Ich bin rücksichtslos! :)


Hier geht das Schuljahr langsam zu Ende. Wegen des kirchlichen Festtages (Fronleichnams) besonders früh dieses Jahr (Mitte Juli). Paar Wochen früher müssen die Eltern von den Schulen benachrichtigt werden, dass dem Sohn oder der Tochter möglicherweise eine ungenügende Note gestellt wird. Ich finde so etwas absolut unnötig, wo es ja ein elektronisches Klassenbuch gibt, und wo sich die Eltern persönlich, telefonisch, oder per Mail danach das ganze Jahr lang erkundigen können, wie es ihren Kindern so geht. Verstehen muss ich es trotzdem, die Schulen wollen dann nicht vor Gericht gestellt werden... Was für Quatsch, möglich aber heutzutage.

   Und so habe ich heute mit einigen Schülerinnen und Schülern noch gesprochen, deren meiste Noten schlecht waren. Einige Personen haben was vorbereitet, erzählt oder gelesen und übersetzt, und die konnten sich nicht mehr von der ungenügenden Note auf dem Zeugnis bedroht fühlen.

   Ein Junge aber wollte seine schlechte Situation nicht richtig verstehen. Er hat mehrere Unterrichtsstunden versäumt, im ersten Semester schlechte Noten gehabt, und nun standen in seiner Rubrik nur drei ungenügende Noten da, sonst nichts. Wir haben einmal in der Woche leider nur Unterricht. Beim letzten Mal habe ich gefragt: Gibt es jemand, der oder die heute antworten möchte? Freiwillig? Denn das nächste Mal wird schon das letzte. Der erwähnte Junge hatte sich nicht gemeldet. Es war klar, dass es heute eine letzte Möglichkeit für ihn geben wird, die Noten zu verbessern.

   Der Schüler, nennen wir ihn Sebastian, benahm sich meistens im Unterricht als wäre er der Schuldirektor, der mich gutmütig kontrolliert. Oder wie ein Schürzenjäger, der allen Mädchen in der Klasse eine Ehre erweist, indem er sie (dumm) anlächelt. Heute war es nicht anders. Als ich ihn dann fragte, was er für heute vorbereitet hätte, war an ihm zu sehen, dass er keine Ahnung hat, was da überhaupt vorbereitet werden könnte. Wenn von mir gezeigt, was da vorzulesen oder zu erzählen wäre - kein Wort gesagt.

   Eine ungenügende Note (eine vierte also) natürlich bekommen. Auf die Frage, ob er das noch nachholen können wird, war meine freundliche Antwort natürlich: Nein. Er saß dann traurig in seiner Bank, betroffen... Wie ein Dreijähriger, wenn einen Klatsch bekommen. Und der junge Mann ist 17. Na ja. Ich bin der Meinung, dass man in der Schule nicht nur Mathe oder Bio lernen sollte - auch die Verantwortung zum Beispiel. So war es auf jeden Fall früher. Nicht immer angenehm, dafür wirksam.


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Kommentare (8)

Humorus

Ich finde Deine Geschichte aus Deinem Leben ist sehr lehrreich und kann als Vater von fünf Kindern bestätigen, Du hast richtig gehandelt. Manchmal hilft nur Druck, damit die jungen Menschen auf den richtigen Weg finden.

Lieben Gruß aus Karlsruhe

Christine62laechel

@Humorus  

Fünf Kinder, Respekt... Du hast Recht, Klaus, manchmal darf man auf Druck nicht verzichten, würde ich sogar sagen. Was die Kinder und Jugendliche am meisten brauchen, sind Liebe und Aufmerksamkeit - die sich manchmal eben durch ein wenig Druck zeigen können. Immer nur süß, immer mit einer jungen Person wie mit einem König handeln, das ist meiner Meinung nach der größte Fehler der sogenannten modernen Pädagogik.

Mit besten Grüßen
Christine

HeCaro

Liebe Christine,
ich glaube, dass der Beruf des Lehrers zu den verantwortungsvollsten und zugleich schwierigsten überhaupt,  gehört. Dazu gehört viel Idealismus und Engagement.  

