Meine Flucht 1974 aus der damaligen DDR

Autor: ehemaliges Mitglied

Sind na nur ... 90 Minuten !!!


Dies ist keine Geschichte sondern ein Bericht
von meiner Flucht aus der ehemaligen DDR am 16.06.1974.


1. Ausgangsort: Grenzkompanie Juchhöh / Grenzregiment Süd.
2. Grund und Planung der Flucht.
3. Der steinige Weg in den “goldenen Westen”


Am 04.05.1973 wurde ich eingezogen zum Wehrdienst
im Alter von 23 Jahren nach Johann - Georgenstadt, Erzgeb.
Grundausbildung bis zum 29.10.1973.
Danach Versetzung zur Grenzkompanie Juchhöh.

Und dann begann es ...

1. Am 30.10.1973 trafen wir gegen Mittag auf der kleinen bescheidenen Grenzkompanie ein. Ich sag extra “bescheiden”, weil ich eher an die Ausbildungskompanie dachte, im Bezug auf die Größe.
Nur 86 Personen zählte die ganze Kompanie, wirkte sehr familiär
und einem dränge sich nicht das Bild von Stärke und Größe auf.

Bei der Begrüßung durch den Kompaniechef wurden wir darauf
hingewiesen auf den gegenseitigen Handgruß zu verzichten.
Vorsorglich fügte er hinzu:
dieses gilt nicht wenn Besuch aller Art sich im Kompaniegelände aufhält.

Diese Art von Begrüßung hatte seinen therapeutischen Zweck,
damit nahm man uns ein Teil aus Angst und Voreingenommenheit ab
und im Bezug auf den Grenzdienst.
Muß zugeben, es lockerte auf und ich dachte mir, na so schlimm wird´s nicht werden.

Ich wurde für Rückwärtige Dienste eingeteilt, also Küchendienst, was auch mein Wunsch war. Nicht schlecht dachte ich und wurde auch von anderen darauf angesprochen. Mensch ... hast du ein Glück!!!
So verbrachte ich den Winter über in der warmen Küche. Zu dieser Zeit hatte ich noch keine Fluchtgedanken, eher dachte ich mir: so hältst du es schon aus ...*grins.


Doch der 14.02.1974 veränderte alles, ich wurde zum Kompaniechef gerufen. Ein komisches Gefühl verbreitete sich in meinen Bauch: Ich zum Kompaniechef, welch eine Ehre, aber warum?
Im Zimmer angekommen, strammstehen und Handgruß.

Keine Grußerwiderung, sondern: ... Ach, Ali (war mein Spitznamen dort) locker bleiben und setzt dich hin. Uff ... da konnte es nicht schlimm werden, dachte ich mir.
Anwesend auch der Diensthabende Offizier und der Spieß
(Chef vom rückwärtigen Dienst und mir).
Der Grund war: Oliver, Unteroffizier und jetzige Küchenchef sollte versetzt werden.

Aha, ... und ich sollte sein Nachfolger werden. Schön und gut, warum nicht, aber ... ? Ich müßte mich dann für 3 Jahre verpflichten und Unteroffizier werden. Man war gnädig und gab mir 1 Woche Bedenkzeit.
Unteroffizier und drei Jahre??? nee, nee bin doch nicht blöd oder?

Ich nahm die Bedenkzeit und verglich positive und negative Eigenschaften.
Ein Soldat hat Gehalt: 140.00 DM
Jahresurlaub: 18 Tage
Wochenendurlaub: alle 2 Monate
Ausgang: 2x die Woche
Zimmer: 4-Bett Zimmer

Ein Unteroffizier hat Gehalt: 740.00 DM
Jahresurlaub: 30 Tage
Wochendurlaub: alle 3 Wochen
Ausgang: täglich
Zimmer: 1-Bett Zimmer

Einzige Minus, war die Zeit:
Als Soldat noch ein ¾ Jahr und als Unteroffizier noch 2½ Jahre.
Ich sprach auch damals mit meiner Mutter, Vater war schon verstorben.
Nun ja, ich nahm an und bei der Ausbildung wurde manch Auge zugekniffen. Am 03.04.1974 war ich Unteroffizier und Küchenchef.

2.Grund und Planung der Flucht:

Da ich gelernter Koch war, versuchte ich natürlich meine Erfahrung und mein Können wirkungsvoll einzusetzen. Dies gelang mir ganz gut und ich erhielt positive Rückmeldungen aus allen Ebenen.
Nur eine negative Erscheinung gab es, ... die monatliche Inventur.
Für die Abrechnung war die Anzahl der anwesenden Personen im Monat maßgebend. Die Kalkulation bezog sich dabei auf die billigsten Waren im Bezug auf die Verpflegung. DM 5 waren pro Mann und Tag angesetzt.

