Keine Glosse, nur Albträume (18.04.2009)


Keine Glosse, nur Albträume (18.04.2009)

Träume sind ja bekanntlich nur Schäume ...

So sagt der Volksmund; gottseidank!



Was ich gerne mag:

Was mir gefällt ... wenn alles so abläuft, wie man es sich immer so vorstellt, wie es ja bereits vom Karl Marx (nicht von dem Erzbischof Karl Marx aus München Freising!) vor rund hundertfünfzig Jahren angekündigt wurde, immer wieder thematisch behandelt wurde und jetzt auf einmal tatsächlich so seinen Gang findet. (Immerhin: So hatte sich wenigstens der Kauf jener Bücher doch gelohnt.)

Allerdings habe ich gedacht, das Ganze – es handelt sich übrigens um den Zusammenbruch des Kapitalismus – würde so sukzessive, so allmählich ablaufen, so daß die Menschen den Zusammenbruch gar nicht richtig merken würden und dann sich vor allem darin fügen würden und sich daran gewöhnen, wie sie sich ja immer an alles gewöhnen, wofür die Geschichte "summa summarum" genügend Exempla bereithält.
Und vor allem glaubte ich persönlich, daß dies alles erst nach meinem Tode stattfinden würde. Aber so ...
Was mich hier persönlich hier in unserem entzückenden ST-Universum, ein wahres Shangri La, so tangiert und betrübt: Die beiden Herren Telramund und Ziesemann (oder hieß der zweite Mann Herr Fiesemann?), wahre und wirkliche Gentlemen, hatten mich, trotz meines gelegentlichen leider recht dümmlich-senil-pubertären Zweifel am Kapitalismus als die wahre und rechte und ewig währende Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung immer wieder zum rechten Glauben zurückgeführt und be/gestärkt. Jetzt hätte ich sie so nötig ... einmal als Traumdeuter, dann wiederum als Trostengel!

Sie kennen das ... man hat etwas erlebt, gesehen, gelesen ... und plötzlich, das allerdings wird einem erst hinterher bewußt, findet das Ganze seine Fortsetzung in einem Traum oder gar in eine Traumkette, eine Reihe von inhaltlich zusammenhängenden Träumen.

Es fing an mit der Nachricht von den laufenden Entlassungen im produktiven Gewerbe, zunächst im Bereich der Exportindustrie, dann aber auch und immer mehr im einheimischen Gewerbe. Selbst kleine Handwerksbetriebe konnten wegen fehlender Aufträge nicht mehr ihre Angestellten bezahlen. Man gewöhnte sich an die Zahlen, die die öffentlichen Herolde, sei es Frau Gerster oder Herr Seibold, im Fernsehen zunächst als Topmeldung brachten, dann immer mehr als verschämte Anhängsel zu den normalen Nachrichten, um schließlich nur noch auf die Webseite ihres Senders hinzuweisen, wo man alles Genauere nachlesen könne.

Die Dinge beschleunigten sich ab jenem Zeitpunkt, als die schlauen Banker (Respekt: Wirklich schlaue Jungs!) gemeinsam die sogenannte Bad Bank errichteten, in die sie und auch die Vertreter der Großindustrie und Konzerne alle Außenstände, Schulden und risikoreichen, lies: nutzlosen Geldpapiere hineinsteckten. Während die Bundeskanzlerin Merkel weiterhin auf dem Bildschirm von diesem Vertrauen laufend faselte, das jedermann haben solle – worin und wem gegenüber verriet sie leider nicht, zumindest nicht in meinen Träumen – , Herr Steinbrück markig alles hin und her rechnete, um schließlich dem Bürger noch markiger zu verkünden, alles sei in Ordnung, hatten sich etliche Herrschaften der Finanzszene bereits in entlegene Gebirgstäler, auf einsame Inseln oder sonstwohin begeben. (Dabei liebe ich bei Herrn Ackermann, ein wahrer Biedermann, den bieder-braven Schweizer Klang seiner Sprache!) Zumindest sah und hörte man sie nicht mehr in den Medien. Die Verantwortlichen waren weg; vielleicht hart, aber fair, denn sie machten nicht einmal mehr den Versuch, die Menschen weiterhin zu verkohlen.

