Die Begebenheit, die jetzt folgt, hat sich wirklich so ereignet. Ich kenne die Autorin persönlich, der das passiert ist und die diese Geschichte niedergeschrieben hat. Ich habe auch ihr Einverständnis, sie hier zu veröffentlichen. Und Du, liebe Leserin, lieber Leser, lies sie ohne an der kleinen Länge der Geschichte Anstoß zu nehmen. Es lohnt sich!

JETZT ODER NIE

"Es ist schon einige Jahre her. Ich wohnte mit meinen Eltern in einem kleinen, alten Einfamilienhaus in einer Provinzstadt. Der Besitzer des Hauses wohnte in einem anderen Ort. Meine Eltern verwalteten schon seit Jahren mit viel Einsatz und Liebe das Häuschen wie ihr eigenes. Im Erdgeschoss befand sich ein unbenutzter Ladenraum, der uns als willkommener Vorrats- und Abstellraum diente, da wir im übrigen auch sehr beengt wohnten. Der erste Stock war nämlich zur Hälfte von Flüchtlingen belegt.

Eines Tages kam ein Mann zu uns, der den unteren Ladenraum gesehen hatte und bat, ihm den Raum zum Aufbau einer neuen Existenz für sich und seine Familie zu überlassen. Meine Eltern wollten zunächst nicht; doch nach einigem Hin und Her hatte er ihr Mitleid geweckt, so dass wir einwilligten. Nach kurzer Zeit schon zog er mit seinen Maschinen in den Ladenraum ein und übte sein Geschäft aus. Ich bewunderte die Hilfsbereitschaft meiner Eltern, die unserem neuen Untermieter das Einarbeiten so leicht wie möglich machten.

Nach etwa einem Jahr zogen die Flüchtlinge aus dem ersten Stock aus. So konnten wir Herrn L. (so wollen wir ihn mal nennen, aber das ist nicht sein Name) das ganze Erdgeschoß überlassen, und er holte Frau und Kinder nach. Unsere beiden Familien lebten in gutem Einvernehmen miteinander, obwohl das Haus für zwei Familien zu klein war.

Plötzlich änderte sich über Nacht die Situation. Der Hausbesitzer mußte das Haus verkaufen, und Herr L. war durch einen besonderer Umstand in der Lage, es sofort zu erwerben. Unser bisheriger Untermieter war nun unser Hausherr geworden. Beim Kaufabschluss versprach er, dass in Bezug auf unsere Familie alles beim Alten bliebe, bis wir eine andere Wohnung gefunden hätten.

Nach einigen Wochen kam vom Gericht ein Brief mit einer Räumungsklage. Die angeführten Gründe waren verleumderisch und falsch. Wir waren fassungslos!

Meine Eltern schreckten davor zurück, vor Gericht zu erscheinen, und übertrugen mir die rechtliche Vertretung. So stand ich immer wieder Herr L. gegenüber. Ich spürte es aus allem: er wollte uns 'draußen' haben, und das sofort und mit Gewalt. Alle die Ungerechtigkeiten und Unwahrheiten, die er vorbrachte, hatten uns schwer getroffen. Meine Mutter litt auch gesundheitlich stark darunter.

Ich begann, diesen Menschen tief zu hassen. Mein Haß steigerte sich mit jeder falschen Beschuldigung und jeder neuen Verleumdung von einer Gerichtsverhandlung zur anderen.

Das Verfahren zog sich einige Jahre hin, wurde eingestellt und schließlich wieder aufgerollt, bis wir endlich nach etwa drei Jahren eine andere Wohnung gefunden hatten.

Es war ein völliger Bruch zwischen unseren Familien entstanden. Herr L. war unser Feind geworden. Man sprach kein Wort mehr miteinander uns "sah" sich nicht, wenn man sich zufällig auf der Straße begegnete.

So vergingen sieben Jahre.

Da kam eine glückliche Zeit für mich. Ich lernte nämlich in den Ferien Menschen kennen, die ihren Glauben sehr ernst nahmen und sich bemühten, nach dem Evangelium zu leben. Ich werde diese Zeit nie vergessen! Das Zusammenleben mit ihnen und ihr lebendiges Beispiel ergriffen mich so stark, dass ich ernsthaft beschloss, es nachzuahmen und einen neuen Anfang zu machen. Ganz besonders prägten sich mir die Worte ein: "Liebet eure Feinde..." und "Wenn dein Bruder etwas gegen dich hat..."

