Aquarelle(castellanos)



Ich schalte einen Gang runter, biege nach links, bremse und stelle die Motorgeräusche ab. Dann lasse ich mich in den heißen Sand fallen, direkt vor Kubitscheck und Opa Carlos, die sich im Schatten eines Fischerboots in einen Haufen Netze gelegt haben und dösen. Sie riskieren beide ein Auge, das heißt nur Opa Carlos, während Kubitschek mich natürlich schon längst gesehen hat, kurz wedelt und sich erneut zum Schlafen zusammenrollt.
Wegen Kubi bin eigentlich so was wie berühmt. Er ist etwas größer als ich, aber ansonsten ähnelt er eher Opa Carlos: Er hat schon die ersten kahlen Stellen, einen grauen Bart und stöhnt bei Gehen.
„Kubitschek ist so alt wie ich“, sagt Opa Carlos immer, „man muss das bloß mit sieben malnehmen!“ Dabei weiß Opa Carlos selbst nicht, wie alt er ist!
Jeder flüchtet, wenn Kubi kommt. Nur ich darf ihm die Zecken von den Ohren und die Sandflöhe zwischen den Zehen abpulen, ohne dass er knurrt.
„Oi“, sagt Opa Carlos, als ich schon dachte, er wäre wieder abgekippt, „könntest mir eigentlich n’Bier holen!“
„Nur, wenn Kubi mitkommt, sonst geben die mir keins!“
Kubi quält sich hoch, ich werfe den Motor an und wir düsen ab in Richtung Euzébios Strandbar „Blume Brasiliens“, wo ich mit Kubi im Schlepptau vor der Theke abbremse. Wie immer kreischt dieser blöde Arara, der im Halbdunkeln auf einer Stange neben der Theke sitzt und aufpasst:
„Hunde raus!“
Kubi dreht auf der Stelle um und wirft sich stöhnend unter das Vordach in den Sand, während Euzébio eine Flasche Bier aus dem Eiskasten angelt und auf die Theke stellt.
„Wie kann man n’Köter nur KUBITSCHEK nennen? - Mistviech!“
Wobei mir nicht klar ist, ob er den Hund oder unseren ehemaligen Präsidenten meint.
„Kubitschek ist mein Freund“ ,sage ich so verächtlich, wie ich das eben nur hinkriege, schnappe mir die Flasche Bier, lasse den Motor aufbrüllen bis mir die Stimmbänder klirren, knalle den Gang rein und brause davon. Nach ein paar Metern höre ich das Hecheln von Kubi hinter mir nicht mehr, ich drehe mich um und sehe ihn gemächlich auf Opa Carlos’ Hütte unter den Strandpalmen zutrödeln. Ich ändere auch meine Richtung und verwandle mich wieder in einen Fußgänger. Während ich den immer noch heißen Sand zwischen den Zehen quietschen lasse, kühle ich mir den Bauch mit der Bierflasche.
Opa Carlos sitzt vor seiner Hütte im Sand, und hält ein Feuerchen aus einigen Palmwedeln in Gang. Neben ihm liegt auf einer Zeitung ein Haufen Sardinen. Er wickelt einen nassen Lappen um die Bierflasche und stellt sie in den Wind.
Die Sonne versinkt als riesiger Feuerball hinter dem Meer. Von Euzébios Bar wehen ein paar Sambarhythmen herüber und der Befehl des Arara:
„Hunde raus!“ Kubischeck knurrt vernehmlich und rollt sich neu zusammen.
Zu den Sardinen teilen wir uns die Flasche Bier, was bedeutet, wegen meines jugendlichen Alters von zehn bekomme ich nur einen Schluck. Wir lauschen den Gitarrenklängen aus der Bar und schauen den letzten ausfahrenden Fischerbooten nach. Opa Carlos kennt sie alle und normalerweise erzählt er dann ziemlich haarsträubende Geschichten aus seiner Zeit als Fischer. Aber heute seufzt er nur und murmelt:
„Was für ein schöner Abend,“
obwohl seine Abende immer gleich ablaufen, auch wenn ich nicht da bin.
Er rappelt sich hoch, geht in die Hütte und gräbt im Sand unter seiner Hängematte. Mit einer Flasche Pinga in der Hand kommt er wieder heraus. Er nimmt einen kräftigen Schluck von dem Zuckerrohrschnaps und reicht mir die Flasche:
„Nur einen kleinen,“
aber es verschlägt mir trotzdem den Atem. Dann vergräbt er seine Flasche wieder und legt sich stöhnend zur Ruhe. Kubitschek stemmt sich hoch geht an mir vorbei, zieht mir seine nach Sardinen stinkende Zunge durchs Gesicht und verlegt seinen Schlafplatz mit viel Gegrummel unter die Hängematte. Bald hört man beide um die Wette schnarchen.
Irgendwann des Nachts werde ich durch Kubitscheks feuchte Nase geweckt. Das Mondlicht fällt in die Hütte und der Hund steht vor der Hängematte und winselt. Opa Carlos schnarcht nicht mehr und seine Hand ist ganz kalt! Mir ist mit einem Mal klar, dass wir Hilfe brauchen und ich renne zu Euzébios Bar.
„Diebe! Räuber!“
schreit der Arara, als ich im Eingang stehe und im selben Augenblick ist Euzébio auf den Beinen. Ich stammle nur:
„Ich glaube, Opa Carlos ist ....“, da ist er schon unterwegs.
Wir kommen zur gleichen Zeit in der Hütte an, Euzébio macht die Petroleumlampe an, blickt in die Hängematte und sagt zu mir:
„Hol seine Frau, Dona Amélia!“
„Was, Dona Amélia, die Heiligenmutter, ist seine Frau?“
„Frag nicht so viel, lauf und bring sie mit!“
Ich mache mich auf den Weg und verlaufe mich in den dunklen Gassen, bis ich endlich den Terreiro, den Macumba-Kultplatz, gefunden habe.
Am nächsten Morgen erst traue ich mich wieder zu Opa Carlos’ Hütte. Als ich eintrete, sehe ich an den Opfergaben und den Blumen, dass die Totenfeier schon stattgefunden hat. Nur Euzébio ist noch da, er sitzt auf dem einzigen Stuhl, den Opa Carlos hat, und nimmt ab und zu einen Schluck aus Opas Pingaflasche. Mutter Amélia ist im Aufbruch, sie malt mir zum Schutz vor den Toten noch ein Zeichen auf die Stirn und sagt:
„Du kannst bei mir essen!“
Opa Carlos liegt in einer wunderschön mit Silberpapier beklebten Kiste mit Blumen auf der Brust. Ich glaube, er lächelt ein bisschen. Kubi liegt vor dem Sarg. Ich setze mich zu ihm, er schaut auf, holt einmal tief Luft und legt seinen Kopf auf meine Füße.
So vergeht einige Zeit, mir schlafen die Beine ein und ich versuche vorsichtig, Kubis Kopf herunterzunehmen. Er fühlt sich ganz schwer an! Ich kann es nicht glauben:
„Senhor Euzébio“, sage ich, „der Hund?!“
Euzébio stellt die Flasche neben das Stuhlbein, kniet sich nieder, schaut dem Hund in die Augen, streicht mir ein paar Mal über den Kopf und schüttelt den Kopf:
„Nun hast du zwei Freunde auf einmal verloren!“
Jetzt heule ich doch ein bisschen, obwohl ich mir fest vorgenommen hatte, das nicht zu tun!
Nach einer Weile und einem tiefen Schluck steht Euzébio entschlossen auf und sagt:
„Freunde müssen zusammen bleiben! - Fass mal mit an!“
Vorsichtig heben wir Kubitschek hoch und legen ihn Opa Carlos auf die Füße. Dann klemmt sich Euzébio ein paar Nägel zwischen die Zähne und beginnt, den silbernen Sarg zuzunageln. Zum Schluss stellt er noch eine brennende Kerze auf den Deckel.
Dann schaut er mich lange eindringlich an:
„Das bleibt unser Geheimnis!“