Nicht zu vergessen: Und diese Bad Bank ... wirklich eine Volksbank ... finanziert, getragen und verantwortet vom Volk! (Wäre vielleicht wieder einmal ein Anlaß, skandierend durch die Straßen - nicht nur in Dresden und Leipzig! - zu ziehen: Wir sind das Volk!)

Im Gegensatz zu den Politikern, die ja um Wiederwahlen bangten und vielleicht mit der Zeit doch eine Ahnung bekamen, daß das Ganze nicht gut ausgehen würde. Nur Herr Westerwelle, das einzig wahre und wirkliche Stehaufmännchen der deutschen politischen Szene, – war es nun Blindheit oder Blödheit oder beides – plapperte unermüdlich und unerschrocken weiter und vertrat in allen Kanälen und Talkrunden sein Mantra von Freiheit und Risiko, nickend begleitet von diesem unvermeidlichen Prof. Sinn. (Im Traum bekam der Begriff vom akademischen Pöbel auf einmal für mich eine gewisse Anschaulichkeit.)

Während alles nach unten purzelte: Kurse, Gewinne, Produktionszahlen, Exporte, stiegen die Arbeitslosenziffern, Staatsverschuldung und vor allem die Geldmenge, denn die Bundesbank, die Staatsbanken dieser Welt ließen unabhängig Geld drucken - übrigens bei Giesecke & Devrient, München – , um den Anschein eines funktionierenden Gesellschafts- und Wirtschaftssystems aufrecht zu erhalten. Ein Staat nach dem anderen meldete den Bankrott an, in vielen Staaten hyperinflationierten Geld, Preise etc. und da ... im Traum sah und hörte ich, wie der Nachrichtensprecher auf dem Bildschirm zu stottern anfing ... in einigen Staaten brach das Geldsystem zusammen, niemand wollte mehr die wertlosen Scheine annehmen.
Glücklich jene rund 10 Prozent der Bürger, die vorher ihr Vermögen in Sachwerte angelegt hatten: Immobilien, Gold, Silber etc. Das konnte man zwar auch nicht essen, aber es verfiel zunächst nicht in seinem augenblicklichen Wert; im Gegensatz zu den Währungen dieser Welt.
(Von den ein, zwei Prozent der wirklich Reichen hörte ich in meinem Traum nichts mehr ... um so mehr von den Möchtegern-Oberschichtlern, die mit dem "Wir-sind-was-Besseres"-Gen überreichlich ausgestattet sind.)

Aber irgendwie wollte das kapitalistische Karussell nicht mehr laufen: dieser sinnlose Kreislauf aus Schuldenmachen, aus Ausbeutung und arbeitslosem Einkommen, völlig überflüssigem Konsum, unersättlicher Profitgier einiger und der Schnäppchenmentalität vieler.
Und da man aufgrund der rasant sinkenden Produktion kaum noch Rohstoffe brauchte bzw. es sich nicht - im Sinne der Gewinnmaximierung – mehr lohnte, die vorhandenen Rohstoffquellen auszubeuten oder sich neue Ressourcen unter den Nagel zu reißen, stürzten vor allem die Rohstoffländer ins absolute Elend.
Von dort kamen die ersten Nachrichten zusammenbrechender Staatssysteme und der öffentlichen Ordnung. Bürgerkriege, sich steigernd in sinnlose Abschlachtereien, Plünderungen etc.
Die Kriegsmarinen der europäischen Länder ließen das letzte moralische Feigenblatt fallen und versenkten einfach die Schiffe, Flöße etc. mit den zigtausenden Flüchtlingen aus Afrika, aus den orientalischen Ländern etc.