Ich bestellte dann etwas bessere Waren, besonders da wo jeder Abneigung dafür zeigte. Das sich dadurch ein steigendes Minus aufbaute, war unvermeintlich. Am Anfang von mir gar nicht richtig wahrgenommen und durch das fehlen meines Vorgesetzten bei den nächsten Inventuren (hatte immer was anders zutun)
wuchs das Minus ständig an.

Einerseits zufriedene Vorgesetzte und Soldaten, anderseits das steigende Minus machten mich erfinderisch und ich ließ so nebenbei den Warenbestand immer um den DM-Wert des Minusbetrages ansteigen.
Indirekt gab ich die Schuld an meinen Spieß weiter, hätte er die Inventuren immer mitgemacht, wäre nicht so hoch angestiegen.
Monatsende mußte ich mich dann im Regiment melden und die Inventurliste zu Abrechnung vorlegen.
Ging immer gut, bis zum 31.05.1974.

Bei der Einreichung der Liste an einen Angestellten dieses Dienstbereiches, erschien Major............! (Namen lasse ich im Bericht weg, ist besser so) der Chef von diesen Bereich.
Unter vier Augen ließ er mich wissen, wie es möglich wäre, daß eine Kompanie fast den gleichen Warenbestand hätte, wie ein Bataillon? Vorbereitet erwiderte ich:
Hätte einige besonders billige Angebote eingekauft und hob diese in der Bestandsliste hervor. Schön und gut, aber es half nix und er kündigte an, das ein Mitarbeiter von Ihn vorbeikommen würde, um mit uns die
nächste Inventur durchzuführen.

Uff ... ein Kloß bildete sich in meinen Hals und meine Beine hatten auf einmal an Stabilität verloren. Ich verabschiedete mich korrekt, aber hatte Mühe meine plötzliche Instabilität zu verbergen.
Nur schnell weg von hier, waren meine Gedanken und auf meinen Weg zum Auto übersah ich so manchen Vorgesetzten, im Bezug auf Handgruß.

Diese wiederum ließen sie mich spüren, indem ich zurück mußte und nochmals an ihnen vorbei ging. aber dieses mal mit korrekter Art und Weise.
Tja ... hier war ein Regiment und keine Kompanie.

In der Kompanie angekommen, meldete ich mich beim Spieß und ließ ihn wissen, was am Monatsende auf uns zukommt.
Ein Aufstöhnen unterbrach mein Gespräch und er sagte mir: Ali, zwei Tage vor Erscheinen der Kontrolle, machen wir eine schnelle Inventur. Jetzt auf einmal hatte er auch Interesse daran.
Aha, dachte ich mir: hast wohl Angst bekommen?

Desgleichen wurde mir bewußt: ... Junge, jetzt wird´s brisant, schau das du vom Acker kommst. Also setzte ich mir ein Limit:
ein bis zwei Wochen und dann ab ... westwärts zieht der Wind.
Aber wie?

Die Posten, Minenfeld ,der hohe Zaun und die nichtangemeldeten Kontrollgänge von manch schießwütigen Berufssoldaten aus dem Regiment machten mir zuschaffen.

In diesen Zusammenhang möchte ich folgendes loswerden. Einen direkten Schießbefehl gab es nicht und im Endeffekt lag es an jeden selber.
Ein einfacher Soldat in dieser Situation traf selten und wenn, dann aus Zufall. Aufregung und Angst waren sein Zielwasser.

Da gab es schon andere, die mit Zielfernrohr und einer Kalaschnikow im Samtkoffer bei Grenzalarm sofort an der Grenzlinie waren und darauf warteten, das der Grenzverletzer die letzte Hürde, also den Sichtzaun überwinden wollte.

Mehr möchte und will ich nicht hinzufügen, denn ich war in der Küche tätig und bezieh mich da nur auf Gehörtes. Möchte aber einmal eine Beschreibung unseres Grenzgebietes darbieten.

Das Grenzgebiet begann ca. 5 km vor der normalen Landesgrenze.
Orte die in diesen Gebiet lagen, konnten nur mit Passierschein besucht werden. Diese wurden dann bei der Einfahrt zum Grenzgebiet kontrolliert, sonst blieb der Schlagbaum zu.
Traf dieses zu, warst du schon abgestempelt als vermutlicher Grenzverletzer und man konnte sich dann schon auf seltsame Zufälle vorbereiten. … z.B. Ausweiskontrolle, wo man sie gar nicht vermutete. Man wurde dann einfach unauffällig überwacht.

