Mein Vater – unser Vater (7)


Kleine Schritte

Wir waren in Hämelschenburg gestrandet. Wir hatten das, was so ungewiss in Berlin, in Eichwalde war, zurückgelassen. Unser Vater blieb noch etwas da, bis er sich nach Köln absetzen musste.

Ich weiß nicht, woher und wie seine Mob-Kiste da raus nach Hämelschenburg gekommen ist. Da war so einiges brauchbares drin zu finden. Wenn er ein Werkzeug usw. brauchte, war Mutter schon unterwegs, es zu beschaffen oder auszuleihen.

Wenn man so mit nichts anfängt: da merkst du erst was, so im Alltag selbstverständlich war. Und doch hatten die Eltern schon einmal ganz klein angefangen, vor sechzehn Jahren in Berlin. Da ist Lotte zum Trödler gegangen und hat das eine oder andere Stück besorgt. Das junge Paar hat aber auch vieles selbst gebaut – wenn man bei diesen Selbstbaumöbeln eine Schublade herauszog, dann sah man „Persil“ und „Sil“ auf der Unterseite gedruckt.

Und so ging es da draußen im Emmertal von neuem los. Behältnisse für die Lebensmittel wurden benötigt, und Regale, damit nicht alles auf dem Fußboden herum stand. Dann begleitete Lotte Hans zum Bahnhof Welsede. Er fuhr von da nach Köln.

Wir blieben zurück. Mutter meldete uns auf dem Rittergut an zur Landarbeit. Es war Herbst – Kartoffeln, Rüben („Wurzeln“), Zuckerrüben, Holz mussten „verdient“ werden. In der Feldscheune draußen am Weg nach Emmertal wurde gedroschen. Da kam das Meterholz, lag zunächst draußen auf der Straße. Bis die Band- oder Kreissäge angefahren kam, das Holz wurde in brauchbare Scheiben gesägt. Dann hieß es, die Klötze zu zerlegen und im Hof unter dem Dach des Schuppens aufzustapeln.

Fließendes Wasser gab es in unserem Zimmer nicht. Also spielte sich alles in der Waschküche im Keller ab. Zum Kochen und für die kleine Wäsche musste das Wasser eimerweise herbeigeschafft werden.

Weihnachten stand vor der Tür. Vater kam aus Köln nach Hause. Er erzählte, dass er als „Nazi“ Aufräumungsarbeiten leisten musste, dass man in den freigelegten Kellern so vieles noch brauchbares findet. Prompt sollte er uns von den „Schätzen“ etwas mitbringen – das gehörte doch niemandem.

Da kamen Tontöpfe an, die gut für den Sirup aus Zuckerrüben waren. Töpfe, die den Brand etwas lädiert überstanden hatten. Und dann setzte sich Vater hin – vom Sattler Schomburg hatte er sich Nadel, Ale und Zwirn beschafft, holte die Lederreste – stammten von Geschützverkleidungen – und fertigte für seine beiden Großen – Bärbel und mich – Gelbörsen und mir eine Brieftasche, etwas klobig, aber richtig schöne Weihnachtsgeschenke.

Wir Kinder – die, die schon gut laufen konnten – zogen hinaus in die Wälder. Wir durften einen echten Weihnachtsbaum aus dem Wald holen, eine Fichte. Im letzten Jahr, da war noch Krieg, war es eine kleine Kiefer. Etwas fehlte: der Weihnachtsbaum-Schmuck – das waren die Erzgebirgsfiguren, die wir aus den Sammlungen des WHW (NS-Winterhilfswerk) gesammelt hatten. So setzten sich die Mädels hin und fertigten Strohsterne an. Und dann fehlten doch auch die Förmchen für das Ausstechen von Keksen. So halfen verschieden große Gläser zum Ausstechen von Monden. Wer weiß noch, woher die Farben herkamen und die Liebesperlen? Es gab Kekse mit Zuckerguss.

Ein Weihnachten ohne Angst vor Fliegeralarm. Wir waren da in Hämelschenburg so die ersten Flüchtlinge, und so einiges kam auf unseren Gabentisch, gestiftet von Nachbarn, die unsere Mutter „erobert“ hat. Und wir waren alle acht zusammen.
ortwin

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