Blitzartig schoss es mir durch den Kopf, dass ich mit Herrn L. noch in Feindschaft lebte. Mir war auch sofort klar, dass ich diese Sache in Ordnung bringen musste, wenn ich auch nach dem Beispiel jener Christen handeln wollte.

Zu Haus angekommen, fühlte ich mich zwar sehr müde von der langen Reise, aber all das Erlebte machte mich sehr glücklich. Am Nachmittag zog es mich ein wenig in die Stille und ich dachte wieder an die ganze Angelegenheit, die ich in nächster Zeit in Ordnung bringen wollte. Allein der Gedanke daran verursachte mir schon Unbehagen. Doch dann traten die vergangenen Tage wieder sehr stark in meine Erinnerung, und ich sah vor mir die Großzügigkeit jener Menschen, die das Evangelium konsequent lebten. Auch ich wollte meinen Teil tun und bot Gott von ganzem Herzen den Akt meines Verzeihens an: "Ich will ihm verzeihen, ich will ihm alles verzeihen, alles, was er uns angetan hat, denn Du vergibst auch uns immer wieder."

Es blieb mir wohl nichts anderes übrig, als zu Herrn L. zu gehen. Doch das hatte wirklich noch ein paar Tage Zeit. - So meinte ich. Aber es kam anders...

Am nächsten Tag verließ ich ein Kaufhaus und sah plötzlich in einiger Entfernung Herrn L. Er ging in die gleiche Richtung wie ich.

Mein Herz begann wild zu klopfen. "Nein, lieber Gott, heute noch nicht! Heute bin ich noch nicht fähig, ihm zu begegnen. Morgen!"

Morgen? Da kam mir mein Versprechen von gestern in den Sinn, und ich spürte deutlich, so würde der Herr mich nicht wollen, denn diese Feindschaft stand zwischen Ihm und mir.

Während sich dieser innere Kampf in mir abspielte, hatte ich wie von selbst mein Tempo beschleunigt. Ich weiß nicht, wie es kam - auf einmal war ich entschlossen, ihn anzusprechen. Aber im gleichen Augenblick erschien mein Entschluß wieder lächerlich! Wie kam ich dazu, ihn anzusprechen? Ich war doch im Recht und er im Unrecht! Und wenn er mich mitten auf der Strasse auslachte? -

Aber da kam mir das Wort aus der hl. Schrift in den Sinn: "Wenn dein Bruder etwas gegen Dich hat... - versöhne dich zuerst mit ihm und dann komm."

Inzwischen war ich unmittelbar hinter ihm angelangt. "Herr L.!"

Er drehte sich ruckartig um und schaute mich an. Ich sehe noch heute sein Gesicht vor mir: großes Erstaunen, Verlegenheit, ja Erschrockenheit.

"Sie?"

Wir standen eine Weile schweigend beieinander.

"Herr L.", begann ich, "ich dachte, wir sollten uns wieder begegnen, als wäre nichts gewesen."

Ich sah, wie er schluckte.

"Was? Da kommen Sie zu mir? Wie ist das möglich?"

Dann sagte er nach einer Pause leise und verlegen: "Glauben Sie, mir hat das alles keine Ruhe gelassen. Schon ein paarmal wollte ich zu Ihnen kommen, doch brachte ich nie den Mut auf. Sie haben keine Ahnung, wie ich mich jetzt freue und wie dankbar ich Ihnen bin!"

Ich nahm nochmal einen Anlauf: "Sagen Sie bitte auch Ihrer Familie, dass nun nichts mehr zwischen uns ist."

Er sah zur Seite und ich merkte, dass er feuchte Augen hatte. "Ja, gern, von Herzen gern. Wie freue ich mich!"

Dieser große, breitschultrige Mann war tief bewegt, und uns beiden versagte die Stimme. Wir drückten uns kräftig die Hand und gingen rasch auseinander.

Während ich die Strasse überquerte, schien es mir seltsam, dass der Verkehr weiterging, als wäre nichts geschehen. Ich fühlte mich reich beschenkt und ein tiefer Friede erfüllte mich. Ich begriff das Wort: "Frieden lasse ich euch zurück, MEINEN Frieden gebe ich euch."

So erfuhr ich die Lebendigkeit dieses Seines vor zweitausend Jahren gesprochenen Wortes an mir, weil ich begonnen hatte, das Christsein ernst zu nehmen." A.A.

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Kommentare (1)

ridi wenn viele so denken würden wie du, leider ist es nicht so, ein jeder meint
er hat recht, ich glaube , dass viele auf ein nettes Wort warten
ich persönlich möchte dir sagen , du hast es goldrichtig gemacht
liebe grüsse Maria

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