Die Wahlen zum Deutschen Bundestag – im Traume sah ich die Kalenderblätter fallen, fallen wie von weit – brachten ein verheerendes Ergebnis: keine zwanzig Prozent Wahlbeteiligung. Dann brach auch in Europa die politische und gesellschaftliche Ordnung zusammen. Handel und Händler horteten die vorhandenen Waren, ebenso die kleineren, noch verbliebenen Landwirte, die ihre Nahrungsmittel nur noch gegen Sachwerte eintauschten, bis aber auch sie in Not gerieten: kein Saatgut, keine Düngemittel. Während die eigentlichen landwirtschaftlichen Nutzflächen sich schon lange in der Hand der Agrarkonzerne befanden, die allerdings sich in einem Dilemma befanden: Auf der einen Seite ließen sich in einer solchen Mangelsituation die Preise schier unendlich steigern, auf der anderen Seite war eben die Währung wertlos und zudem besaß kaum jemand noch Geld oder Werte.

Freilich ... die Damen und Herren der Bundesregierung taten, was sie konnten und durften: Sie redeten und redeten, natürlich völlig sinnlos und wirkungslos, denn die Politik geriet seit den achtzigern Jahren immer mehr zum Marionettenspiel des Kapitals und der Konzerne, jetzt aber redeten sie sich gleichsam um Kopf und Kragen.
Noch immer gelang es dem öffentlichen Verblödungsmittel Nr. 1, dem Fernsehen, die Masse der Bevölkerung abzulenken. Während die Bundesregierung verkündete, Renten zu halbieren, Pensionen um 10 Prozent zu kürzen, sang der senioriende Unterhaltungsclown Roberto Blanco sein "Etwas Spaß muß sein".
Nachdem ein bis dato unbekannter Regierungssprecher in der abendlichen Nachrichtensendung die Einstellung aller staatlichen sozialen Transferleistungen und die weitere Kürzung der Renten um weitere 25 Prozent und die der Pensionen um fünf Prozent mitteilte (die Bundeskanzlerin streichelte zu jener Zeit irgendwelche Schäfchen auf Neuseeland ... das Fernsehbild bzw. diese Nachricht wurde musikuntermalt mit dem Liedchen "Zieht euch warm an"), kam hinterher der ewig gutgelaunte Thomas Gottschalk, begleitet von Dirk Bach und Stefan Raab, Harald Schmid und Matthias Richling, und fragte das Publikum: "Verstehen Sie Spaß?"
Nachdem irgendwelche TV-Anarchisten mit einer versteckten Kamera eine nicht öffentliche geheime Kabinettssitzung live filmten, auf der die sofortige Einstellung aller staatlichen Zahlungen beschlossen wurde, und diese Aufnahme ins laufende Fernsehprogramm hineinschmuggelten (weiß der Kuckuck, wie das die jungen Leute machten! Respekt!), hielten die einen das tatsächlich für einen besonders Gag der Versteckten Kamera, die anderen vermuteten eine neue Tatortreihe, bei der der Kommissar noch fehlte.
Und an jenem Tag, als Frau Petra Gerster, wie immer hervorragend gestylt, intelligent und charmant, stellvertretend für die Bundesregierung das Ende der Bundesrepublik so en passant mit kokettem Augenaufschlag und ihrem unnachahmlichen gewinnende Lächeln den Zuschauern mitteilte, lief hinterher im Fernsehen das "Festival der Volksmusik", unter der Moderation von den Herren Moik, Silbereisen und Westwelle (als Gast).

Gelang hier und dort noch so etwas wie eine funktionierende Tauschwirtschaft - in kleinen Dörfern zum Beispiel – , so brachen in den Städten und Ballungsbieten Anarchie und Chaos aus. Mit den Plünderungen fing es an, derer man mit Hilfe der Polizei und Bundeswehr zunächst Herr werden wollte. Nachdem aber selbst die Polizisten und Soldaten diese Einsätze verweigerten, da der ihnen ausgezahlte Sold nur aus diesen völlig wertlosen Papierfetzen bestand, sie selbst und vor allem ihre Familien in Not gerieten, brach die öffentliche Ordnung völlig zusammen.