Nach 3 km kam dann der Signalzaun, dies war für zivile Flüchtlinge das größte Hindernis. Ca 2.50 m hoch und mit Drähten in einen Abstand von 10 cm bespannt. Diese waren nicht mit hoher Spannung geladen, sondern dienten nur Erkennung. Wenn man die Drähte zerschnitt oder aneinander brachte. In diesen Fall ertönte eine Sirene und eine blinkende Leuchte signalisierten Grenzalarm.

Des weiteren zeigte ein Monitor in der Befehlszentrale an, wo sich der Vorfall ereignete.
Nun waren es noch ca. 2 km bis zur Grenze. Unser Abschnitt betrug 8,5 km und wurde von 5 Postenpaaren bewacht.
Die Posten standen aber nicht direkt an der Grenze, nein ... mehr im Hinderland und auf einen festen Punkt.

Also fragten wir uns manchmal, warum stehen wir gerade hier?
Uns sagte man offiziell: Wir stehen hier, um unser Vaterland vor kapitalistischen Elementen von außen zu schützen.
Im Inneren wußte aber ein jeder, wir sind hier, um keinen aus der DDR heraus zulassen.

Direkt an der Grenze standen auch die Grenztürme, von den man immer den nächsten sehen konnte.
An nichteinsehbaren Stellen wurden dann auch Minen eingesetzt.
Kam man bis kurz vor die Grenze, überquerte man einen Weg der von den mobilen Grenzkontrollen benutzt wurde.
Danach kam die KFZ - Sperre, in die konnte man zwar einfahren aber heraus ging es nicht mehr oder man kehrte um.
Danach folgte ein Streifen mit feingeglätteter Erde als Spurensicherung und dann der Zaun. Dieser war ca. 3 m hoch und man konnte von rechts nach links schauend nicht hindurch sehen.

Umgekehrt aber konnte man einen Blick in den Westen riskieren.
Der sogenannte: “ Maschendrahtzaun “ !!!
Ist aber keiner, sondern ein Streckzaun. Dieser wird im Stück hergestellt. Gewalztes Metall wird zugeschnitten, dann werden maschinell die Sehschlitze eingekerbt und durch strecken der bearbeiteten Flächen entsteht der Zaun.

So, dies zu meiner Erklärung für Unwissende.

Weiter zu mir und meiner Flucht.

Wo die Postenpaare stehen, wußte ich, somit war das erste Hindernis weg. Das Minenfeld kannte ich auch, aber vom Fahrzeug aus gesehen, als ich einmal Nachts Posten besuchte, um ihnen warmen Tee und Essen zu bringen. Dieses Minenfeld sollte mir später noch viel Probleme bereiten.

Der Zaun in dieser Größe und ich bei einer Körpergröße von 1.64 m, machte mir zuschaffen. Die Idee kam bei der Arbeit in der Küche. Beim anbraten von Rouladen brauchte ich eine Fleischgabel, aber wir hatten nur welche in großer Ausführung. Da kam die Idee, diese Gabeln sind es was ich brauch. die Spitzen nach rechts, den Griff nach links gebogen und fertig ist meine Treppe am Zaun.
Gesagt, getan und so blieb nur noch eins, die unangemeldeten Kontrollen. Dieses Risiko blieb offen und machte das ganze fast aussichtslos. Aber je näher der Tag des Besuches kam, umso kleiner wurde das Restrisiko.

Der 16.06.1974 nahte und ich wurde von Tag zu Tag nervöser.
Ich war jeden abend in unseren Kneipe im Grenzgebiet und versuchte meine Nerven und meine Angst mit Alkohol zu betäuben. In der Nacht zum 16.06. packte ich meine nötigsten Sachen vorsorglich ein. Mein damaliges Arbeitsbuch besorgte ich mir bei einen Wochenendurlaub. Dies war sehr wichtig für den neuen Anfang in der BRD.
Sämtliche Papiere zu meiner Person und natürlich meinen Wehrdienstausweis. Drei bearbeitete Gabeln hatte ich auch schon besorgt. Dies alles packte ich in eine Tasche die man sonst bei Übungen dabei hat.
Geschlafen habe ich die letzte Nacht keine Minute und so war ich am morgen schon eine Stunde früher in der Küche. Der Nachtdienst freute sich, weil ich ihn eher wegschickte. Montags war der Speiseplan sehr einfach und dies kam mir sehr entgegen. Im Nu war es 18.00 Uhr und mir blieb nur noch die mündliche Arbeitseinteilung des Nachtdienstes.

