Konferenz der Ewigen


Konferenz der Ewigen

 War es Nacht, als sie sich trafen? Dunkelheit, mattiertes Dunkel mit kobaltblauem Samt ausgeschlagen. Dieses Ausmaß an düsterer Unwirklichkeit hatte die Welt noch nicht gesehen.
Eine konkav gewölbte, unendliche Nacht. G’tt war lange vor ihm da. Unendlich lange wartete er schon. Äonen waren bisher vergangen. Jahrmillionen dauerte es, bis dieses Treffen zustande kam. Ewigkeiten, nachdem er das Universum, die Erde, den Menschen aus dem unendlichen Chaos geschaffen hatte, wartete G’tt schon. Auf ihn, den Gegenspieler. Den Gefallenen. Die Sterne dämpften jäh ihr Licht. Dann kam er.
Diavolo. Mit einem Lächeln betrat er die Bühne des Geschehens. »Ich grüße dich, Herr.«
Er war klein, viel kleiner, als jemals ein Mensch es sich vorgestellt hätte. Und er sprach mit leiser Stimme, fast tonlos aber durchaus vernehmbar und gewiss nicht zu überhören.
»Du wartest auf mich, Herr?«
     
G’tt sah ihn an. Lange. Und durchdringend. Amethystfarbene Augen, die bis tief in das Innere des Herzens sehen.
»Er nennt mich Herr? Er, der Abtrünnige?«
G’tt sprach zu ihm wie zu einer dritten Person.
Dann wieder, als Feststellung: »Er nennt mich Herr!« Schließlich eindringlicher, fordernder:
»Es ist an der Zeit, dass wir über den Menschen sprechen.«
»Dein Geschöpf, Herr, es ist dein Geschöpf.«
Diavolo verzog lächelnd die Mundwinkel.
»Was soll ich dabei? Bin ich Du, Herr?« 
Er trat einen Schritt näher. »Du wirst nicht mehr mit ihm fertig, hab ich recht? Er wächst dir über den Kopf, nein, viel schlimmer noch: Er hört nicht mehr auf dich!«
Diavolo legte seinen Kopf auf die Seite und sah zu G’tt auf. »Noch schlimmer. Er sucht sich andere Götter. Mich zum Beispiel sieht er als die Person an, die er anbetet. Und dazu dann noch eine ganze Anzahl von Nebengöttern, temporäre Götter sozusagen.«
      
G’tt zog die Stirn kraus und sah ihn fragend an, dann streckte er seinen Zeigefinger Diavolo entgegen und sagte voller Zorn:
»Dich? Dich betet er an? Wer bist du denn? Ein gestürzter, unwürdiger Engel, nicht wert, an meinem Werk teilzuhaben!« 
»Mag sein, Herr. Mag ja sein.«
Diavolo lachte laut auf. Das Dunkel erzitterte bei diesem Lachen, das Blau veränderte sich kurzzeitig zu tiefem Schwarz. 
»Ich widerspreche dir ja nicht, Herr. Aber dein Geschöpf ist nicht mehr das Geschöpf, dass du einmal schufst.
Dein großer Geist Goethe sagt es doch treffend:
...die Not ist groß, die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht mehr los! Du hast deine Entscheidung einmal rückgängig gemacht, Herr, damals mit der Sintflut.« 

Er machte mit den Armen eine weit ausholende Geste. 
»Aber dann kam der größten Fehler deiner Geschichte: Du setztest deinen Regenbogen in die Wolken und gabst ihm ein Versprechen. Und nun?«
          
Diavolos Stimme glich dem Rauschen des nächtlichen Windes. 
»Hat sich auch nur eine Kleinigkeit geändert, ist auch nur ein winziger Charakterzug deines Geschöpfes anders geworden? Nein! Das absolute Gegenteil ist eingetreten. Er tötet den Bruder, er foltert den Nachbarn, er vergewaltigt den Mitmenschen. Immer noch. Und immer wieder und immer wieder und immer mehr!«
Die rauschende Stimme verwandelte sich bei diesen Worten in ein Tosen.
»Gib doch zu, dass ich Recht habe, gib es zu, Herr.« 
G’tt war bei diesen Worten Diavolos zusammengezuckt. Er sah hinauf zu den Wolkengebilden, die in der unendlichen Weite der blauen Nacht dahinzogen. Dann sagte er leise:
»Aber er liebt doch auch. Den Bruder, den Nachbarn. Er liebt seinen Mitmenschen. Ich weiß es. Das kann doch nicht alles Heuchelei sein. In Notlagen, diese Hilfsbereitschaft, ebenso bei Katastrophen, das sind doch reale Tatsachen.« 
G’tt streckte seine linke Hand himmelwärts. Seine Stimme zitterte: »Das kannst selbst du nicht abstreiten.«
     
