»Ich nehme die Wahl an«


»Ich nehme die Wahl an«

Eigentlich wollte ich gestern nicht den ganzen Tag in der Nähe meines Fernsehers verbringen. Doch die Neugierde und eine gewisse Erwartungshaltung verleiteten mich, an der Glotze zwischen ARD, ZDF und Phoenix herum zu schalten, etwas aufmerksamer dem Spektakel der Wahl des Bundespräsidenten zuzuschauen. Bei dem „Kaiserwetter“ und seiner Hitze – was sollte man als aus dem Arbeitsprozeß Ausgeschiedener sonst noch tun.

Als unser erster Bundespräsident da in Bonn gewählt wurde, konnte man noch nicht so intensiv teilhaben – es gab kein Fernsehen, es gab kein Internet, vielleicht war etwas ausschnittweise in der Wochenschau zu sehen, wenn es da ein Kino gab, und da war das schon ein wenig von der Tagespresse, sofern man an die rankam, etwas beschrieben.

Und dann war es eben ein Herr Heuß geworden: Hast du den gekannt? Hast du den Herrn Adenauer gekannt, der ganz schön kräftig als neuer Bundeskanzler die Fäden zog? Da, in Hameln trat vor der Wahl zum ersten Bundestag ein Herr Kurt Schumacher auf, das gab ein paar Wellen der Aufmerksamkeit.

Ich fuhr mit dem Rad von Niedersachsen, wo die Familie nach dem Krieg notgelandet war, nach Bonn. Mein Vater radelte mit mir durch Bonn und Godesberg, ja sogar bis Mehlem am Rhein. Er zeigte mir das Aufkeimen der neuen Hauptstadt, es war etwas, was man zwischen den Trümmern so dahin nahm. Er hatte für das Neue nicht viel am Hut, hatte er die Entnazifizierung durch Aufräumarbeiten in den Kölner Trümmern hinter sich gebracht, wir hatten in der Familie einen „Mitläufer“! Es ging privat einfach darum: „Wann bekommen wir, die achtköpfige Familie, eine Wohnung da am Rhein?“ Und wir sollten doch bald in Beuel, dann in Bonn einziehen.

Bonn war überschaubar und, wenn ich mit dem Rad anstatt über die Bonner Brücke und Beuel mit der Fähre in Mehlem nach Königswinter und umgekehrt radelte, hatte ich doch da meine dritte Lehrstelle gefunden, dann konnte ich den Alten Herrn, Adenauer, in seiner Mercedes-Limousine in einen Meter Abstand neben mir warten sehen, bis uns die Fähre am anderen Ufer entließ. Und „Papa Heuß“, ja dem konnten wir schon mal, so ganz ohne baufällige Bewachung begegnen, es hätte unser Opa sein können. Einmal kam Post vom Büro des Präsidenten, als unsere jüngste Schwester als siebtes Kind in unsere Familie eintrat, da war der Bundespräsident Pate geworden.

Was sind fünf Jahre, die Zeit, die ein Bundespräsident nach der Wahl das Amt inne hat. Das Spektakel darum lief ab wie eben per Grundgesetz vorgegeben. Wir waren stolz auf diese, einen Kaiser verdrängende Figur im politisch und unpolitisch dahin fließenden Alltag. Wir nahmen teil an dem, was nicht unbedingt in der Yellowpress nachzulesen war. Man bekam die Stories um das Amt des Präsidenten mit, aber das riß einen nicht um.

Das Leben spülte uns hierhin und dorthin, Bonn war mal weiter, mal näher zu erleben. Bonn schaffte es alle fünf Jahre, die Leutchen, die Wahlmänner und –frauen unterzubringen, ihnen diese Aktion zu erleichtern, die eigentlich nur einen Tag in Anspruch nimmt. Es hatte sich eingespielt, daß die Parteien dazu das Sagen hatte, wußten, wenn sie dazu einladen mußten, um ihren gewünschten Kandidaten durchzukriegen. Aber das war für die Allgemeinheit so nebensächlich, es lief so ab. Ob ein, zwei oder gar drei Wahlgänge notwendig waren, ein Ergebnis gab es und wir bekamen einen neuen Präsidenten und dazu seine Frau.

Nun wurde der zehnte Präsident der Republik gewählt. Um zwölfe begann das Schauspiel mit über tausend Komparsen und wohl eben so vielen „Bühnenarbeitern“ und Presse-Leuten. Ich sah halb hin, hörte halb zu. Da gab es nun zwei Kandidaten, die man wichtig nahm. Andere Kandidaten sortierten sich nach zwei gescheiterten Wahlgängen aus. Der eine Mann mit honorigem Background, bereits im Rentenalter – in früheren Kulturen prädestiniert, ein solches Amt einzunehmen – der andere Mann, in der Laufzeit der Republik geboren und sich ebenfalls bewährt.