Liebe Grüße, Carola 
 

Christine62laechel

@HeCaro  

Liebe Carola,

da hast Du ins Schwarze getroffen: Ohne ein wenig Idealismus und viel, viel Engagement geht es in diesem Beruf einfach nicht. Und nur damit kann man von den Schülern anerkannt werden; + eine Prise gesunde Dominanz auch noch. :)

Mit besten Grüßen
Christine

margit

Liebe Christine62laechel,

ich finde Deine Erzählung sehr interessant. An welcher Schulart unterrichtest Du?
Toll ist, dass es bei euch bereits elektronische Klassenbücher gibt, die wohl auch von Eltern (?) eingesehen werden können.

Ich kenne das Vorgehen so, dass bereits mit oder vor der Halbjahresinformation Eltern über mögliche Versetzungsproblemen hingewiesen werden (müssen), weil zu dieser Zeit noch etwas zu retten ist. Leider ist es ja häufig so, dass gerade bei schwachen Schülern das Elternhaus wenig Interesse an dem schulischen Fortkommen der Kinder zeigt.

Inzwischen ist bei mir aufgrund von ehrenamtlicher Arbeit der Eindruck entstanden, dass dem Wunsch nach einem Gesprächstermin von Elternseite (mit Migrationshintergrund) erst dann entsprochen wird, wenn sich deutsche Hilfe einschaltet. Und auch dann kam das mehrfach dringend erbetene Folgegespräch erst nach drei Monaten nach einem Zwischenfall zustande.

Ich stimme Dir zu, dass es wichtig ist, dass Schüler Eigenverantwortung für sich zu übernehmen lernen. Manche können das aber aus den verschiedensten Gründen nicht von allein und brauchen Hilfe. Das Übernehmen von Verantwortung muss ihnen gelehrt werden, und dies nicht erst zum Schuljahresende. Dass Lehrer damit überfordert sein können angesichts der vielen Problemfälle, der zu großen Klassen, der Schwere der psychischen Störungen von Schülern ist verständlich, aber dazu gibt es Hilfsmöglichkeiten anderer Institutionen. Diese müssen aber vom Lehrer vermittelt werden, da die Betroffenen und deren Eltern selbst dazu meist nicht in der Lage sind.

Margit

Christine62laechel

@margit  

Liebe Margit,

wie ich sehe, ist Dir das Thema Schule gar nicht fremd. :) Ich unterrichte an einem Schulkomplex; es gibt da hauptsächlich Berufsschulen verschiedenen Grades, und auch eine allgemeinbildende Oberschule.

   Unser elektronische Klassenbuch ist natürlich auch für die Eltern zugänglich. Und wir Lehrerinnen und Lehrer sind alle paar Wochen zwei Stunden lang am Nachmittag für die Eltern da. Da kommen ganz wenige Personen, leider. Es stimmt schon, dass die meisten Schüler aus den kleinen Orten umher stammen, und viele Eltern haben kein Auto; am Nachmittag gibt es auch nur wenige Busse.

   In schwierigen Fällen haben wir unseren Schulpädagogen, und eine Schulpsychologin auch. Wenn nötig, wenden sie sich auch an andere Institutionen, oder Spezialisten.

   Ich bin seit über dreißig Jahren Lehrerin; meine jüngsten Schüler waren 10 Jahre alt, der älteste (das war natürlich eine Schule für Erwachsene) - 43. Manchmal fühle ich mich müde, komme aber immer selbst mit den "schwierigen Fällen" gut zurecht; und es freut mich sehr. :)

Mit besten Grüßen
Christine

Manfred36

Man kann sich auch als "genialer Verweigerer" einschaukeln, zumal wenn Eltern ähnlich denken. Aber auch einen Narzissten kann ein Lehrstück wieder auf den Bodern zurückholen. Manchmal unvermeidlich.

Christine62laechel

@Manfred36  

Ja, so ist das, lieber Manfred. Der Junge kann später ein hundertprozentiger Narzist werden, sollte es seiner Persönlichkeit danach sein. Der Unterricht verlangt aber ein ähnliches Verhalten, wie später im Job. Und das muss der Sebastian jetzt lernen. Dazu ist die Schule auch da. :)

Mit besten Grüßen
Christine


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