Die Reichen hatten sich einerseits mit entsprechenden Vorräten versorgt bzw. waren im Besitz der wichtigsten Ressourcen zum Leben und Überleben, andererseits zogen sie sich in befestigte Siedlungen, auf Insel etc. zurück und ließen sich dort von irgendwelchen Privatarmeen bewachen. Wer Glück hatte, konnte gegen Kost und Logis bei den Reichen arbeiten; so eine Art moderates Sklaventum - immerhin war das Sklaventum Voraussetzung und Fundament fast aller Hochkulturen (siehe Griechenland, Rom [für rund 1000 Jahre!]).

Verwaltung, Medien, öffentlicher Verkehr ... nichts mehr funktionierte. War es ein Attentat von Wahnsinnigen oder eine bewußte Tat von ebenfalls Wahnsinnigen oder wahnsinnigen Politikern – das Wasser für Altenheime, Armenheime, für Stadtviertel mit vorwiegender Unterschichtenbevölkerung wurde vergiftet. Das Groteske: Niemand regte sich auf, sondern ungeniert äußerte man öffentlich, daß so vielleicht die Vorräte länger reichen würden.
Im Traum stand ich vor dem leeren Kühlschrank (Strom gab es ohnehin keinen mehr), als meine suizidalen Gedanken von einem charakteristischen ein- und aufdringlichen Maunzen unterbrochen wurde ... da wachte ich vom ersten Albtraum auf. Vor mir, d.h. vor meinem Bett stand Dr. Rotfell mit einer dicken Wühlmaus im Maule.



(Schreibfehler bitte ich zu entschuldigen ... verstehn'S ... die Feinmotorik leidet bei solchen Albträumen!)



Was ich nun überhaupt nicht mag:

... wenn sich Menschen gehen lassen. Selbst in Albträumen sollte man Haltung und Contenance bewahren. Warum sagt man sich nicht: Das Geschilderte, d.h. das doch nur Geträumte, ist einfach unabänderlich. Hier ist Gottvertrauen, Schicksalsgläubigkeit und Fatalismus gefragt und gefordert!
Halt unabänderlich wie vieles im realen Leben: schlechtes Wetter, ein Streik bei der Bahn, miserables Fernsehprogramm (das wundert nun wirklich niemanden mehr bzw. hat noch niemand verwundert, vermutlich nicht einmal bemerkt), ein launischer Ehepartner, die mißratenen Kinder, die saure Milch im Kühlschrank (aber halt, da hat die Milchindustrie was Tolles erfunden: Milch wird überhaupt nicht mehr sauer, vermutlich handelt es sich aber nur noch bedingt um Milch).

Und man darf doch von den Menschen erwarten, zumal von gebildeten und gesitteten Menschen, vom braven und religiös-frommen, staatsgläubigen und pflichtbewußten Bürger, daß er mit abendländischer Gelassenheit – falls es vergessen wurde: eben mit stoischer Haltung die Dinge so nimmt, wie sie eben kommen. Darin zeigt sich die Größe eines Menschen.
Oder wie schrieb seinerzeit Karl Reinhardt (dem einen oder anderen humanistisch Gebildeten vielleicht noch bekannt) in seinem Aufsatz zur Krise des Helden, der wahre Held zeige sich erst bzw. vor allem in seiner Haltung gegenüber seinem unabwendbaren Schicksal; denn gleich, was er auch mache, welchen Weg er auch wähle: dieser führt immer zu seinem Untergang.
In der klassischen, der (alt)griechischen Tragödie (beim jetzigen Griechenland kann man nur von einer Mischung aus Schmierenkomödie und Schmierentragödie sprechen) geht es um den schicksalhaften Konflikt des Protagonisten. Dessen Schicksal führt unweigerlich in die Katastrophe und somit fast immer auch in den Tod. Das Tragische besteht darin, daß der Held (oder eben auch die Heldin: Antigone) keine Wahl hat. Was er auch tut, er wird unschuldig schuldig. Und er kann nur Größe beweisen und zeigen, wenn er dieses Schicksal mit Haltung annimmt. Sich dagegen aufzulehnen, wäre Hybris. („tragodéo“ nennt der Grieche diese Haltung; vorbildlich präsentiert durch Antigone.)

