erzählt. Und was sie sagten, fand in "meiner" Welt Bestätigung, ich mußte es miterleben. Ich war auch ein kleines Biest.
Nach der Art: Gefahr erkannt, Gefahr gebannt! Und der Weg über den Umweg, das hatte ich sehr schnell raus. Als nächstes werde ich die "Hefegeschichte" erzählen.
Gruß an Euch und danke für den Kommentar.
Euer Finchen
Juxman Hallo Finchen, Du scheinst ja schnell begriffen zu haben was da angerichtet wurde. Ich trug mein braunes Halstuch mit 10 Jahren mit Stolz und im Bewußtsein das richtige richtig zu tun. Aber egal, Deine erzählungen sind eine Bereicherung und ich freue mich sie zu lesen. Mit lieben Grüßen, Heiner.
Traute So klug war ich damals leider nicht, ich war stolz so ein Tuch zu bekommen, damals.
Und als ich aus der Klasse ausgewählt wurde zu den Weltfestspielen nach Berlin zu fahren war ich auch stolz und aufgeregt.
Die Ansichten änderten sich erst viel später.
Aber meine Stiefmutter erzählte , wie es ihr beinahe schlecht ergangen wäre, als sie in der Schule nach dem Beruf Hitlers gefragt wurden rief sie stolz Nachtwächter, denn das Hatte ihr Vater, mein Stiefopa gesagt.Der Lehrer hat einfach weiter gefragt und in der Pause ein Wörtchen mit ihr gesprochen, ein Glück für sie und ihren Vater....
Aber Deine Geschichte ist ganz bezaubernd und die Moral von der Geschicht, Pioniertuch aus der Hühnchensicht
Liebe Grüße,
Traute

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