Ja, ich weiß, wie das ist ...


Ja, ich weiß, wie das ist ...

Ja, ich weiß, wie es ist, einen innigst geliebten Menschen zu verlieren. Das er fuhr ich schon, als ich gerade sieben Jahre alt wurde. Der Krebs hatte uns die Mutti genommen, sie durfte nur 36 Jahre alt werden.

Ich fand es immer wieder schrecklich, die Mutter zu verlieren, habe mir – als ich selber Mutter geworden war – nichts sehnlicher gewünscht, als wirklich meine Kinder heranwachsen zu sehen, sie als Erwachsene noch um mich zu haben, vielleicht sogar Enkel zu erleben. Das ist mir glücklicherweise gelungen, wofür ich sehr dankbar bin.

Doch als mein Mann mit 51 Jahren an Darmkrebs erkrankte, gelang es mir noch, gemeinsam mit ihm die erste schwere Zeit erfolgreich so zu überstehen, dass er tatsächlich 20 Jahre – vermeintlich – gesund weiterleben konnte. Aber uns entzweite die Ansicht, dass es wichtig für ihn sei, sich regelmäßigen Kontrollen zu unterziehen. Das wären in den ersten Jahren halbjährliche Darmspiegelungen gewesen, weil sich verändernde Polypen rechtzeitig entdeckt und problemlos hätten entfernt werden können. In den nachfolgenden Jahren wären die zeitlichen Abstände sicherlich größer gewesen, er hätte womöglich keine Neuerkrankung mehr akzeptieren müssen, denn die Vorbereitungen zu einer Koloskopie sind das Unangenehmste daran.

Irgendwann war es ihm zuwider, dass ich immer mal versuchte, ihn zu neuerlichen Untersuchungen zu überreden, bis er mir böse an den Kopf warf: „... meine Gesundheit geht dich nichts an!“ Ich sah ja nach 20 Jahren, dass er nach den Mahlzeiten erneut wieder mit Leibschmerzen kämpfte, die er tunlichst versuchte, vor mir zu verbergen. Ich kann auch verstehen, dass man so eine Diagnose nicht unbedingt hören, erleben möchte. Aber wenn doch das Leben davon abhängt??

Auch mein Hinweis, dass ich nicht noch ein zweites Mal einen lieben Menschen an diesen Krebs verlieren wolle, bewegte nichts bei ihm. Als seine Beschwerden einfach zu schlimm wurden, ging er dann doch freiwillig, bekam erneut die Krebsdiagnose, musste wieder operiert werden, lehnte aber jede dringend empfohlene Chemotherapie ab. Natürlich blieb es nun nicht bei dieser einen erneuten Operation.

Aber er hielt mich mit aggressivem Verhalten von seinem erneuten Erleben der Erkrankung fern. Das führte schließlich dazu, dass er – auch nicht gerade förderlich für seine Gesundheit – sich jeden Abend dem geliebten Alkohol-Freund ergab. Seine provokanten Streitereien und sein Alkoholgenuss sorgten dafür, dass ich – endlich – vor acht Jahren floh. Alles Reden seiner Ärzte, unseres Sohnes (mit dem er sich auch noch deswegen zerstritt!) half nichts.

Als er sich entschloss, doch noch – vielleicht – helfende Chemotherapien zu machen, war es offensichtlich zu spät. Sein Umgang mit „seinem Krebs“ sorgte nach weiteren sieben Jahren für einen lang hingezogenen Suizid. Anders kann ich dieses sein Handeln heute nicht deuten.

Ohne Angehörige das letzte Stadium des Lebens – bei ihm – zu erleiden, ist nicht das, was ein Mensch verdient hat. Wenn man aber alle Angehörigen aggressiv von sich weist, endet ein Leben eben so … Zumindest aber ist seine Leidenszeit nun beendet.

Abschied nehmen ist immer schwer.


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Kommentare (4)

werderanerin

Ja, liebe Uschi, wenn ich deine Zeilen so lese, werde auch ich mich immer daran erinnern, dass unsere Mama, damals gerade mal 40 an Leukämie starb. Meine Schwester und ich waren gerade mal 13 und 12...all die Zeit davor sind mir noch heute leibhaftig und ganz lebendig vor Augen..., wußten wir ja garnicht, dass sie sterben musste.
Man hatte damals eben leider noch nicht all das, was heute möglich ist.

Noch heute vermissen wir sie sehr, wichtige Lebensabschnitte hatte sie nicht erleben dürfen und für uns war es mehr als nur schwer.
Aber...wir haben unser Leben gemeistert und sind "groß" geworden.

Auch du weißt, wie es war/ist, keine Mama mehr an der Seite zu wissen und wie sehr schmerzlich das alles sein kann.