Jammern könne jeder, aber erhobenen Hauptes seinem Untergang entgegengehen - das kann aber nur der Held.

Aber was jetzt so alles sich in meinem Traum abspielte, war entsetzlich, denn die Menschen zeigten eben nicht jene Würde, die man angesichts einer weltweiten Tragödie, eben angesichts des Zusammenbruchs von Geldsystem und Wirtschaft, Gesellschaft und vor allem politischer Systeme, erwarten könne.
Anstatt sich, wie seit Jahrhunderten und Jahrtausenden, ins Unvermeidliche zu fügen, nämlich zu verarmen, zu verelenden, zu verhungern und schließlich zu sterben, begehrten nicht wenige Menschen auf. Und das geht nun doch wirklich nicht.
Ladendiebstähle und Plünderungen ... nun gut, das sind ja noch Bagatellen angesichts der sich entwickelnden Katastrophe. Aber was dann geschah ... ich erinnere mich mit Schaudern an diesen Albtraum.

Da sitzen gut gekleidete, gepflegte ältere Menschen – so der Typ: Ich werde niemals alt dank Schönheitschirurgie und Kosmetik – beim kultivierten mehrgängigen Abendessen in einem Drei-Sterne-Restaurant, unterhalten sich angeregt über diese nicht gerade sehr erfreulichen Zeiten und versichern sich gegenseitig, daß man seine Schäfchen ins Trockene gebracht hätte. Für einen Außenstehenden so eine Szene in der Art: Wir sind wer, wir haben es, was wir gerne zeigen und überhaupt: Jeder ist sich selbst der Nächste.
Da taucht der Mob auf, stürmt das Lokal (zum Abschließen war es leider zu spät) und skandierte so etwas wie Hunger und Not ... Meine Güte, dieser Mangel an Takt und Höflichkeit! Unmöglich! Man hätte doch beim Hinterausgang die Küche bescheiden um einige Essensreste bitten können!

Aber diesen Albtraumes nicht genug: Da wälzen sich marodierende Horden durch die Maximiliansstraße in München, paradieren auf der Kö in Düsseldorf, ebenso in Stuttgart, Hamburg, selbst in der Marktstraße in Bad Tölz ... Da werden elegante Damen in den Fußgängerzonen angepöbelt, die – anstatt über schlechte Zeiten zu räsonieren und randalieren – sich mit kleinen und gelegentlich etwas größeren Einkäufen über diese wahrhaftig schwierigen Zeiten hinwegtrösten. Skandalös zu sehen, wie wohlsituierte Herren daran gehindert wurden, ihren Porsche, Audi, BMW oder Mercedes zu besteigen. Gut, daß zu diesem Zeitpunkt noch die Polizei ihren Dienst versah und den Pöbel mit Schlagstöcken in die Nebenstraße prügelte. Festnehmen lohnte sich angesichts der Menge dieser Leute und der überfülltwen Situation in den Gefängnissen nicht mehr.
Doch – wie entsetzlich entwickelte sich mein Traum! – das war erst der Anfang! Weder Vernisage noch Kammerkonzert, weder Theater noch Konzertsaal waren vor dem Pöbel sicher.
Irgendwelche Lümmel bezeichneten auf einer Vernissage eine berühmte Künstlerin als ewig spätpubertierend-narzistische dilettantische Kleckserin, die noch nie das Geld selbst verdient hätte, was sie verschmarotzt. In einer Konzertpause – es spielte das Henschel-Quartett die späten Streichquartette Beethovens – plünderten Halbstarke das Büffet. In der Philharmonie wurde der Liederabend Thomas Quasthoff mit der berüchtigten Internationalen (Sie wissen: Völker höret die Signale ...)unterbrochen, die Musikstudenten von ihren Stehplätzen aus laut grölten, wobei ich mit tiefer Beschämung – dabei war ja alles nur ein Albtraum – sah, daß Thomas Quasthoff miteinstimmte und später Verständnis für diesen akademischen Pöbel äußerte. Si tacuisset ... kann man da nur sagen.
Noch schlimmer ging es im Residenztheater zu ... hier ging die Revolte von den Schauspielern und vom Regisseur aus. Das Publikum verließ empört nach zehn Minuten das Theater.
Und der Gipfel meiner albtraumhaften Visionen ... auf dem Petersplatz in Rom. Mein (auch als Jüdin habe ich unseren Bene ins Herz geschlossen - schließlich habe ich ihm 1964 Tübingen mal die Hand geschüttelt! [sic!]), unser aller geliebter Papst Benedikt XVI. singt mit italienischen Kommunisten - diese Peppone-Typen, er in der Rolle des Don Camillo! - das Avanti populo, bandiera rossa, während vom Balkon die roten Fahnen flatterten ... ich fiel in meinem Traum in Ohnmacht!