Diavolo schaute nachdenklich zu Boden. »Gewiss, das gibt es. Doch warum tut er das? Das macht der Mensch nur, damit er das schlechte Gewissen, das du, Herr, ihn mit deinen Geboten gelehrt hast, nicht immer mit sich herumträgt. Damit er behaupten kann, dass er gut sei.« 
Er lachte erneut. Edel sei der Mensch, hilfreich und gut!Welch ein Schwachsinn steckt in diesem Dichterwort. Ich kenne die Wahrheit besser als du, Herr, ich kenne die geheimsten Wünsche und Lüste deines Geschöpfes!
Ich, Diavolo, habe von Beginn der menschlichen Zeiten an mit seinem Herzen gespielt!« 

      
G’tt sah seinen Gegenpart nachdenklich an:
»Aber - aber das würde bedeuten, der größte Feind des Menschen ist der Mensch. Er selbst bekämpft sich, tötet sich, tut sich all die schrecklichen Dinge an!«
»Oh, der große Herr hat sich endlich meine Wahrheit zu eigen gemacht.«
Diavolo lachte, es klang auch ein wenig höhnisch.
»Aber das Schönste kommt ja noch erst, alle Kriege, alle großen Katastrophen, Hunger und Elend, alles Schreckliche schiebt er doch dir, Herr, in die Schuhe!« 
Er schüttelte sich vor Lachen, der Wald erbebte.
»Bist du immer noch nicht wach? Deine schöpferische Atempause dauert ein wenig lange, meinst du nicht auch?« 
Diabolos Lachen dröhnte durch die nächtliche Welt.
»Warum lässt Gott all das Böse geschehen,« so fragen sie ständig, »warum tut er nichts, damit es anders wird?«
     
 Er trat einen Schritt näher.
»Diese scheinheiligen Fragen müssten doch selbst dich erreichen! Diese Gebete mit schwülstigen Phrasen liebst du doch, Herr. Du willst, dass er dich anbetet! Ich habe fast das Gefühl, du bist wie er - Oder ist er wie du?«
Er schlug sich mit der Hand an die Stirn. 
»Natürlich. Wie heißt es in deinen seltsamen Schriften? ...sich zum Bilde schuf er ihn! Nun? Was sagst du dazu?«
G’tt drehte sich von seinem Gegenpart weg, ein Beben seiner Schultern ließ die innere Erregung erahnen, die in ihm vorging.
»Nein«, sagte er dann leise, »nein, das war nicht meine Absicht. Ich habe nur Regeln aufgestellt für ein Zusammenleben dieser Menschengeschöpfe, meine Gebote!«
 
»Ja, ja«, unterbrach ihn Diavolo, »aber du ließest ihnen die Freiheit, selbst zu entscheiden! Und das war dein Fehler, sieh das doch endlich ein! Du selbst gibst dem Menschen sein Schicksal in die Hand. Du machst aus einem unmündigen Geschöpf ein Wesen, das selbst entscheiden kann.«
G’tt flüsterte nun: »Ich wollte, dass er mich liebt. Nichts weiter. Nicht mehr. Aber er liebt nur sich!«
Er fasste das Blau der Nacht mit seiner Hand und ließ es durch die Finger gleiten.
»Wird er sein eigener Schöpfer? Erhebt er sich nun auch noch dazu?« 
Diavolo nickte wortlos, dann wies er mit der Hand in die fernen Weiten der blauen Nacht: »Wenn du nicht eingreifst, Herr! Er kopiert sich jetzt selbst. Er schafft sich sein persönliches Ersatzteillager, um endlich irgendwann das ewige Leben genießen zu können. Ein bisschen anders, Herr, als du das ewige Leben gedacht hast, nicht?« 
      
G’tt sah ihn lange an, seine Augen waren glanzlos geworden, sein großer Geist müde von der Erkenntnis, dass der Andere Recht hatte.
»Und dich? Dich erkennt er an? Wie nennt er dich? Satan? Teufel? Mephisto? Shaitan?«
Erregt schritt er ohne Pause hin und her. Seine Stimme bebte voller Zorn. »Sprich!«
Diavolo sah gelassen und ruhig in die unendliche Weite des nun sternlosen Himmels hinauf. 
»Es gibt so viele Namen für das Böse, das weißt du genau, Herr: Ob Luzifer oder Ahriman oder Diavolo. Und es gibt so viele Orte, wo das Böse lauert: die Hölle, das Inferno, die Unterwelt, der Tartaros, die Nacht, der Friedhof, das Land der Feinde, der Nachbar jenseits des Zaunes. Der Mensch nebenan im Zimmer!«
G’tt hätte sich am liebsten die Ohren zugehalten, um diese langen Aufzählungen nicht mehr hören zu müssen. Aber es musste sein, er konnte den Worten Diavolos nicht ausweichen, der nun weiter sprach:
»Dabei weiß und fühlt der Mensch genau, wie das Böse heißt und wo es wohnt:
In ihm selbst!«

