Mein Leben ohne Tränen und wie sie wiederkamen


Mein Leben ohne Tränen und wie sie wiederkamen

Wie sich das oft und bei vielen Menschen so ergibt, erkaltete auch in unserer Ehe so peu á peu unser Miteinander. Ob überhaupt Liebe eine Rolle gespielt hatte, bezweifle ich. Nach 15 Jahren hatte ich meinen Vater um einen ersten Anteil meines zukünftigen Erbes auf Drängen meines Mannes bitten müssen, obwohl das väterliche große Mehrfamilien- und Geschäftshaus noch gar nicht abbezahlt war, er und unsere Stiefmutter dafür noch arbeiten mussten. Aber ich bekam die Summe, die dann als ausreichender erster Anteil für unser eigenes Haus diente.

Als wir nur ein halbes Jahr später unser eigenes Haus bezogen hatten, stand in jenem Monat unser beider Geburtstag an. „Wir haben uns gegenseitig schon das Haus geschenkt, wir sollten nun das Schenken lassen!“ ließ mein Mann mich wissen. Er fragte nicht, er bestimmte das. Es blieb mir in 1980 auch nichts anderes übrig, da inzwischen durch Baukredite unser finanzielles Polster ziemlich strapaziert war.

Dennoch ist es mir in den vielen Jahren danach nie recht gewesen, zum Geburtstag oder zu Weihnachten für meinen Mann keine (notwendige) Kleinigkeit bereit zu haben. Hatte er mir doch erzählt, wie lieblos seine Mutter mit ihm umging, als er in der Lehre war. Ein Student, der sich als Untermieter in der Wohnung eingenistet hatte, bekam grundsätzlich von meiner zukünftigen Schwiegermutter den Abendbrot-Tisch, frisch gedeckt mit allerlei Leckereien, bereitgestellt. Doch der eigene Sohn - mein Zukünftiger - durfte sich nie an diesen gedeckten Tisch setzen! DAS sollte ihm bei mir nie passieren.

Nur für meinen Mann war es ab sofort nach unserem Hausbau okay, dass er sich nie wieder auch nur einen Gedanken darüber machte, ob er für mich nicht wenigstens ein Blümchen aus dem eigenen Garten hätte … Ich nahm es hin, akzeptierte es mit schmerzendem Herzen. Hatte ich doch schon als Kind von meiner älteren Schwester lernen müssen, dass sie – vier Jahre älter als ich – mir immer wieder klar machte: Du nicht!!

So vergingen fast 30 Jahre. Längst konnten wir uns wieder dieses oder jenes leisten, ohne noch einschränkende Kredite bedienen zu müssen. 2005 hatte ich meine Zusatzrente dazu genutzt, einen letzten Kredit abzulösen. Wir konnten eigentlich nun unsere Rentnerzeit kreditlos genießen. Seine noch gar nicht angesparte Zusatzrente hatte er einem Kollegen geschenkt, für die auch ich noch Jahre arbeiten musste.

2009 hatte ich das Glück, eine Reise für Zwei in die Türkei gewonnen zu haben. Ich war schon neugierig, dieses Land auch einmal ein wenig kennenzulernen, wollte die eine Woche Urlaub statt auf Borkum auch einmal am Mittelmeer genießen, ein anderes Land und ein paar der dort vorhandenen antiken Stätten kennenlernen. Doch mein Mann ließ mich wissen, er möge die Türken, die Türkei nicht. Ich sollte diese Reise vergessen!! Und zuhause begann er, lauthals über türkische Mtbewohner zu lästern, wenn bei einem Spaziergang einige vor uns her gingen. Hab dann oft einen größeren Abstand zu meinem Lästermaul gehalten, mich geschämt!

Inzwischen war mein Trotz erwacht! Allein wollte ich die Reise nicht machen. Also fragte ich meine Tochter, ob sie es – trotz ihrer eigenen Firma – möglich machen könne, mich zu begleiten. Ihr Mann war einverstanden, dass sie eine Woche mit mir unterwegs war, sie hatte Lust dazu. Anfang November war eh eine etwas laue Geschäftszeit für sie, und so beschlossen wir, gemeinsam zu fliegen.

Es wurde eine richtig schöne, interessante Woche! Diverse gute Hotels waren geboten. Das Wetter war noch sommerlich warm,

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zwischendurch erlebten wir aber auch einen stürmischen Tag am Mittelmeer und wir buchten drei Ausflugsfahrten dazu,

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um auch einige antike Orte,

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auch den Taurus sowie einige Küstenorte und

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Fabriken (natürlich mit drängenden Kaufangeboten, die wir nicht nutzten!) kennenzulernen. Nur ein „edles“ Schmuckgeschäft mochte meine Tochter nicht verlassen, ohne sich dort etwas umzuschauen.

Sie hatte das Bedürfnis, sich für die Reise, die sie ja von mir mit allen Zusatzbuchungen geschenkt bekommen hatte, zu bedanken, mir etwas zu schenken. Ich ahnte das nicht, wollte das auch nicht. Aber dann kam sie und zeigte mir eine hübsche Silberkette mit dazu passenden Ohrclips. Ich fand sie wunderschön und bat sie, diese anzulegen. Aber sie legte die Kette mir um und ließ mich wissen, dass es ihr Geschenk für mich sei …!!