Das Grauen ließ sich nicht mehr aufhalten. Oder wie sang seinerzeit das philosophische Sextett EAV: Das Böse ist immer und überall! Ob am Starnberger See oder rund um den Tegernsee, ob in Grünwald oder in Dahlem, in Frohnau ... weder auf Sylt noch in ihren heimischen Villen waren die Leistungsträger und bürgerlichen Eliten vor diesen Neidhanseln, vor diesem unkultuvierten Mob, vor diesem randalierenden und rasenden Pöbel sicher.
Irgendwo hieß es, man hätte diesen Professor Sinn in eine Jauchegrube geworfen. Bei Gottschalks „Verstehen Sie Spaß?“ seien dem guten Mann aus dem Publikum faule Eier und faule Tomaten entgegengeworfen worden – das tut man einfach nicht! – , worauf der Gummibären-Thomas die Sendung abbrach, denn in solchen Sachen verstehe er, der Spaßvogel der Nation, eben keinen Spaß.

Im Traum schaltete ich mit zitternden Händen mein neues und erstes Fernsehgerät ein – welche Nachrichten und Bilder mir da wieder ins Haus geliefert werden würden! – , als die Türklingel heftig läutete ... oh je, dachte ich im Traum, jetzt kommen sie zu mir. Was werden sie mir nehmen? Welche Bücher, welche CDs ... doch es war nur meine Nachbarin, die meinen Mittagsschlaf unterbrach und diesen entsetzlichen Traum für den Augenblick beendete ... ob ich nicht zum Apfelstrudel hinüberkommen möchte. Mir fiel ein Stein vom Herzen.


Jetzt über mich ...

Die Nacht ist vorbei ... heute kein Albtraum. Vielleicht lag es daran, daß ich gestern bei den Nachbarn im Bayerischen Fernsehen den Film "Vaya con Dios" (dem Link nachzugehen, lohnt sich ... demnächst im Sender RADIS einige Lieder aus diesem Film!) gesehen hatte ... und nicht wie neulich bei meinen Freunden in Bamberg laufend die apokalyptischen politischen Sendungen über die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung der BRD, Europas und der Welt. (Höchste Zeit, daß ich endlich wieder meine, pardon: unsere Insel Senoria aufsuche!)