Ich schaute mich noch einmal ausführlich in der Küche um und verabschiedete mich innerlich von ihr. Ich ging zum Wachhabenten und trug mich für einen Ausgang ein. Er sagte noch zu mir: Was, Ali heute in Ausgang, da bist aber allein.
Ach, erwiderte ich, ist manchmal nicht verkehrt und mit dem Wirt kann man sich auch gut unterhalten. Ich ging auf mein Zimmer um meine Ausgangsuniform anzuziehen. Die Tasche mit meinen Utensilien zur Flucht hatte ich im Küchenbüro versteckt. Ich verließ mein Zimmer mit einen letzten Blick auf mein neues Kofferradio. Auf dem Weg zum Küchenbüro traf ich den Nachtdienst.
Was jetzt, menno ... wie soll ich jetzt die Tasche holen?

Ich ging schnell ins Büro und holte die Tasche. Im gleichen Augenblick erschien der Nachtdienst und schaute auf die Tasche. Weißt, sagte ich, bin heute der einzige mit Ausgang. Bring einigen ein Bier mit, darum mein Weg durch den Hinterausgang. Ein bejahendes Kopfschütteln und drei Worte “ für mich auch? ” ließen mich unbehelligt ziehen.

Nun noch der Wachposten am Tor, denn diese waren immer von einer anderen Kompanie. Zum Glück oder bewußt habe ich mich mit ihn im Laufe des Nachmittags schon beschäftigt. Die gleiche Ausrede wie beim Nachtdienst wirkte auch, nur wollte er zwei Flaschen.
Diese versprach ich und klopfte ihn dabei lachend auf die Schultern. Diesen Zuspruch von mir hätte ich eigentlich gebraucht. Mein Inneres drängte sich langsam und sicher nach außen.

Das Lokal war ungefähr 1500 m vom Wachposten entfernt, aber er konnte nicht einsehen, da eine Kurve und der Wald die Sicht versperrte.
200 m vor dem Lokal ließ ich die Taschen unter einen Busch im tiefen Straßengraben verschwinden. Leicht erleichtert betrat ich das kleine Lokal. Zwei Gäste sahen noch drin, die mich lautstark begrüßten.

Der Ort Juchhöh bestand aus fünf Bauernhöfen und den kleinen Lokal. Der Wirt arbeitete nebenbei und führte am Abend das Lokal. Keine große Speisekarte, brauchte er auch nicht, denn wir waren praktisch seine besten Gäste.

Ich dachte mir: Hoffentlich will der nicht zuschließen, was mach ich dann. Wollte ja warten, bis es zumindest etwas dunkel war. Dank der zwei Gäste war es mir möglich, den Wirt am schließen zu hindern. Kostete mir zwar viele Runden Schnaps, aber dafür zahlte ich gerne und beruhigte damit auch mein Nervenkostüm.

22.30 Uhr war es dann soweit, denn ich mußte auch aufpassen um nicht zuviel zu schlucken. Ich bezahlte und wollte gerade gehen, als er mich zurück rufen wollte. Er schrie: Hey, hast deine Mütze vergessen. Ich gab zurück: Lass sie hängen, hab ich morgen einen Grund wieder zukommen. Lautes Gelächter vom Wirt und seinen Gästen.
Dies passte mir gar nicht und nervös suchte ich meine Tasche.

Ich fluchte vor mich hin und plötzlich zu schönen Abrunden dieses Spektakels kommt ein Fahrzeug vom Kontrollpunkt her.
Mit einem Satz war ich im Straßengraben und versuchte mich unter einen Busch zu verstecken. Siehe da, welch ein Glück, ich fiel direkt auf meinen Tasche. Ich umarmte sie innig und drückte mich dabei auf den Boden, als der Jeep an mir vorbei fuhr.
Ich ließ den Jeep in die Kompanie einbiegen, sprang auf und überquerte die Straße. Rannte dann ungefähr hundert Meter in den Wald hinein, halt soweit das man mich von der Straße aus nicht mehr sah.

Ich setzte mich auf einen Baumstumpf, mein Herz raste und ich zitterte. Ab jetzt gabs kein Pardon für Grenzverletzer und das wußte ich. Ich kam mir vor, wie Richardt Kimple auf der Flucht ... *grins

Tiefes durch atmen und orientieren, das war mein jetziges Anliegen.
Es war nicht stockdunkel, zum Glück schien der Mond.