castellanos

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Kommentare (5)

finchen ich, als Hundenarr mit vielen Erlebnissen mit den Vierbeinern, ich kann nur in volle Begeisterung ausbrechen.
Wunderbar hast Du diese Geschichte geschrieben - ich lebte und litt mit. Ein ähnlicher Fall ist in unserer Familie auch passiert, nur der Ausgang der Sache war etwas anders.
Wundere Dich also nicht, wenn eine andere Variante von mir erscheint.
Liebe Grüße
das Finchen
Medea Eine wunderbare Geschichte aus dem wahren Leben
hast Du hier niedergeschrieben - nur so und nicht
anders konnte sie enden. Sie geht mir nahe, - so
ein Geheimnis hätte ich auch lange über die Jahre
bewahrt - Herrchen und sein treuer Hund im Tode
vereint - das paßt.

Grüße von mir.
M.

samti noch einmal lese ich deine Geschichte, weil sie mir gut gefällt. Nun noch das passende Aquarell dazu. Ja, mach so weiter, das wird vielen Lesern gefallen.
Gruß an dich von Samti
tilli Diese Geschichte berührt, sie stimmt zum Nachdenken an, sie gibt die Stille die jeder Mensche braucht, wenn er erkennt, das der Tod auch schön sein kann.
Ich habe immer Angst vor dem Tag, wenn ich sterben muss. Opa Carlos, war so glücklich, also ist der Tod auch Barmherzig.
Danke für diese Geschichte die mein Herz berührte.

Viele grüße Tilli
Traute das hat etwas besonderes, einmaliges. Wenn du das geschrieben hast bist du ein Genie und solltest feste weiter schreiben.
Mit freundlichen Grüßen,
Traute

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