Mein Kopf konnte nicht fassen, was mir da gerade geschah. Ich hatte von meinem Mann seit 1980 kein einziges Blümchen mehr geschenkt bekommen, musste aber jede Woche Blumen und Kerzen für das Grab seiner Eltern kaufen (aber wehe, für das Grab meiner Eltern!) - und nun so ein Geschenk von meiner Tochter für mich!

Ich flüchtete in den Garten der Schmuckfirma und konnte meinen Tränen keinen Einhalt gebieten. Ein einziges Mal hatte ich zu meinem 50. Geburtstag 1994 von meinem Mann nach 16 Jahren doch ein Geschenk – mit finanzieller Unterstützung unserer Kinder und seiner Schwester – erhalten(, obwohl es gar kein so teures Geschenk war). Er hatte sich ziemlich daran gehalten, mir nie wieder etwas zu schenken, war aber zufrieden, den Kindern und seiner Schwester die Beteiligung an diesem Geschenk anbieten zu können, sich selbst jedoch so ziemlich da heraushalten zu können!! Und sie mussten dann ja nicht mehr überlegen, womit sie mir zu dem halben Jahrhundert-Jubiläum eine Freude machen könnten.

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Ich werde nie vergessen, dass es zwei Katzen in diesem Hof des Schmuckgeschäftes gab, die gern und vermutlich oft den bunten großen Papagei versuchten zu fangen. Doch in dieser Situation gelang den Katzen das auch nicht. Aber mich lenkte die tierische Situation so ab, dass ich langsam wieder ruhig werden und meiner Tochter ein herzliches Dankeschön sagen konnte.

Es dauerte nur noch anderthalb Jahre, bis ich tatsächlich meinen gefühllosen Gatterich sich selbst überließ und von meiner Tochter und ihrem Mann die dringende Einladung bekam, zu ihnen zu ziehen …

Anderthalb Jahre später durfte ich die späte Schwangerschaft meiner Tochter begleiten, freute mich riesig auf mein Enkelkind. Der zukünftige Opa wollte in den folgenden vier Jahren weder von unserer Tochter noch von dem Neugeborenen etwas wissen. Ein verächtliches „Pfff!“ war schon zur Nachricht über die Schwangerschaft unserer Tochter seine Antwort.

Unsere Tochter hatte sich längst von ihrem Vater abgewandt, hatte sogar eine Therapie gebraucht, um das von ihm ihr als Kind schon zerstörte Urvertrauen in ihn zumindest wieder etwas gestärkt zu bekommen.

Als die Geburt meines Enkels anstand, war es mir nicht möglich, auch in die Klinik zu fahren, um sofort das Neugeborene zu begrüßen. Ich hatte morgens das Gefühl, eine Grippe bekommen zu haben! Übelkeit, Kopfschmerzen und starke Rückenschmerzen plagten mich, hinderten mich, zu ihr in die Klinik zu fahren. Doch so wie mein Schwiegersohn anrief, mir zu erzählen, dass sein Sohn und die junge Mutter gesund die Geburt überstanden hatten, waren meine Beschwerden wie vom Winde verweht!!

Sofort fuhr ich meinen Enkel begrüßen und meiner geschafften Tochter meine Glückwünsche zu bringen. Tränen des Glücks waren mein Empfinden. Es löste sich inzwischen auch mein lange zwangsweise verhärtetes Herz, da es ja über vierzig Jahre keine wirkliche Liebe erfahren hatte. Die Liebe zu meinen Kindern, für sie jederzeit da zu sein, ersetzt ja keine Erwachsenen-Liebe.

Irgendwann gaben dem frisch gebackenen Opa nach fast vierjähriger von Tochter und Enkel abgewandter Wartezeit sein jüngerer Bruder und ein ehemaliger Freund ihr fehlendes Verständnis für sein Verhalten zu verstehen. Meine Tochter wie auch ich hatten ihm die Geburtsanzeige und Fotos geschickt. Doch eine Reaktion kam nicht!

Die Beiden, der Bruder und der Exfreund, verpassten ihm wohl zweimal eine Art „Gehirnwäsche“, bis er, wankend ob seiner eigenen Härte, seinem Bruder doch gestattete, unsere Tochter mal anzurufen, ob sie ihm den Enkel gelegentlich vorstellen wolle. Sie rief umgehend ihren Vater an – und er brauchte immer noch eine Nacht darüber zu schlafen, um dann am Heiligabend seinen fast inzwischen vierjährigen Enkel kennenzulernen.

Der Enkel ließ diesen verhärteten alten Mann in seiner kindlichen, sehr liebevollen eigenen Art endlich erkennen, wie falsch der Opa sich so lange verhalten hatte. Es folgten zwei Jahre recht intensiver gegenseitiger Besuche, die beide, der Kleine wie auch sein Opa, sehr miteinander genossen.

