Mein Traum frei zu sein/ Der Lehrling. Episode 6


Wieder eine kleine Geschichte aus meinem Buch! [u][/u]
Zum Mittagessen saßen wir, soweit es ging, alle zusammen und waren mit Meister und Meisterin eine große Familie.
Hin und wieder musste jemand seinen Teller stehen lassen, um in der Backstube oder im Laden etwas zu erledigen. Es gab fast täglich irgendein Essen, das in einem großen, schwarzen, eisernen Bräter Platz hatte und im Backofen gegart wurde.
Im Bräter war Platz für Plunderteilchen, Zimtschnecken, insgesamt Hefeteilchen und alles, was die Büroangestellten im Amt nicht haben wollten. Manche dieser Hefeteilchen waren nun schon drei Tage alt.
Es kamen Amerikaner, Dänischer Plunder, Baseler Leckerli, Französische Petit-Fours, Oberhessische Eierwecken und sogar Weißbrot hinein.
Ich durfte einige Eier mit Milch verquirlen und über all diese zerbröckelten Süßigkeiten gießen.
Der Meister spendierte ab und zu ein Glas von selbst gepflückten und eingemachten Früchten. Auch durfte ich die Vanille Soße kochen und auf den Tisch stellen.
Am Anfang fand ich unser Essen sehr gut, doch nach einem Monat wollte und konnte ich keinen „Armen Ritter“ oder „Kirschenmichel“, wie auch diese Speisen hießen, nicht mehr sehen geschweige denn essen.
Ist etwas von diesem leckeren Essen übrig geblieben, so kam es in den Kühlschrank und am nächsten Tag gab es dann „Kalten Hund“- so taufte unser Lehrmeister dann diese Speise.
Ein Mal in der Woche brachte unser Nachbar, ein Metzger, seine Formen mit Leberkäse zum Backen.
Es war immer eine Form für uns dabei, das war ein Fest!
Frische Brötchen, dazu eine dicke Scheibe heißen Leberkäse!
Mit den frischen Brötchen musste man aufpassen, denn es war uns verboten welche zu nehmen, nur vom Tag davor,bekamen wir Brötchen.
Einmal hatte mich der Meister erwischt, wie ich ein soeben aus dem Ofen kommendes Plunderhörnchen in meine Schürze gesteckt hatte, um es auf der Toilette zu essen.
Es gab einen großen Krach und von da an war ich ein Dieb, zumindest in Meisters Augen.
Auch achtete der Meister immer darauf, dass die Gebäckstücke immer so auf dem Blech oder Gitter in Reihe und Glied lagen, dass man sofort sehen konnte, wie viele es waren.
Immer sind 4 mal 5 oder 9 mal 6 oder 7 mal 8 auf dem Blech.
Mit einem Blick konnte der Meister dann sehen, ob da eine Lücke war und ein Stück fehlte.
***
Im Herbst wurde jeder, der nicht unbedingt im Laden gebraucht wurde, in den großen Garten am Südbahnhof zum Früchtepflücken geschickt.
Ich war bei jeder Aktion dabei, die nach Feierabend passierte, weil ich ja im Haus wohnte, und niemand auf mich wartete. Nach dem Pflaumenpflücken kam dann das Kochen von Pflaumenmus und auch das war meine Aufgabe.
Mein Meister hatte sich einen schönen Spruch einfallen lassen, den er dann anwandte: „Du musst das nicht machen, aber wenn du etwas lernen willst, kann ich dir nur empfehlen da zu bleiben und die Sachen zu machen.“
Natürlich wollte ich lernen und meine Gesellenprüfung machen, also blieb ich und hielt meine Schnauze. Da ich das "Privileg" hatte im Haus zu wohnen, durfte ich auch sonntags mit meinem Meister zusammen die Sahnetorten, die frischen Obsttorten, die Schnittchen, die Sahnekäsetorten und Vieles mehr, herstellen.
Selbstverständlich war das freiwillig.
Zu meinen Aufgaben gehörte auch, dass ich sonntags abends um 10 Uhr den großen Backofen anheizen durfte, besser gesagt, musste.
Musste!
Wenn die Bäcker morgens um 3 Uhr kamen, war der Ofen in der richtigen Temperatur- vergessen wir nicht, dass der Ofen mit Kohle-Brikett geheizt wurde.
Und alle zwei Monate kam ein riesiger Laster mit diesen Briketts, welche ich in den Keller schaffen "durfte".
Alles war von meinem Meister gut organisiert. Denn um 6 Uhr stand meine Brötchen Tour mit frischen, heißen Brötchen oder Semmeln, wie andere sagen, auf der Agenda.
Von meinem Zimmer aus, was unter dem Dach war, konnte ich, wenn ich durch das Luken ähnliche Dachfenster sah, das Marburger Schloss sehen.
An meinem freien Tag, es konnte irgendein Wochentag oder sehr selten ein Sonntag sein, wanderte ich oft zu dem Schloss und auf dem Rückweg gönnte ich mir in der Milchbar am Rudolfplatz einen Milchshake, so auch heute.
Vom Schloss aus hatte man einen einmaligen Blick auf Marburg, die Elisabethkirche und bis hin zum Bahnhof.
Marburg war nicht nur Universitätsstadt, sondern auch eine Garnisonsstadt. Das heißt, junge Leute, ob Studenten, Soldaten oder Handwerker wie ich, prägten das Stadtbild.
Junge Leute waren überall zu sehen, so auch in der Milchbar, deshalb zog es mich immer wieder dorthin.