Überhaupt ... das dachte ich gestern beim Schreiben meiner Endzeit-Visionen - vielleicht handelt es bei allem nur um ein Medienspektakel, das irgendwer aus welchen Gründen auch immer in Szene gesetzt hat. Vielleicht sucht die Wirtschaft einen Anlaß und Grund, Leute zu entlassen und die Löhne zu senken ... das kann man doch ruhig sagen. Ist doch nichts Schlimmes und/oder Unanständiges; bevor man, wie früher üblich, Kriege führt und/oder - gleichsam als ultima ratio politica - alles hyperinflationieren läßt oder ruckzuck wieder mal eine neue Währung aus dem Ärmel schüttelt. Übrigens für Staaten ein tolles und probates, erprobtes und bewährtes Mittel, um alle Staatsschulden auf einmal höchst elegant loszuwerden. Und die Tatsache, daß auch die etwas geld-besitzenden Bürger dieses auch loswerden, hat so etwas Tröstendes-Tröstliches ... jetzt sind eben alle gleich (meint man, während die Sachwerte-Besitzenden diskret etwas zur Seite treten). Das schafft ein Gemeinschaftsgefühl, eine Art kollektiven Pauperismus (bitte bei Wikipedia nachschauen! Der Pauperismus spielt in der abendländischen Geschichte eine wichtige Rolle ... war mal vor vielen Jahrzehnten ein Vorlesungsthema von mir); diese solidarische Identität, die nahezu unnachahmlich BILD jeden zweiten Tag erzeugt: Wir gehören zusammen, wir sind alle eins, wie sitzen alle im gleichen Boot (zugegeben: Einige müssen auch rudern!)

Aber ... ad rem ... die Ursache meiner entsetzlichen Albträume. Vielleicht war es die Lektüre dieser Rezension aus der Süddeutschen Zeitung vom 8. April ... (über diese Bücher später einmal, ich habe sie gerade bei meiner Buchhandlung bestellt)





Oder hat mir folgendes Buch nicht gut getan? Auch nicht gerade beruhigend, aber immerhin mit viel historischer Distanz.




Sigmund Freuds Traumdeutung hat mir auch nicht weitergeholfen, was vielleicht auch an meiner Ausgabe liegen kann: Von 1961.

Vielleicht sollte ich jetzt Musik hören ... Dies irae, dies illa. Um Gotteswillen, auch endzeitorientiert! Oder Dietrich Fischer-Dieskau mit der Arie "Ich freue mich auf meinen Tod" (aus der Bach-Kantate Ich habe genug (BWV 82) ... immerhin freut sich der Sänger bei Bach wirklich, weil er seinem Herrn Jesu endlich gegenübertreten darf. Vielleicht auch nicht unbedingt tröstend.
Und die wunderschöne CD Endzeitfragmente (nomen est omen!) vom Ensemble Sequentia (vom Label Raumklang; siehe dazu auch die musikalischen Rätsel vom 04.04. im BLOG/Sender RADIS!) ... ich weiß nicht, ich weiß ...

Jetzt schnappe ich mir meinen Fotoapparat und ziehe singend (Alle Vögel sind schon da ... hinaus, um meine FAS zu holen ... Servus! Pfiats Eich!



Die olle Bertha
vom Niederrhein

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Kommentare (10)

pea let's talk...

Ich habe eins jedenfalls gelernt: afrikanischen Fatalismus...

Falls es Afrika, Frau Merkel, Herrn Sinn und all die anderen überhaupt gibt!

Vielleicht alles nur eine Medienerfindung unserer schönen neuen Welt!

Seid froh, daß Ihr nicht meine Tagträume habt...
pelagia Nun haben wir viele Möglichkeiten, diesem Alp- oder Wachtraum zu entfliehen, die Musik, die erwachende Natur, ein tröstliches Buch, wenn da nicht immer wieder dieses Gefühl von Ohnmacht und Hilflosigkeit auftauchen würde. Fast so unplanbar wie der Traum.

