HERBST


Man merkte es schon, es war Herbst. Sie zog fröstelnd die Schultern hoch und zog den Schal enger. Der kühle Wind wirbelte die Blätter auf und ließ sie als bunte Farbkleckse wieder zu Boden fallen. Sie fallen sanft und zögernd auf den feuchten Waldboden und wiegen sich noch ein letztes Mal, als wollten sie sich aufbäumen gegen das Schicksal und hätten Angst vor der Unausweichlichen, dem Vergehen.

Sie horchte angestrengt in den dichten Wald hinein um das Raunen und Ächzen der Bäume zu hören. Die Zweige bewegten sich im Wind und zauberten zarte Sonnenkringel auf den Waldboden. Der Geruch von Pilzen vermischte sich mit dem feuchten würzigen Geruch des Herbstwaldes.

Sie schloß die Augen und lehnte sich an einen der dicken Baumstämme. Aus dem Nebel vor ihrem geistigen Auge tauchte langsam ein Gesicht auf und traurige Augen blickten sie stumm an. Dieses Gesicht war zum Greifen nahe, sie vermeinte seinen Atem zu spüren und hob ihre Hand um es zu berühren; da löste sich der Nebel auf und mit ihm verschwand es. Es war ein Gesicht aus vergangenen Tagen, aus der Zeit des Sommers, aus der Zeit der Gefühle, des Lachens und von wunderbaren, bis dahin nicht gekannten Gesprächen darüber und tiefes Verstehen. Es war die kurze flüchtige Begegnung zweier Menschen während eines kurzen Zeitraumes ihres Lebens, losgelöst vom Alltag und zusammengeführt durch einen Zufall. Es gab Spaziergänge durch diesen Wald, stilles Verweilen und scheue Berührungen. Der Abschied und Verzicht waren vorprogrammiert und unausweichlich.

Dieser Abschied war ein schwieriger Prozeß, der sich hauptsächlich im Kopf abspielte und die rebellierenden Gefühle nicht unter Kontrolle brachte. Die Sehnsucht, seine Hände in den ihren und seine Nähe neben sich zu spüren, seine Blicke mit den ihren festzuhalten, war noch immer übermächtig.
Doch der Sommer verging.
Der Herbst zog ins Land und mit ihm die Kälte.
Der Winter stand schon wartend vor der Türe.

Sie fröstelte und zog den Schal noch enger um ihre Schultern.



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