Also dort war die Wirtschaft und dort die Kompanie,
logo ... da gehts lang und immerschön geradeaus.

Doch weit kam ich nicht, ein Reh schoss hinter einen Busch hervor und ich ging unweigerlich zu Boden. Nicht wegen dem Reh,
nein ... es könnte ja einer der befürchteten Kontrollen sein.
Liegen bleiben und abwarten, nun dies Missgeschick passierte mir nicht nur einmal. Aber das teuflischste kommt jetzt, denn querfeldein bin ich hier noch nie gegangen.

Plötzlich durchzuckte es mich und sofortige Starre setzte ein.
Was war los?
Wo stand ich jetzt?
Wieso kein Waldboden hier?

Ich versuchte verzweifelt etwas zu erkennen. Rechts, links und hinter mir hohe Bäume, vor mir nichts, außer eine dunkle gähnende Leere.
Der Boden unter mir hob sich in einer helleren Form von der anderen Umgebung ab. Konnte das sein oder täuschte ich mich, war es wirklich das Minenfeld?

Wie angewurzelt stand ich nun da und wie gehts weiter?
Langsam drehte ich meinen Kopf herum, um zuschauen wie weit ich schon im Minenfeld war. Meine Füße bewegte ich dabei nicht und im drehen schleuderte ich meine Tasche zurück. So und jetzt, egal du mußt weiter, nur drei Schritte trennen dich von den dunkleren und rettenden Boden. Augen zu und los, ähnlich wie bei Dreisprung bewegte ich mich vorwärts.

Ich gebe jetzt ehrlich zu, als ich den Waldboden berührte, ließ ich mich fallen und dicke Tränen liefen mir über die Wangen.
Einen Aufschrei vermiet ich aus gutem Grund und zitternd suchte ich nach meiner Tasche.
Zum ersten Mal verspürte ich eine Art von Kapitulation und abbrechen war zu dieser Zeit noch möglich.
Aber, ich sagte zu mir, weg bis du sowieso vom Fenster, wegen deinen Minus, ist ja Diebstahl an Volkseigentum, auch wenn ich mich daran nicht bereicherte. Dann ist´s aus mit den schönen Leben als Uffz. Nee,nee ... weiter gehts, wird ja nicht mehr weit sein.


Ich umging das Feld und stand vor einer großen und abfallenden Wiese. Ich ließ mich gehen und meine Schritte wurden immer schneller. Nur weg dachte ich und meine Blicke blieben am Mond hängen. Ein Feldrain brachte mich zum stolpern, dabei landete ich mit dem Gesicht in einen Brennnesselfeld. Dies war vielleicht maßgebend für meinen neuen Ansporn die Flucht fortzusetzen.

Es war wie eine Erlösung, als ich den Streckzaun sah. Endlich!! drang es unweigerlich aus mir hervor.
Die Kfz - Sperre machte mir kein Problem, genauso der Spurenstreifen. Hatten sie ein Andenken von mir, was ich gerne hergab. Ich riss die Tasche auf, holte die drei Gabeln heraus, hängte sie ein und schleuderte die Tasche über den Zaun. Es ging eigentlich besser als ich dachte und im nu war ich auf den Zaun. Nur abwärts hatte ich Probleme, einfach so runter springen, ohne etwas deutlich zu erkennen.

Ach was solls, dachte ich mir ...
Der Boden auf der anderen Seite war urwüchsig und sogar etwas weich. Danach ging es steil nach unten und ich überwand dieses Problem sitzend, was mir viele blaue Flecken am Gesäß bescherte.

Unten angekommen sah ich mich hilfesuchend um, wo bin ich noch im Osten oder schon im Westen?
Ah, mir fielen die Worte des Kompaniechefs bei der Begrüßung ein.
Er sagte unter anderem, die reale Grenze wäre ein Bach und bis zum Zaun wäre Niemandsland.

Also los, wo ist da Bach, weiter, weiter dachte ich nur.
Um Gotteswillen nicht mehr stehen bleiben.
Ein leises Rauschen ließ mich aufhorchen und da war er ,nicht gerate klein, dachte ich mir. Ich suchte nach etwas, damit ich mit zwei Sätzen über den Bach springen konnte.

