Henry , das Miststück und Henne Ilse mit blauem Pioniertuch


es war 1949: meine verwitwete Mutter heiratete einen Bäckermeister mit eigener Bäckerei und großem Hühnerhof. Die Freiheit lachte wieder und mein Herz schlug Purzelbäume. Der Hühnerhof wurde zu meinem Revier und mein Stiefvater war voll des Lobes, wenn es um die Hühnerpflege ging. Der alte Hahn namens "der Weiße" erschlaffte so langsam und seine Urne wurde letztendlich der Kochtopf. Und keine Henne krähte ihm nach. Ein "Neuer" mußte her, denn schließlich wollten wir eigene Küken züchten. Ein Großonkel von mir, im Nachbardorf, hatte auch eine stattliche Hühnergemeinde und somit bekamen wir einen kleinen Italiener mit schon richtig ausgeprägtem Kamm. Die Hennen mußten sich an diesen Halbstarken gewöhnen, aber er setzte sich durch. Henne Ilse gehörte zu den ältesten und wurde unter meinen persönlichen "Kochtopfschutz" gestellt. Sie dankte es mir mit freundlichen Begrüßungen und sie war die einzige, die sich außerhalb des Hühnerstalls bewegen durfte. Ilse war ganz zahm und nahm ihren Lieblingsplatz auf der Ballustrade am Hintereingang der Bäckerei ein, ließ sich streicheln und lief aufgeregt hinterher, wenn sie einen Gartenspaten in der Hand entdeckte. Sie gurrte dann immer ganz glückich - ach, die buddeln wieder gute Würmer aus! Der neue Hahn wurde Henry gerufen, hörte aber überhaupt nicht auf seinen Namen. Jedenfalls wurde er größer, wurde schön bunt und stolzierte durchs Gehege wie ein Pfau ohne Rad. Und er wurde frecher. Die Hennen wurden ihm untertan, aber wie! Statt sie zum Futter zu rufen, wie das ein fürsorglicher Hahn macht, scheuchte er sie weg. Unsere treue Ilse ging überhaupt nicht mehr ins Hühnerhaus zum Schlafen. Sie bekam ihren Gnadenplatz im Heizraum der Bäckerei und freute sich, wenn frühmorgens der Meister kam, um den Backofen anzuheizen.
Jedenfalls wurde Henry unerträglich. Er sprang mich an und hackte auf mich ein, wenn ich das Hühnerhaus sauber machte. Er sprang meinen Stiefvater an und hackte ihm auf seiner Glatze herum und wurde unerträglich, auch für die Hennen. Es wurde die reinste Vergewaltigung seiner Hennen und sie liefen davon, wildschreiend und gackernd. In dem Hühnergehege war nicht nur die Jauchengrube, sondern auch ein Pflaumenbaum mit goldgelben Fruchtfleisch, sehr schmackhaft und süß. Die Jauchengrube war mit einem metallenen Gitter abgedeckt und ziemlich verrostet. Eines Tages kam es, daß "Henry" mal wieder hinter mir her war, weil ich das Hühnergehege durchgeharkt habe und die Wassernäpfe auffüllte und er zum Angriff startete. Die Harke war nicht mehr in meiner Hand und ich stand wehrlos diesem durchgedrehten Hahn gegenüber. Er griff an, ich ging einen Schritt rückwärts und stand auf dem maroden Gitter. Es dauerte nicht lange, es war wie in Zeitlupe und das Gitter bog sich nach unten und immer weiter bis es "knack" machte und ich in der Jauchengrube hing. Es sackte immer weiter, ich schrie aus Leibeskräften um Hilfe und sackte und sackte abwärts. Unsere Nachbarin hörte mich und alarmierte sofort meinen Stiefvater. Ich hing bis zum Hals in der Jauche. Mit vier Leuten holte mich dann aus dieser verzweifelten Lage raus. Zwei zogen am eingebrochenen Gitter und zwei an mir. Und Henry stolzierte mit aufgeregtem Gekreische um diese "Retter"
herum und versuchte sogar noch den einen oder anderen zu hacken. Als ich stinkendes Bündel endlich wieder festen Boden unter den Füßen hatte, stellte mich mein Stiefvater zwischen die Tomatenpflanzen im Gemüsegarten, direkt unter dem Backstubenfenster, Befehl: "stehenbleiben" und raste los, packte Henry und drehte ihm den Hals um. Raste zurück und kam mit einem Gartenschlauch ans Backstubenfenster und spritzte mich ab, während ich langsam die Klamotten auszog. Mein erster Strip in aller Öffentlichkeit. Mutter hatte inzwischen die Badewanne gefüllt und Badesalz mit großzügiger Bemessung der Menge, eingelassen. Mensch, war das gut..........
Gerochen habe ich noch immer nach Jauche, bildete ich mir ein. Alle habe ich an meiner Haut riechen lassen und nachdem alle bestätigten, daß ich frisch gewaschen roch, entschwand dieser Geruch aus meiner Nase....
die nächste Geschichte: Ilse und der "blaue Scheuerlappen"
Finchen

Anzeige

Kommentare (4)

finchen noch immer. Meine Schwester in NRW schaffte sich auch Hühner an und Tante Moni reiste dorthin, nachdem Glucke Henriette brütete. Mensch war das schön, als man die Küken schon im Ei piepsen hörte. Meine Schwester, die noch nie Hühner hatte, geschweige eine eigene Brut verfolgen konnte, sie ließ das Ei vor Schreck beinahe fallen. Hühnchen klopfte schon und piepste. Jetzt dauert es nicht mehr lange. Herrlich, es wurden 6 Stück. Aber Tante Moni war ja da!
Grüßchen Moni-Finchen
Traute ist das eine schöne Geschichte, am herzlichsten kann man ja lachen, wenn's am Ende gut ausgeht.
Die Hähne können sehr aggressiv sein.Mein Vater hatte eine eingeborene Mecklenburgerin geheiratet und mit ihr 3 Halbgeschwister für mich und meine Schwester bekommen. wir hatten auch Hühner und da mein Vater dienstlich über die Dörfer fuhr, hatte er oft im Sack Besonderheiten, wie Ferkel und eben auch einen Hahn, mitgebracht.
Der Hahn war ein Rodeländer und alle Nachbarn fragten ihn wo er den prächtigen Kerl her habe.
Der Hahn griff jeden an. zuletzt meinen kleinen Halbbruder. Der lag am Boden und der Rodeländer hatte ihm in der Schläfe ein Loch gehackt. Mein Vater nahm den stolzen Hahn und die Axt wurde mit dem Hackstock zusammen ein Fallbeil.
Der Hahn hatte fast das Gewicht einer Gans.
Danke für die Geschichte, interessant und Erlebnisse ins Gedächtnis rufend.
Ganz liebe Grüße,
Traute
finchen in dieser stinkigen Angelgenheit wäre selbst der Deo-Stick nur zum Geruchsverstärker geworden-
Gruß Moni-Finchen
Juxman Eine köstlich stinkende Geschichte. Heute hättest Du ein Deo gehabt.Liebe Grüße, Heiner.

Anzeige