Kurz vor seinem Tod 2018 ließ der Opa unsere Tochter wissen, dass er nie einen Menschen so geliebt hätte, wie unseren einzigen Enkel!! Sein Herz konnte endlich wieder lieben … Und ihm wurde gleichzeitig und schlagartig bewusst, dass er seine Tochter damit auch hatte wissen lassen, dass er sie und ihren Bruder – seine eigenen Kinder – nie geliebt hatte! Er entschuldigte sich tatsächlich zum ersten Mal in seinem Leben.

Das alles gehörte in das Erleben der Kinder dieser manisch-depressiven Mutter, meiner Schwiegermutter, die wohl alle ihre Kinder – vier an der Zahl – letztlich lieblos und nur teilweise in deren Leben begleitet hatte. Das Heranwachsen ihrer eigenen Kinder, das ständige Manipulieren ihrer Angehörigen, wenn sie dann einmal jährlich in späteren Jahren meine Familie dazu nutzte, auch meine Familie gegeneinander auszuspielen, war recht belastend, vor allem für ihren eigenen Ältesten, meinen Mann – und mich. Es war nicht wirklich verwunderlich, dass der Hass auf Frauen, der sich bei meinem Mann immer wieder, immer öfter zeigte, so lange sie lebte, sich auch auf unsere Tochter und mich in recht unguter Weise auswirkte. Es währte von meinem 18. Lebensjahr an bis zu ihrem Tod 1988 – insgesamt recht erlebnisreiche, aber auch belastende 26 Jahre.

2020 hatte ich mir von meiner Tochter zu Weihnachten eine Fotokollage gewünscht, die mich als Kind und als Oma in einem Foto kombinierte. Als sie mir aus unserem Foto-Fundus die Zusammenstellung das erste Mal zeigte, entdeckte ich, wie viel Liebe sie in den Fotos für diese Kollage gefunden hatte, sie doch die Kollage sowohl mich als Fünfjährige als auch mich als 68-Jährige damit ausdrückte, zeigte. Ich begriff plötzlich, dass ich meine Empathie wiedergefunden hatte – wohl durch das Erleben des Heranwachsen meines Enkels, den ich seit seiner Geburt täglich betreuen, begleiten durfte, das mir sich Zuwenden meiner Tochter und ihrer Familie, aber auch durch das Abwenden von meinem Ex, der so gar keine Liebe selber zeigen konnte, sie nur, wenn er es für notwendig hielt, spiegelte … Auch das war vorbei, so wie er wusste, dass von mir kein Geld mehr fließen würde, das letzte kleine Erbteil unserer Tochter fest zugeschrieben worden war! Er war mir gegenüber – endlich?! – boshaft geworden.

Nun wurde mir bewusst, dass mein Herz nie wirklich erkaltet war - es überwältigte mich total. Meine Tochter, ihre Freundin und ihr Mitarbeiter saßen fassungslos über meinen Tränenausbruch um mich herum und wussten mich nicht zu beruhigen. Heute hängt dieses Bild in meinem Wohnzimmer und erinnert mich täglich daran, dass ich wohl doch mein Herz bewahrt habe.

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Kommentare (2)

ehemaliges Mitglied

Liebe Uschi,

als ich dieses Foto gestern schon einmal an anderer Stelle sah, ging ich davon aus, es zeige Dich mit Deinem Enkelkind. Ja, so kann man sich täuschen. Was für eine tolle Collage!

Übrigens haben die von Dir beschriebenen Menschen, die sich so lieblos verhalten, mit Sicherheit auch schon selbst Lieblosigkeit erfahren. So etwas wird über viele Generationen wie bei einem Staffellauf immer weitergereicht, bis eine/r mal die Zusammenhänge durchschaut und das Staffelholz fallen lässt. Ich weiß wovon ich rede, habe es soeben in der Weise praktiziert. Und auch dieses Loslassen ist ein großer Akt der Liebe. Ich bin sicher, dass auch Du die Skrupel kennst,  die mit solch einer Entscheidung zusammenhängen.

Ich fühle mit Dir! 💕
Puzzlerike

nnamttor44

@Puzzlerike  
Oh ja, liebe Puzzlerike! Gute wie auch schlechte Lebenserfahrungen werden tatsächlich inklusive der daraus resultierenden Folgerungen an die Folgegenerationen weitergegeben!

Wir dürfen auch nicht übersehen und vergessen, dass vor dem 2. Weltkrieg nicht nur schlechte Jahre, davor der 1. Weltkrieg waren und auch davor gab es für "das einfache Volk" keine guten Jahre, sonst hätte der Österreicher Hitler keine Chance gehabt, Deutschland zu übernehmen, die Welt in ein so schreckliches Disaster zu stürzen!

Ich hab lange mit mir gerungen, ob ich den entscheidenden Schritt tun dürfte, zumal ER ja krebskrank war. Aber "meine Gesundheit geht dich nix an!" war sein oft wiederholter Ausspruch ...

Danke für Deinen mitfühlenden Kommentar 💕

Uschi


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