Mein Vater – unser Vater (3)


Geschickte Hände

Vater war geschickt im Handwerkeln. Aber ebenso geschickt war es auch unsere Mutter. Wir Alle, wir Geschwister haben davon profitiert, im Leben und Treiben. Ich sag’s gleich mal hier: die Beiden haben vierundvierzig Nachkommen. Das sind achtundachtzig Augen, achtundachtzig Ohren und achtundachtzig Hände – mal fünf: vierhundertvierzig Finger.

Als unser Großvater Max da im Krankenhaus lag, wusste, dass es jetzt mit ihm zu Ende geht, klagte er unsere Mutter, was denn schon noch von ihm bliebe. Mutter tröstete ihn mit den Worten: „Schau, du hast Kinder, du hast Enkel! In jedem ist ein Stück von dir – das ist für dich und uns so unschätzbar viel, was du uns lässt.“

Mutter kam ohne ihn wieder nach Eichwalde. Pucki unser/sein Hund, dem ihm einmal Kollegen geschenkt hatten, wartete da auf dem Klinkerweg im Garten mit traurigem Blick in Richtung Gartentor. Aber Herrchen kam nicht. Wenn Lotte ihn hineintragen wollte, biss er um sich, was er, der doch immer so friedlich zu allem war, nie getan hatte. Die Staupe hat er bekommen – da ist Mutter mit ihm zum Tierarzt gefahren, kam ohne Pucki zurück, man hat ihn eingeschläfert. Wir, die wir mit Pucki aufgewachsen waren, vermissten ihn sehr. Es fehlte da einfach etwas in unserem Garten.

Die Eichkamper, Mutters Schwester, hatten eine Garage an das Gagfah-Haus im Zikadenweg angebaut. Da fielen Fenster mit Rahmen ab. Die kamen nun in Eichwalde zur anderweitigen Nutzung: es wurden Mistbeete gebaut. Nun konnten Lotte und H.-O. so richtig gärtnern.

Und was man sonst noch so alles erleben konnte. Da gab es zum Gartenschlauch einen Vorsatz, in den man Chemikalien, Dünger usw. einpacken konnte, die das Wasser dann heraus spülte und mit kräftigem Strahl auf das Gesäte und Gepflanzte verteilte. Toll, wenn dann Übermangansaures Kali das Wasser lila einfärbte.

Überhaupt: H.-O. tüftelte in vielem herum. Uns Kindern brachte er so manches an physikalischem Grundwissen bei – und wenn es erst einmal die Influenz-Maschine war, mit denen wir mit friedlicher Absicht den elektrischen Strom kennen lernten. Mit der Chemie hatte er es auch – wir waren aber so erzogen, dass niemand an seine im Badezimmer deponierten Chemikalien ging (denke mal: da stand Blutlaugensalz, Brohm usw. unverschlossen herum).

Es gab hin und wieder Abende, da war das „Aufsklogehen“ sehr eingeschränkt möglich. Das Bad war dann Dunkelkammer. Den Vergrößerer hatte Vater sich aus einem Kasten gebastelt, der eine Fotolampe umschloss und der mit einem senkrechten Schlitten auf und ab bewegt werden konnte. Das Objektiv, die Blende und die Feineinstellung in der Höhe übernahm sein Plattenfotoapparat. Eine Uhr hatte er nicht, also wurde die Belichtungszeit mündlich gezählt: „Ein und zwanzig – Zwei und zwanzig – Drei und zwanzig“ usw. je Zahl entsprach einer Sekunde.

Die Badewanne bedeckten zwei alte Reißbretter. Auf die kamen die Bäderwannen. Erst das Zählen, dann das Entwickeln, dann das Wässern. Und immer schön die Schachteln schließen, in denen das Fotopapier eingeschlossen war. Erst wenn alle gewünschten Fotoabzüge gut gewässert waren – das passierte schließlich in der mit Wasser gefüllten Badewanne – durfte wieder großes Licht angemacht werden – Wer musste, der durfte jetzt wieder. Die Bilder wurden aus dem Wasser gefischt, teils mit Wäscheklammern auf die Leine gehängt, teils wurden sie in einen Trockner gepresst.

Wo wir schon bei der Dunkelkammer sind: Nörli, Nummer drei, war im „Anmarsch“ – das war noch in Oberschöneweide. Lotte hatte das Körbchen zum Empfang schon vorbereitet. Nix Klapperstorch! Mutter ließ uns ab und an mal fühlen, wie das Kommende sich bewegte. Für uns so eine Freude und Neugierde. Bärbel und ich mussten uns an das Körbchen stellen – Bärbel auf eine Fußbank – und dann auf die auf dem Kopfkissen im Körbchen abgelegte Zigarettenschachtel der Marke CAID starren. Knips! Von der entwickelten Platte zog Vater eine Menge Abzüge ab. Die fertigen Postkarten erhielten die Adressen der Empfänger dieser vorproduzierten Geburtsanzeige. Nur der Text fehlte – bis Nörli gelandet war, Vater also nun den Stempel komplettieren konnte und die Postkarten damit beschriftete. “Herr Hindenburg“ wurde auch noch draufgeklebt und ab ging’s zum nächsten Briefkasten mit dem Schwung Karten. Noch am selben Tag kamen Glückwünsche in Form von Telegrammen aus dem Bereich Berlin als Antwort. (Keine eMails, keine SMS – sowas gab’s ja damals noch nicht).