Da, was ist das ...? Ein großer Stein lag in der Mitte des Baches. Dankeschön, dachte ich und setzte zum Sprung an.
Mit dem rechten Bein betrat ich den vermeintlichen Stein und ... und was schon! Es war eine alte Plane, die durch die Wellen angehoben wurde und so mir einen Stein vorspielte. Platsch, machte es und ich stand bis zur Hüfte im Wasser. Jetzt ließ ich meinen Aufschrei freien Lauf und dies tat sogar recht gut. Aus den Bach gestiegen, sah ich in der Ferne erleuchtete Fenster. Ja, ja sehr schön, aber wo bin ich jetzt wirklich?
Ich lief querfeldein, bis ich einen Feldweg erreichte.

Ich war erstaunt, ein gepflasterter Feldweg und dann diese Steine. In sechseckiger Form hatte ich sie noch nie gesehen.
Juhu...... schrie ich laut und jodelte: ich habs geschafft, ich habs geschafft. Erleichtert ließ ich mich am Wegesrand nieder und fingerte meine letzte DDR-Zigarette heraus (natürlich F6 ).

Ich wollte sie gerade anzünden, da passierte es.
Eine Leuchtrakete erhellte den Himmel, drei Sterne gelb heißt Grenzalarm. Ich streckte den Arm aus und zeigte den gestreckten Mittelfinger, nur schade das es keiner sah.

Es waren ungefähr 10 Minuten vergangen und ich wollte gerade weitergehen. Sieh da, ein Jeep raste auf der anderen Seite entlang und blieb an der Stelle stehen, an der ich rüber geklettert bin.
Taschenlampen blitzten auf und es wurde ein Teil des Niemandslandes beleuchtet. Dies versetzte mir einwenig Angst und ich lief immer schneller, den Häusern entgegen.

Ein Licht aus einen Fenster zog mich automatisch an, doch dann sah ich eine ältere Dame im Morgenmantel auf und abgehen. Dies war leider nicht die günstigste Stelle um im Westen anzuklopfen. Der Ort hieß Döben und hatte eine Hauptstraße, auf der ich verzweifelt entlang ging.
Doch plötzlich packte mich eine Hand von hinten und ich hörte jemanden freundlich sagen, „ Willkommen im Westen „

Ich drehte mich langsam herum und sah in ein freundliches Gesicht.
Am liebsten hätte ich diesen Mann umarmt.
ER nahm meine Tasche und reichte mir sogar seinen Arm als Stütze.
Ich wollte es schon annehmen, aber mein Gehorsam verbot es mir noch.
Wer war dieser Mann und was wollte er, erstaunlich denn das gleiche dachte er von mir.
Ist er ein Spion oder nur ein Flüchtling.

Er sagte zu mir, sie sind allein, ohne Waffen, keine Schießerei an der Grenze, das ist nicht normal. Aber was solls, ich bin hier. Wir gingen zusammen in seine Wohnung und im Keller hatte er ein Büro.

Er war zuständig für Flüchtlinge und drei Stern gelb waren auch für ihn ein Zeichen tätig zu werden.
Mittlerweilen war es schon 00.30 Uhr geworden. Jetzt wurde mir auch klar, wie schnell ich eigentlich war oder sagen wir lieber langsam?
Für knapp 2½ km bis zum Grenzbach brauchte ich
sage und schreibe ... 1½ Std.
Was für ein Rekord, aber unter welchen Umständen.

Später, als er mich vernommen hatte, brachte er mich zu einer Polizeistelle, wo ich nach einer Tasse echten Jacobscafe endlich schlafen durfte.
Am nächsten Tag nach einen ausgiebigen Frühstück in einen Lokal sollte es nach Hof gehen, zu einer bestimmten Dienststelle.

Ach so ... im Lokal fragte mich der Polizist, ob ich rauchen würde.
Ich antwortete mit ja und da fragt er mich doch, welche Sorte
ich gerne hätte. Keine Ahnung dachte ich mir, sind doch alle gut.
Plötzlich viel mir das HB-Männchen ein und wie aus der Pistole kam,
ich hätte gern HB und seit dem rauche ich sie.

Nach ca. 4 Jahren besuchte ich noch einmal die Stelle, an der ich geflüchtet bin, halt von der anderen Seite her. Ein guter Bekannter aus der neuen Welt wollte sie gern sehen. Dort angekommen lief er weiter, bis zur Grenzmarkierung.

Ich aber blieb an diesen gewissen Feldweg stehen und versuchte zu vergessen. Was 1½ Std. in einen Leben doch alles verändern können, andere brauchen manchmal ihr ganzes Leben dazu.