Mit meinem kleinen Lehrlingslohn von gerade einmal 12 DM im Monat musste ich sehr vorsichtig umgehen. Doch für einen Milchshake, manchmal sogar mit etwas Alkohol verfeinert, konnte ich 1,20 DM ausgeben.
Da ich nicht rauchte und auch sonst keinen Alkohol oder ein anderes Laster hatte,und mich nicht um ein Zimmer oder Essen zu sorgen brauchte, kam ich gut zurecht.
Eine Gruppe junger Mädchen, Holländerinnen, waren auf einer kleinen Deutschlandreise. Ich kam mit einem Mädel ins Gespräch und war erstaunt, wie gut sie Deutsch sprach. Auch Englisch würde sie sprechen, sagte sie mir.
Wir verstanden uns sofort, nicht nur sprachlich, nein, da war noch etwas- es war eine Sprache, die nur Herzen verstehen. Plötzlich hatte ich einen Kloß im Hals und fing an zu stottern.
Sie lachte und fragte, ob sie mich nervös machen würde.
Ich bejahte und sie meinte dann, dass ich der netteste Junge sei, den sie kennen würde, und sie hätte nichts dagegen, dass wir Freunde würden.
Wir verabredeten uns am nächsten Tag gegen 15 Uhr vor dem Schloss, direkt unter dem Eingang des Torbogens.
Ich vergaß, dass ich doch eigentlich arbeiten müsste. Ich war verliebt und wollte Elane, so hieß die Holländerin, unbedingt wiedersehen.
Ich musste sie noch einmal sehen und ihr sagen, dass wir uns schreiben und wiedersehen müssten, egal ob in Holland oder hier in Deutschland.
Am nächsten Tag erfand ich ab Mittag die größten, schmerzhaftesten Zahnschmerzen, die jemals ein Mensch haben konnte.
Mein Gejammer wurde von meinem Meister erhört und ich war pünktlich um 15 Uhr unter dem Torbogen und wartete auf Elane.
Da ich das Schloss schon kannte, war ich ein guter Führer.
Auch kannte ich die dunklen Ecken, in die ich sie dann führte und wir küssten uns.
Ich war fürchterlich aufgeregt!
Ich weiß nicht genau, ob es wegen Elane oder wegen des erschwindelten Nachmittags war.
Ich war fünfzehn und Elane sagte, sie sei schon sechzehn. Ich glaubte ihr, denn sie brachte mir das Küssen bei.
Doch der Nachmittag verging und sie musste zurück zu ihrer Gruppe und ich in meine Backstube.
Wir hatten unsere Adressen ausgetauscht und versprachen uns zu schreiben.
In Wormerveer bei Amsterdam war Elane zu Hause und ich versprach ihr, sie zu besuchen. Das Datum lies ich offen.
Wir schickten uns Postkarten und Briefe. Einmal schickte ich ihr ein Päckchen mit einem Mecki, dem Maskottchen, welches gerade "IN" war,ich wusste,sie liebte diesen kleinen Igel.
Mich kostete es fast ein Monatsgehalt, aber was tut man nicht alles, wenn man verliebt ist.
Es war einfach schön an sie zu denken, wenn mein Meister mich wieder einmal zur Schnecke gemacht hat.
Dann dachte ich nur an Elane, las abends ihren letzten Brief und alles war wieder gut.
Doch ich war ein schreibfauler Scheißkerl und beantwortete ihre Post nicht und somit kamen immer seltener Briefe aus Holland, bis eines Tages überhaupt kein Brief mehr kam.
Ich war nicht einmal traurig darüber und merkte das erste Mal im Leben: Aus den Augen ist aus dem Sinn!
Ich hatte mich dann mit der Verkaufs-Auszubildenden eingelassen und gab mein Wissen an Kuss-Technik an sie weiter.
Manchmal übertrieb ich es, denn wenn sie etwas aus dem Lager holen sollte, schlich ich mich rein und wir rangelten uns auf den Mehlsäcken, küssten und befummelten uns.
Sex hatten wir nicht, aber ihr schwarzer Rock war vom Mehlstaub weiß und es gab Ärger.
Um Ärger zu vermeiden, nahm ich mir vor, in Zukunft nichts mit Kolleginnen anzufangen ......
Tja, für Heute genug,in ein paar Tagen geht es wieder zum "Blick ins Buch!" Bis dann!
[b][/b] Ihr Hippguru

Anzeige

Kommentare (1)

Traute Ich war als Ostmädchen auch ein halbes Jahr in einer Stuttgarter Bäckerei als Haushaltshilfe. Da habe ich fast genau dass erlebt und sehen und hören und essen müssen, was Du beschreibst.
Das Stübchen im 5 ten Stock war mein Zimmer,. die Lehrlinge schliefen in einem Anbau auf dem Hof.
Das Gericht aus altbackenem Kuchen und Gebäck nannten sie glaube ich Ofenschlupfer.
Die meiste Zeit kochte ich das Essen, da waren die Lehrlinge froh und die Meisterin und der Meister zufrieden. Wenn ich aber große Wäsche machte, dann gabs das Restessen.
Auch das Brötchen ausfahren und der Geiz und das nachzählen, alles stimmt überein.
Der eine Lehrling hieß auch Jürgen, mit Spitzname ,Most der Rennfahrer,....(Die Bäckerei hieß Burgk, auf der Rosenbergstraße in Stuttgart-Süd
War interessant Deine Erlebnisse zu lesen.
Bin übrigens wieder zurück und habe einen zweiten und dritten Beruf gelernt.

Mit freundlichen Grüßen,
Traute

Anzeige