Seine Worte wurden lauter, tönten weit durch die Nacht und G’tt hörte verzweifelt zu, wie Diavolo fortfuhr: 
»Aber er kann diesen Gedanken nicht ertragen, ohne zu verzweifeln. Entweder sieht er sich als schuldlos oder als verdammt. Der Mensch, dein tolles Geschöpf kann die Wahrheit nicht aushalten: Dass er gut ist und dass er böse ist. Und dass jeder Augenblick seine eigene Entscheidung verlangt. Eine Entscheidung, die ihm niemand abnehmen kann. Kein Gott und kein Teufel. Er selbst ist sein eigener Satan, nur er will es nicht wahrhaben!«
G’tt schwieg lange, sehr lange Zeit. Dann sagte er leise, fast zärtlich zu einem imaginäre Dritten:
»Ihr betet Satan an. Ihr betet die Macht und das Geld an. Ihr betet irgendwelche Stars an, Künstler, Sportler. Und merkt nicht, dass ihr euch selbst anbetet!« 
      
Seine Stimme steigerte sich zu einem Donnergrollen durch die blauen Ewigkeiten, das ganze Universum erzitterte von diesem Klang! Alle Sterne des Universums verblassten zu einem undefinierbaren Nebel
 
 
himm4.jpg
   

 Plötzlich war Diavolo verschwunden, aufgelöst in eine unwirkliche Ewigkeit, verflüchtigt in die Gedankenwelten der Menschensphäre.
Ein Schatten, jederzeit bereit zur Wiederkehr, immer gerüstet, sich von neuem anbeten zu lassen!

G’tt aber befand sich dort in den Weiten der blassen dunkelblauen Himmelsillusion. Seine Stimme tönte noch lange nach, von tausendfachem Echo wiederholt:
»Ich bin der, der ich bin, euer G’tt. Es ist Zeit, erwachsen zu werden, Kinder, höchste Zeit...«


©by H.C.G.Lux

Quelle:Lyrikons Welt

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Kommentare (3)

Syrdal


Das sind sehr prägnante Sätze: „...der größte Feind des Menschen ist der Mensch. Er selbst bekämpft sich, tötet sich, tut sich all die schrecklichen Dinge an!“

Oder auch Er (der Mensch) selbst ist sein eigener Satan, nur er will es nicht wahrhaben.“

Und so sagt Gott in beinah schon bittender Beschwörung: Es ist Zeit, erwachsen zu werden, Kinder, höchste Zeit...«

Oh lieber Pan, wie lange noch hat Gott Geduld? Wie oft noch wird der Mensch ihn auf die Probe stellen? - Nein, der Mensch hat nun endgültig das Los seiner Selbstvernichtung gewählt und Diavolos triumphiert.

Wie das alles ausgehen wird, habe ich in meinem Gedicht „Aaron und der Weltenschöpfer“ (es stand im Oktober hier im ST) beantwortet mit den beiden letzten Strophen. Dort sagt Gott zu Aaron:

Den Weg muss der Mensch jetzt zuende gehn,
es gibt für ihn nun kein Entrinnen,
nach seinem Verschwinden, du wirst es sehn,
wird Neues und Gutes beginnen.

Dann aber, Aaron, das ist mein Wille,
steht der neue Mensch im Erdenreich
nicht an herausgehobener Stelle,
ich gestalte ihn den Würmern gleich!

Ob auch die Würmer eine Seele haben, die das ewige Leben in Gott erreichen darf?
Nicht sicher ist sich da
Syrdal

 

Muscari

Lieber Horst,

was für ein Beitrag zum Ende des Jahres ...!
Er ist voller Tiefe und hat mich sehr berührt.
Zwei Dinge sind in mir besonders haften geblieben:

"G'tt sah ihn lange an, seine Augen waren glanzlos geworden, sein großer Geist müde von der Erkenntnis, dass der Andere Recht hatte."


G’tt aber befand sich dort in den Weiten der blassen dunkelblauen Himmelsillusion. Seine Stimme tönte noch lange nach, von tausendfachem Echo wiederholt:
»Ich bin der, der ich bin, euer G’tt. Es ist Zeit, erwachsen zu werden, Kinder, höchste Zeit...«

Himmelsillusion, Himmelsillusion....


Ich danke Dir.
Andrea

indeed

Lieber Horst,

normalerweise kommentiere ich deine Blogs hier nicht, weil ich sie bereits kenne und wir darüber gesprochen haben. In diesem Fall drängt es mich, eine Ausnahme zu machen!

Es ist ein Blog, der mich bereits beim ersten Mal lesen vor vielen Jahren elektrisiert hat  und es auch heute noch immer wieder die gleiche Wirkung auf mich ausübt.

Ein Spiegelbild des Menschen gefangen in seinen Lebens-Vorstellungen und -Verhaltens . . .

Kann man es überhaupt noch besser ausdrücken? Es ist aktueller als jemals zuvor in der heutigen Zeit. Es fordert auf, selber mal sein eigenes Dasein im Kämmerlein einer Revision zu unterziehen. 

Menschen machen Fehler ohne Ausnahme, aber den einen oder anderen könnte man vielleicht doch ausmerzen? Mir ist Fairness ein wertvoller Begriff. . . 

Ich freue mich darüber, dass du es den ST-Lesern hier nach langer Zeit noch einmal zu lesen gibst, denn viele neue Mitglieder gibt es hier. . . die diesen Blog noch nicht kennen.

Ingrid


 


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