Ingolstadt – Berlin



Donnerstag, 10. Dezember 2009=10:56



In Ingolstadt Hbf geht es pünktlich los. Nicht kalt aber naßkalt.
Es beginnt zu regnen, das Wasser perlt in schräg verlaufenden Spuren die Fensterscheibe nach unten. Auf der Autobahn schleppen die Autos Gischtfahnen hinter sich her. Wir rasen nebenher mit 230 km/h zwischen den Tunnels nach Norden.
Nürnberg Hbf – es ist trübe, dunkel, es gießt.

Nürnberg liegt inzwischen weit hinter uns.

Ich hole den LapTop aus dem Gepäckboard.

Erlangen schon passiert.

Ich sitze im ICE 108, der von Innsbruck Hbf gekommen ist, in München Hbf Kopf machte und mich in Ingolstadt Hbf aufnahm zur Weiterfahrt nach Berlin-Südkreuz.
Im Augenblick holpert der ICE-T mit 160 km/h durch den Regen, also kein besonderer Ausblick. Was macht man da ?

Ich hatte mir zwar die „Die Chronik der Sperlingsgasse“ von Wilhelm Raabe als Reiselektüre mitgenommen, doch die Schrift in dem kleinen Reclam-Heft ist zu winzig, die Buchstaben bei dem Geholper der Strecke zu einem Satz lesbar zusammen zu kriegen.

Mein Platz 91 im Wagen 23 ist bis Leipzig gut, Fensterplatz, in Fahrtrichtung rechts zu sitzen. Wenn der Platz gegenüber dann in Leipzig Hbf noch frei ist oder wird, dann tausche ich und könnte dann bis Berlin in Fahrtrichtung links das Land durch Fläming und Mark beobachten, wenn dann das Wetter noch gnädig ist. Mit 131 km/h passieren wir gerade Bamberg Hbf (11:10).

Der Zug schleicht durch Hallstadt – liegt da was vor uns? Nein: Langsamfahrstelle – es zieht sich etwas hin bei mäßig ansteigender Geschwindigkeit – die Drehstrom-Motoren summen ihr Lied.
Wie bequem wir es doch haben! Da rollt man durch’s Land für „nur“ neunundzwanzig Euro über das Gleis, das sich durch liebevolle Landschaft – nicht alles hat „Kur“-Charakter – durch Franken, Thüringen und Sachsen – schade, wenn man doch da und dort die Fahrt einfach unterbrechen könnte, aussteigen und ruhig einen Zug später weiter, nur, um eben mal ein paar Bilder einfangend durch die so interessanten Städte zu betreten, so mit Kamera und gespitzter Nase.
(11:22) wir werden in Bad Staffelstein „gestellt“ – Baustelle ? Es wird fleißig gebaut. Überall. Es geht schon wieder weiter.

Überhaupt: Vielerorts liegt so manches bei der Bahn im Argen. Da sind Güterhallen stillgelegt, heute fährt man doch das Stückgut nur noch in Containern oder überläßt es Speditionen für den Transport auf der Straße. So sind da und dort die Gleise gerade noch zum Abstellen von ruhenden Wagons.
Und so viele Gleise überhaupt sind zugewachsen, werden nicht mehr genutzt. Fehlt der Bahn das Geld zum Rückbau – da könnte man doch sicherlich noch manchen Euro in Schrott machen.

Mit 120 km/h zieht unser Zug hinauf zum Kamm, immer noch nicht in Thüringen. Rechtskurve. Da stehen wiesen unter Wasser, hat es soviel geregnet?

Eine langgezogene Kurve, 131 km/h, ein mit Halbschranken gesicherter Bahnübergang, an dem sich eine mit Birken eingefaßte Straße ins Land schlängelt. 160 km/h, man fegt wieder los – langsam – schon wieder runter auf 117 km/h. Der Fluß neben uns ist pickepacke voll mit schnell dahin strömenden Wasser. Kronach (11:38).