Hoffentlich habe ich Euch nicht gelangweilt,
es waren eigentlich nur 90 Minuten aus meinen Leben.

Nunja, was heißt hier jetzt mein Leben verändert? Ich habs nicht verändert, es ist mein Leben und es ging erst richtig los.
Mein Weg ging dann weiter von den kleinen Grenzort Döben nach Hof/Saale, wo ich zu einen Sicherheitsdienst gebracht wurde.
Es ging einfach gesagt darum, mein Verdacht als Spion loszuwerden. Die einfache Flucht kam einigen verdächtig vor und daher wurde ich regelrecht ausgequetscht.
Aber in einer Art die ich von unseren Beamten/ Stasi und CO. nicht kannte. Sie war sehr höfflich aber dennoch sehr scharf und tiefgreifend.

Nach langen hin und her sollt ein Schriftstück unterschreiben, aber jedes mal wenn ich dazu ansetzte, zog man mir die Hand weg und ermahnte mich. Sie würden es so wie so heraus bekommen und dann würde man mich für einige Zeit verstecken ... *grins.
Naja, nach den fünften Male durfte ich unterschreiben und mir fiel auch ein Stein vom Herzen.

Doch dann folgte etwas, was ich bis dahin nicht vermutete. Man legte mir eine Mappe vor mit Luftbildern unserer Kompanie. Ich schaute nicht schlecht, als ich noch Namen las die mir alle bekannt waren bis herunter zum Dienstgrad der Berufssoldaten, also Feldwebel.

Nun fragte man mich nach Änderungen in der Führung und zum Aufbau des Kompaniegeländes und des Wohnblockes.
Ich fragte verdutzt den Beamten woher sie das alles wüssten. Er sah mich lächelnd an und sagte nur: und woher weiß euer Dienst drüben unsere Geheimnisse und Pläne?
Wie aus der Pistole kam von mir und fasst unbewusst, von mir aber nicht. Ich merkte das ich rot wurde und versuchte zu lächeln, was aber eher wie ein hämisches Grinsen aussah.

Er sagte nur so beiläufig:
na, na, haben wir zu früh unterschrieben?
Und wieder dieser verdammte Klos in meiner Kehle.
Aber er merkte schon, ich wollte etwas reinwaschen
was gar nicht schmutzig war, mein Gewissen hinsichtlich dieser Bemerkung.

Nun ja, ich dachte mir meinen Teil
und im inneren suchte ich vergebens
nach dem goldenen Westen.


geschrieben von Feeling60



Kleiner Nachtrag den ich gern loswerden möchte ...
 

Von 1974 - 2008 lebte ich in Nürnberg und seit
dem 01.03.2008 wohne ich in Luckenwalde/Brandenburg.
Solang man Arbeit und Geld hat, lebte und lebt man
im Westen ganz gut. Aber sobald man zum alten Eisen
gehört, ist man im Westen nicht gern gesehen ... leider.

Mich zog es in den Osten zurück weil dort die Menschen
vielleicht noch etwas haben, was die meißten im Westen
garnicht kennen oder kannten. Doch ich muß zugeben
das dies im Osten von Deutschland auch langsam verschwand.
Das liebe Geld spaltet auch hier die Menschen
in zwei Gruppen, die Armen und Reichen ...
und der Spalt wird immer größer.

Feeling60

 

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Kommentare (13)

Seija Liebe Traute,
was ist perfekt? Gibt es das?
Demokratie ist wichtig,
mit all ihren Schwachstellen.
LG Seija
Traute Das ist eine beeindruckende Schilderung von der Flucht und zum Schluss eine begründete Rückkehr.
Ich werde das noch ein zweimal lesen.
So schlecht es war, das viele abhauten, so gut war es wieder zurück zu kommen.
Im Nachhinein betrachtet, ist es nun anders, besser, aber nicht perfekt.
Mit freundlichen Grüßen
Traute
Gartenfreundin

Lebe heute und vergiss alle Sorgen der Vergangenheit.

Ich wünsche ein gutes ,zufriedenes neues Jahr.

Sieglinde die Gartenfreundin
Gartenfreundin Zu Deinem Nachtrag.

Gartenfreundin Habe erst heute Deinen Bericht der Flucht, gelesen und er hat mich sehr,sehr berührt .
Ich bin geblieben ,hatte keinen Mut.
Aber Chapeau für Alle die den Mut hatten.
Für mich ist es Geschichte und die ist geschrieben und ich bin froh darüber.

Aber auch Dein Nachtrag,wie Recht Du doch hast.