Wenn man mal in der Backstage erlebt hat, wie solche Wahlen, ob beim Kleintierzüchterverein, in Kongressen oder an Parteitagen, ablaufen, wie da zu einer Geheimen Abstimmung Strategien gepflegt werden, Schwenks stattfinden, Haue verteilt wird, erlebt hat, wie fix man als Wahlmann ausgeguckt wird und dann gesagt bekommt, wie und wann man wen zu wählen hat – für mich war das der Schlüssel zum „Ohne mich“, also bloß nicht auch zum „Mitläufer“. Nein ich wollte schon immer mein eigenes Denken einsetzen. Ich bin da eben etwas schwierig.

Es war gestern spät geworden, es war ein lehrreicher Tag – ich habe nichts anderes getan, als in der Nähe des Fernsehers zu bleiben. Und stelle dir vor: ich hatte Sympathie für alle drei Kandidaten – bringe du es erst einmal so weit, für das höchste Amt in unserem Staat in die Wahl zu gehen, dich zurecht zu finden zwischen Freunden, Skeptikern, Heuchlern und Feinden.

Wir haben einen neuen Bundespräsidenten, einen Präsidenten, der unseren Bund, unser Deutschland repräsentieren wird, er wird es mit allem Mut und Fleiß tun, so, wie es die nicht gewählten Kandidaten hätten auch getan. Am 2.Juli 2010 wird der Wahlgewinner vereidigt. I

m September bin ich wieder in Berlin, dann muß ich mir doch sein „Gehäuse“ ansehen, einmal das Schloß Bellevue besuchen, auch wenn es nur von außen ist, einmal vergleichen, wie das sich mit der „Villa Hammerschmidt“ in Bonn deckt.

ortwin

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Kommentare (3)

tilli Ja, dieser Blog ist so ganz nach meinem Geschmack. Du hast Recht. Menschen die Deutschland zu präsentieren haben, müssen für uns Alle ein Vorbild sein. Ein Mensch, der weiß, was Unbestechlikeit heißt, was dem Volke in der ganzen Welt ein Ansehen verschaffen kann.

Also, die Wahl ist richtig.
Grüße Tilli
ortwin Ein gräusliches Treten und Schlagen: der Präsident ist nach Hause gegangen - er hat doch eins.
Und nun spielen unsere Volksvertreter die "Waisen" aus dem Morgenland.
Wenn unser Präsident so Klinisch rein sein soll, dann muss auch das Wahlgremium sauber und rein sein.
Beide haben das Amt missbraucht: die einen um ihre Macht zu vervollkommnen, ein anderer um ...
Tja, wer ist sauber? Wer taugt zum Präsidenten?
Auf ein Neues am 18.März 2012!
ortwin
ortwin Nun haben wir wieder einen Präsidenten, laßt ihn hochleben!
Beruhigt haben sich längst nicht alle, regen sich noch immer auf, wie das und jenes hatte so ausgehen können.
Saure Gurken - Zeit!
Die Parteien haben ihre "Helfershelfer", die dazustoßenden Wahlhelfer ausgeguckt und einladen lassen. Schon sogleich wurden Ziele und Wünsche den Auserwählten angetragen. Ob die so immer der Weisheit letzter Schluß waren, man spielte erst einmal mit.
Geheime Wahl! Zunächst spielt man das angesetzte Match durch, die Karten (die Kopfwäsche) werden gemischt zum zweiten Ablauf. Die einen schweigen zu den Wahlergebnissen, andere posaunen, wieder andere rotten sich zusammen.
Der dritte Wahlgang hatte ein Ergebnis. Was interessiert da noch wer da so oder anders - geheim! - gewählt hat. Das Ergebnis ist brauchbar, es gibt doch nur einen Gewinner - und der muß jetzt in das Kettenhemd einziehen, muß sich lösen von der "Knappenschaft", ist von nun an eigentlich in der geforderten Parteilosigkeit ganz schön allein. Die Pfeile können ihn treffen - er darf nicht wanken, muß mäßigend dagegeb gehen.
Also, laßt das gegenseitige Kopfwaschen. Wir haben einen Präsidenten, ausstaffiert mit ausreichender Mehrheit der Stimmen der Wahlmannschaft - die in dieser Zusammensetzung so nie wieder zusammentritt.
Merke: eine Geheime Wahl gibt jedem Wählenden die Freiheit und das Recht nach seinem Geschmack, seiner Einsicht und seiner ganz persönlichen Entscheidung.
Laßt das Hinterfragen und die Kreuzigungsgänge!
ortwin

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