Dass dein Ex nun für sich das bestimmt hat, kann man ihm ja nicht quer nehmen und ich meine aber, Männer verhalten sich eben anders, wollen es nicht wahrhaben, ihr Leben zu verändern oder zumindest auf einiges zu verzichten. Sie tun es einfach nicht, denken wohl, ach das geht schon gut...und mal ehrlich, wenn dann noch die Partnerin ständig sagt, was "richtig" wäre..., hat er ganz sicher sich erstrecht dagegen gestellt und das mit voller Absicht...

Vielleicht, liebe Uschi sehen sie sich nur selbst...aber vor allem denke ich, dass sie es nicht verstehen können, krank zu werden und einen großen Anteil daran zu haben. Sie sind ja MÄNNER... aber natürlich meine ich hier nicht alle Männer, es gibt zum Glück gerade unter den Jüngeren auch sehr Vernüftige.

Machen wir uns nichts vor, jede Sucht ist ein ganz schwieriges Thema und wird es immer bleiben, nur Derjenige selbst kann etwas dagegen machen, kein Anderer wird helfen können. Möchte man es nicht ändern, muss man auch die Konsequenzen tragen !!!

Kristine
 

nnamttor44

@werderanerin  
Hallo Kristine!
Ich weiß und wusste, dass Männer Krankheiten oft ganz anders sehen als Frauen. Ich wusste auch, dass seine Mutter mit ihrer Art dafür sorgte, dass ausgerechnet ihr Ältesster eine Phobie gegen Ärzte entwickelte. Schon aus dem Grunde habe ich nur ganz gelegentlich darauf verwiesen, dass es richtig wäre, doch "mal" eine Überprüfung über sich ergehen zu lassen. Ich habe ihm nicht ständig in den Ohren gelegen, tu dies oder das. Dazu hatte ich gar keine Gelegenheit!!

Ich weiß nicht, wie oft der Krankenhausdirektor, der selber betroffen war und in direkter Nachbarschaft wohnte, meinem Mann geraten hat, doch die Kontrolluntersuchung vornehmen zu lassen, ihm erklärt hat, warum er das machen ließ ... ICH war es nicht, die ihn ständig dort hintreiben wollte.

Ich habe es nur ein einziges Mal miterlebt, wie aggressiv mein Mann den Onkologen anging - der rächte sich, indem er die notwendige Blutabnahme doch recht grob vornahm. Da gab es ein Kräftemessen zwischen den beiden Männern ... Danach habe ich es verweigert, mit ihm zur Besprechung in die Praxis zu gehen.

Ich vermute, dass es ihm völlig egal war, wie er an seiner Krankheit zugrunde gehen würde. Nur schneller hätte er sich das Ende gewünscht. Aber es kommt halt, wie es kommt.

Uschi

 

Humorus

Eine sehr bewegende Geschichte hast Du hier aufgeschrieben und sie hat auch mich bewegt. Auch ich habe zwar noch als kleiner Junge von fünf Jahren meine Mutter (sie ist gerade 25 Jahre alt geworden) verloren und obwohl ich heute 70-zig bin hat sich diese Erinnerung in mein Gehirn gebrannt.

ganz lieben Gruß und alles Gute für Dich Klaus

nnamttor44

@Humorus  
Danke lieber Klaus für Deine guten Wünsche für mich.

Manchmal wundere ich mich, dass so vieles geschah und ich habe es überstanden, bewältigt. Zum Beispiel die Nacht, die auf den Tag folgte, als ich meinen Mann das erste Mal wegen Krebs ins Krankenhaus gebracht hatte.

Gegen Mitternacht klingelte das Telefon und ein Arzt der Intensivstation des Krankenhauses in der Stadt, in der meine Tochter lebte, riet mir, schnellstens zu kommen, wenn ich meine Tochter noch einmal lebend sehen wolle!! Sie hatte ein schweres Zucker-Koma, weil eine Grippe sie in der Ausbildungsstätte erwischt hatte, mit der sie nicht richtig umgehen konnte.

Da lag mein krebskranken Mann zu Hause im Krankenhaus, wo er am folgenden Tag operiert werden sollte, und meine Tochter lag 170 km in einer anderen Stadt auf der Intensivstation und kämpfte um ihr Leben - und draußen war Frost, Schneegestöber hatte eingesetzt ...

Mein Sohn wollte mich nicht allein fahren lassen und so stürmten wir über die frisch beschneiten Straßen und kamen zur rechten Zeit, als meine Tochter doch wieder zu sich kam und ihr Zuckerkoma mit Hilfe des Arztes überwunden hatte.

Ich habe in dieser Nacht überhaupt nicht geschlafen, tags drauf gearbeitet, bis mich der Sanitäter des heimischen Krankenhauses anrief und mir erklärte, mein Mann habe die OP gut überstanden - aber er wolle mich nicht sehen ...

Heute frage ich mich, wie ich das überstanden habe.

Danke noch einmal für Dein Lesen und Deinen Kommentar

LG Uschi


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