Mit lieben Grüßen Sieglinde
Franzmann Hallo Feeling60. Ich habe den Artikel mit Spannung gelesen und kann deine Gefühle nachvollziehen.Ich war bei den Mot-Schützen,kenne noch etwas die Verhältnisse in der NVA.Der Saufraß ,dieses Wort ist drastisch, trifft aber zu,ist mir noch in Erinnerung geblieben.Ich dachte immer die Grenzer hätten eine bessere Verpflegung gehabt.Dein Fluchtgrund war demnach von dir selbst verschuldet. Ich habe hohe Anerkennung für deine Ehrlichkeit. Ich glaube nicht,daß ich in Deiner Situation den Mut zur Flucht gehabt hätte.Ich bin vor 4 Wochen auf dem Grenzweg vom Brocken bis nach Hohegeiß gradelt,ca.30 km.Die Natur hat vieles verdeckt,doch habe ich mir nach der Grenzöffnung damals alles angesehen und kann ermessen welches Wagnis Du da eigegangen bist. Danke für die packende Schilderung deiner Flucht. Achim
finchen ...dieses Mondlicht, fast zu hell, doch auch zu finster um etwas genau zu erkennen........und das ganze Drumherum.
Mit "Atemstillstand" habe ich deine Geschichte gelesen.
Sehr hautnah und plastisch geschrieben, Donnerwetter,
Ich gratuliere Dir nicht nur dafür, sondern auch für Deine Willenskraft und Charakter.
Ich bin auch ein DDR-Kind, aber legal ausgewandert, doch mit Erfahrung schwarz über die Grenze zu gehen.Es waren immer die reinsten Gruselgeschichten - ich weiß woran deine Seele nagt.
Mit ganz besonderen "flüchtigen" Grüßen
das Moni-Finchen
tilli die Geschichte soll nicht vergessen werden. Keine Mauern mehr und keine in den Herzen der Menschen.
Deine Schlussworte sind so wahr.
Die Gier der Menschen nach Geld macht auch vor bei der Politik nicht halt. Wenn es Menschen besser geht ist der Wunsch größer nach noch mehr Reichtum. Und gerade in der ehemaligen DDR wo Menschen die harte Politik erlebt haben und so lange auf die Freiheit gewartet haben, sind wieder viel mehr junge Menschen auf den Kurs, der niemals mehr sein sollte.

Viele Grüße und danke für dein Bericht

Tilli
floravonbistram die Geschichte eines Kusins ging leider nicht so gut aus, er wurde geschnappt und verschwand erst mal für Jahre von der Bildfläche.
Seine älteste Tochter durfte dann nicht studieren, weil sie sich regimekritisch geäußert hatte.

Es gibt in allen Ländern Hochs und Tiefs, aber auch in allen Ländern Freundschaften durch Dick und Dünn.
Dir alles Liebe
Flo
ehemaliges Mitglied und wer noch Fragen hat, darf mich auch gern privat anschreiben ...

Albrecht
omasigi wieder gegeben.
Ein solches Erlebnis ist sicherlich fuers Leben praegend. Du warst Jung und hast diesen Risiko - Schritt gewagt.
Bis zum guten Schluss habe ich bei Lesen den Atem angehalten.
Auch Deinen Nachtrag fand ich sehr aufschluss reich.

Sage einfach Dir danke, dass Du
es fuer hier aufgeschrieben hast.
omasigi
indeed hat mich sehr gefesselt. Für mich ist er ein Dokument eines Zeitgeschehens. Du hast es so plastisch beschrieben, dass man mitfiebert und die Daumen drückt.
Wie bist du hinterher mit allem zurecht gekommen? Deine Familie aufgegeben, hier Fuß zu fassen und vieles mehr, was auf dich zugekommen sein muss. Es macht alles sehr nachdenklich. Wie gut ist es doch, dass die Mauer gefallen ist und Menschen wieder zueinander können, die zueinander gehören.
Ich bin einigen Menschen begegnet, die auch die Flucht gewagt hatten mit Erfolg. Keiner wollte aber darüber berichten. Ausserdem waren da auch Kontakte im Westen vorhanden, die beim Neuaufbau halfen. Das war schon wieder eine gemilderte Situation.
Ich danke dir für deinen Beitrag.
Liebe Grüße
indeed
Karl ich werde Deinen Bericht in der Gruppe Die Deutsche Demokratische Republik (DDR) im Spiegel der Seniorentreffler verlinken.


Beste Grüße, Karl

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