Geschichte hat immer wieder versucht, uns vorzubereiten, die Augen zu öffnen. Ob Marx, Abel oder Literatur wie „Pauperismus und Communismus, ihre Ursachen und die Mittel zur Abhilfe“ (aus dem Buch hat unser Geschichtslehrer gern zitiert, habe leider den Autor vergessen, etwa 1840 +/-), was hat es genützt?

Was können wir, jede/r Einzelne überhaupt tun?
Deine Glosse wäre gut geeignet für eine Talkrunde im ST.
pelagia ist es nur ein Traum. Wenn Menschen gemeinsam Träumen, ist es der Beginn einer neuen Wirklichkeit." Dieses Zitat wird Helder Camera zugeordnet und er hatte damit ganz anderes Träumen im Blick. Befreiung von Unterdrückung, und Gerechtigkeit für die Benachteiligten dieser Erde. Das Zitat fiel mir spontan beim Lesen Deiner Glosse ein und die Frage, ob dieser Satz auch für Albträume Gültigkeit hat. Das wäre entsetzlich! Doch ich fürchte, wir sind in dieser neuen Wirklichkeit und in diesem Albtraum schon angekommen. Du träumst nicht alleine, liebe Bertha.

Teil I
Medea beste Frau Bertha, daß Sie über das Adjektiv "hübsch" stolpern würden -
ich hatte es allerdings mit Bedacht gewählt, hätte dafür auch setzen können,
das sind ja "reizende" Träume, die Ihr Unterbewustsein lebendig werden läßt
und erschröckliche dazu und gewiß keine Alfanzerei. So mancher Alptraum
rückt bedrohlich in die Realität - ich bin sehr begrückt, daß Sie rechtzeitig zum
Nachmittagstee erwachten ......
Nach einer guten Kanne Tee sieht die Welt schon wieder erträglicher aus und
die Apokalypse scheint abgewendet.
Sehr herzlich Medea.

niederrhein Darf ich mich ...

liebe Freundin, diesbezüglich anschließen ... was den Zweifel und Wankelmut betrifft?

Einen schönen frühlingshaften Gruß

Die olle Bertha
vom Niederrhein
senhora ähnliche Alpträume hatte ich auch schon, allein mir fehlt die Größe und die würdevolle Haltung der Helden.
Während Andere sich mit Akribie der Korruption und Misswirtschaft in Afrika widmen und der Genialität europäischer Polit- und Wirtschaftslenker vertrauen, verzage ich beim Gedanken an die Zukunft unserer jungen Generation.
Ich bin eine unwürdige Zweiflerin, eine Wankelmütige, ich gebe es beschämt zu.
Auf tröstenden Worte von Obrigkeiten lege ich auch keinen gesteigerten Wert, sind bei mir wirkungslos, führen nicht zur Erleichterung eher zur Panik, da ich weder religiös noch politisch gläubig bin, ein wahrlich hartes Los.

Senhora
niederrhein Pardon ...

hübsch? Ich meine halt sehr albtraumhaft, aber inzwischen habe ich mich getröstet: Die Wirklichkeit ist ja ganz, ganz anders ... wie man vom Herrn Bundespräsidenten lesen und von der Frau Merkel lesen und sehen/hören (sic!) kann.

Sehr beruhigt sich dem Mittagsschlaf hingebend ...

Die olle Bertha
vom Niederrhein
Medea Hübsches Beispiel dafür, wie sehr Albträume der
Wirklichkeit nahekommen können ....
denn: wo hört der Traum auf - wo beginnt die schonungslose
Realität, die wiederum nur im Traume zu ertragen ist .......
niederrhein Das ist ja das Fatale ...

Träume kann man nicht steuern, auf das Unbewußte hat man keinen Zugriff (so der bekannte Herr aus Wien!). Vielleicht liegt alles an einer schlechten Verdauung?

Tief betrübt und sich schämend ...

Die apokalptische Bertha
vom Niederrhein
eleisa Bertha,lenke deine Tages Gedanken lieber in eine andere Richtung...dann hat der Albtraum keine Chance!!!
schönen Sonntag, Eleisa.

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