Immer noch geht es bergauf, Signal voraus zeigt Hp1 und Vr0, der Zug bremst ab, 29,0 km, Pressig-Rothenkirchen (11:46), wir schleichen durch den Bahnhof. Aha! Wir nehmen wieder Fahrt auf, die Motoren singen mit immer helleren Tönen, 31,4 km …

Etwas kühl ist es hier gleich neben der Abteiltür, immer, wenn sie sich für einen passierenden Fahrgast automatisch öffnet. Vor uns muß etwas liegen, denn wir kriechen schon wieder 90 km/h ist vorgeschrieben, eine LA. Schaut man aus dem Fenster, so kann man des Zuges Spitze sich in die Kurve legen sehen, am Platz spürt man keine Fliehkräfte – der Pendolino-Effekt. Es lohnt sich jetzt hinauszuschauen, es gibt auf der einen Seite hohen Fichtenwald, auf der anderen Seite kleine Wiesen, umsäumt auch von Wald, eine kleiner Bach schlängelt sich uns entgegen.

Aha! Wir sind in der Baustelle, Steinbach am Wald (11:56), 42,0 km. Mäßige Fahrt, wir schlängeln uns bergauf, mal eine Rechtskurve, dann wieder eine Linkskurve. Ziemlich hoch, da unten liegt eine Straße mit nassem Asphalt.

Grün, grün, wir passieren Ludwigstadt (12:03) 48,0 km. Langsamfahrstellen. Da schaut man hinunter in das Tal, durch die Fenster einer Fabrik sieht man Werkbänke in Reih und Glied, Erinnerungen werden wach.

Holla, das Wasser fließt mit uns mit, also geht es nun bergab, wollen sehen, ab wann die Kilometerangaben wechseln – Fischbachmühle! Wir kriechen – ein Wegweiser zur Burg Lauenstein.
(12:08) Gleich stehen wir Vr0 – wir sind gestellt. Links und rechts Mischwald, beiderseits ansteigend.
(12:10) Durchsage:
„Vor uns ist ein Güterzug liegen geblieben! – Voraussichtlich 25 Minuten später in Saalfeld!“
– Naja, dann werde ich mal mein Frühstück herausholen.

Ich habe meinen LapTop wieder eingepackt – ich hatte nicht nachgesehen, ob es eine Steckdose unter der Sitzbank gibt, der Akku meldet sich ab, will Saft haben. Also …

Vor Leipzig Hbf waren es schon über vierzig Minuten Verspätung. Bei Ausfahrt von Leipzig waren es nur noch rund vierzig Minuten. In Südkreuz waren es nur noch dreißig Minuten.

Ich schaffte die S-Bahn nach Spindlersfeld – sie fährt ja wieder in vollem Takt. Die Bahn ist voll, einige Radfahrer sind zugestiegen: es goß draußen.

In Schöneweide stand ich gerade am Taxistand, sah meinen Schatz, sprang vor seinem Auto über die Straße – das Mädel sah mich bei dem Regen in der Dunkelheit nicht, ich hätte vor seinem Auto stehen bleiben müssen, es wartete doch das Rangieren eines anderen Autos ab, nun fuhr es weiter, hörte weder Pfeifen noch Rufen, mit meinem Klopfen auf die Heckklappe konnte es auch nichts anfangen, ging es doch darum, den gerade voraus freigewordenen Parkplatz einzunehmen. Ich riß, noch vor dem Einschwenken die Heckklappe auf, wollte schnell einladen, nein, mein Schatz stand erst in der Parklücke. Ich schmiß mein Gepäck hinten rein, Klappe zu und …

Ein recht feuchtes Wiedersehen – hat doch geklappt – der Sterndamm, ach nein, überall auf den Straßen Stau und nochmal Stau – wieso heißt das „RaschAua“ anstatt „rushhour“?

Endlich wieder in Berlin – endlich zu Hause.

Frohe Weihnachten!

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