Kurz vor Weihnachten 1935 war mal abends die Küche verschlossen. Als wir Kinder da rein wollten, war da die Küchentür gerade nur einen kleine Spalt geöffnet. Da stand doch etwas oben auf dem Grude-Ofen – was war das??

Auf der Weihnachtsfeier bei der „Friedrich Wilhelm“ im selben Jahr brachte mir der Weihnachtsmann eine Lokomotive, die so aussah, wie der Bulle der AEG in Schöneweide, dazu zwei Güterwagen und einen Personenwagen. Aber das alles nahm man mir zu Hause gleich wieder weg.

Als dann an Heiligabend die Tür zum Wohnzimmer den Zutritt zuließ, konnte man im Herrenzimmer drüben Schienen sehen. Und einen großen Bahnhof, einen Bahnübergang mit schließbaren Schranken, Wärterhaus und Läutewerk – war das nicht das, was wir da auf dem Grudeofen in der Küche so schemenhaft gesehen hatten? Und Lok und Wagen waren auch wieder da.

Später in Eichwalde gab es dann selbstgebaute Schienen von mehr als einen Meter lang, mit Buchenholzschwellen, mit Blaupinnen genagelt, mit denen man den Zug – jetzt dann nicht mehr mit Uhrwerk sondern elektrisch, so mit Ransformator (neues Wort!) - über die Türschwellen rollen lassen konnte. Nun brauchte ich eine große Kiste, die unter’s Bett passte und alles Bahnmaterial aufnahm. Wenn nur das Aufräumen so lästig wäre!

Die Schwestern bekamen Schildkröt-Puppen. Mutter nähte Puppenkleidchen dazu. Dann hatten sie soviel Puppen-Geschirr. Manchmal hatten wir kaum Platz im Kinderzimmer, wenn Alle spielen wollten.

In Schöneweide hatten sich die Eltern Fahrräder zugelegt. Da standen sie im Hof unten. Vergessen war das Faltboot von H.-O. – da hätten wir alle ja keinen Platz gefunden. So machten die Eltern ihre ersten Radtouren noch ohne uns, während Opa und das Hausmädchen auf uns aufpassten. Aber draußen in Eichwalde: erst einmal musste ich meinen Scharlach haben, dann bekam ich ein Kinderrad, ein Mädchenrad, damit ich es später weiter an die mir folgenden Schwestern weitergeben konnte.

Mit dem Vater und der Mutter ging es raus in die Mark. Oft aber nahm ich Vater alleine mit hinaus. Das war toll, lernte ich so vieles von ihm, was ich später in meinem Berufsleben gebrauchen konnte. Zum Beispiel etwas über das Landvermessen: das ist ein Trigonometrischer Punkt, das ein Ort, Gauss-Krüger, Potsdam-Datum usw.

Für mich war es schlimm, als Vater eingezogen wurde, ich plötzlich zu seinem Stellvertreter wurde – man gerade aus den „Windeln“ entwachsen. Und wenn er mich so oft notwendigerweise verdroschen hat: die Dresche habe ich verschmerzen können, aber dass er nicht „greifbar“ war …

Und noch heute vermisse ich ihn, gibt es doch noch eine solche Menge von Fragen, die er mir beantworten sollte.
Morgen schreibe ich weiter!
ortwin

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Kommentare (3)

nasti Sehr gut und suggestiv geschrieben liebe Finchen

alle4s was du geschrieben hast stand direkt vor meinen Augen

Nasti
finchen ..das hast Du sehr korekt beschrieben - mein Großvater war auch so ein Tüfftler und Alleskönner. Er schnitze mir sogar mal Holzschuhsohlen, zerschnitt seine Schweinsleder-Aktentasche und stellte Riemchen für die Sohlen her.
So war es mal und damit sind wir groß geworden.
Doch gelernt haben wir auch ganz viel dabei - keine Zeit ist umsonst!
Danke für Deine wirklich interessante Familienchronik.
Liebe Grüße nach Berlin aus Bayern
Dein Moni-Finchen
Traute Ja das kann man heute noch erleben, in einigen Familien. Es ist ein ständiges "das Bester daraus machen". Und so ganz nebenbei waren die Kinder groß die Eltern wurden älter und die Großeltern gingen uns den Weg voraus.
Dein Vater hat sehr auf die abgefärbt, Deine Akkuratesse und die penible Genauigkeit hast Du übernommen.
Nun kommt die Zeit wo sich die Familien ein bisschen besser ausstatten können und das Leben genießen, denke ich.
Eine schöne Chronik schreibst Du über die Familie, auch für uns interessant.
Mit freundlichen Grüßen,
Traute

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