Liegt die Zukunft im Zigarre rauchen?


Liegt die Zukunft im Zigarre rauchen?
Es war wie eine Initialzündung als im konservativen Bayern, in der Stadt Passau sich Anfang April 1875 ein Vorfall ereignete, der für Schlagzeilen sorgte. „Fünf Frauenzimmer“ hatten es gewagt, in eine Gaststätte zu gehen und den Sonntag zu feiern! Dabei tranken sie vierundzwanzig Seidel Bier, sechs Seidel Wein und zwei mittlere Flaschen Kräuterlikör. Dazu wurden achtundzwanzig geräucherte Würste gegessen und dreißig belegte Brotscheiben. Zum Schluss zündeten sich die Damen, unter ihnen eine Schneiderswitwe, eine mittlere Zigarre an. Letzteres beanstandete der Gastwirt. Worauf ihm die Damen geantwortet haben sollen: „Die Zigarre gilt bei Frauen immer wieder als Ausdruck der Macht des Mannes! Damit ist es künftig nicht mehr weit her!“ Das Aufbegehren der Frauen war in aller Munde, selbst die „Radeberger Zeitung“ druckte den Vorfall ohne Kommentar ab.
Ob es nun noch dieses Artikels bedurfte oder ob es bereits in Radeberg ähnliche Bestrebungen gab, ist nicht ganz sicher. Jedenfalls gab es sowohl im „Albert-Salon“ als auch im Gasthaus „Stadt Dresden“ ähnliche Bestrebungen „Radeberger bewusster Weiber“, kurz RBW. Man traf sich zum Zigarre rauchen und philosophieren am Sonntagnachmittag. Amalie Steglich, eine der Radeberger Protagonistinnen, berief sich dabei auf die Schriftstellerin George Sand, die mit dem polnischen Musiker und Komponisten Frederic Chopin in einer offenen Beziehung gelebt hatte. Sie galt als eine der ersten Frauen, die öffentlich Zigarre rauchte und Männerhosen trug. Da es nach geltendem Gesetz Frauen nicht erlaubt war, sich zu treffen um politisch zu diskutieren, Philosophie zählte zur Politik, war man ob des Passauer Einfalls zumindest begeistert. Nun traf man sich eben zum „Sonntag feiern“ oder zur „Sonntagsversammlung“. Letzteres hatte in Sachsen seit den 1860er Jahren schon eine gewisse Tradition in freireligiösen Vereinigungen. Diese lehnten die traditionelle Liturgie und Amtskirche ab und trafen sich zu „wissenschaftlichen Vorträgen“. Das dabei durchaus Themen wie das Kirchendogma von der Unauflösbarkeit der Ehe besprochern wurden, gab dem ganzen sogar einen gewissen gesellschaftlich zeitgemäßen Anstrich. Man ließ das Ganze etwa ein halbes Jahr gewähren, doch zunehmend gab es in Radebergs Männlichkeit Kritiker des Ganzen. Als dann Adele Junghanns in einem Vortrag forderte, dass „Die weibliche Erziehung das Unterbinden des selbständigen Denkens zum Ziel habe“ und man eigenes Prüfen der Fakten und Forschen nach der Wahrheit forderte, einschließlich dem Zugang zu höherer Bildung, war Schluss mit lustig. Radebergs Kirchenvorstand forderte ein Einschreiten der Gesetzlichkeit und forderte Radebergs Stadtrat auf „Den sittlichen Konsens wieder herzustellen!“ Der Verfassungsausschuss beriet und gab dem Drängen nach. „Es sei für das Ansehen der Stadt nicht von Vorteil, wenn ehrbare Hausfrauen das Gesetz des Handelns in ihre Hand nehmen!“, lautete eine der Begründungen.
Seitens der Radeberger Gastwirte gab es für die Frauen wenig Unterstützung. Sie lebten ebenso noch in der Tradition ihrer Zeit. Dass ihnen damit Potential für den Umsatz in der Gastwirtschaft entschwand, monierte nur der Inhaber des „Deutschen Hauses“. Dieser konnte eine große Lippe riskieren, hatte er doch in der Sächsischen Landeslotterie 75000 Mark gewonnen. Er brauchte auf niemanden direkt Rücksicht nehmen. So wurde dann das „Deutsche Haus“ der Ort in der Stadt Radeberg, wo man immer mal wieder die Reichweite gesetzlicher Regelungen auslotete. Die Geschichten der sich dann dort etablierenden Frauenvereine sind bisher weitgehend unbekannt und unerforscht.

haweger, 12.03.2015

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