Das hat man nun davon:
Da liest man die Briefe der heimgegangenen Eltern, die sie uns hinterlassen haben, Brief aus der Zeit von Kriegsbeginn, als der Vater eingezogen wurde, bis zehn Jahre danach, als die Familie endlich wieder eins war; es treibt die Erinnerungen darin hoch, auch die Erinnerungen an die Zeit davor, als man als Knirps mit Vater und Großvater die Heimat durchstöberte.
Gehören diese Erlebnisse auch in das Buch, das ich schreibe, das alles um unsere Familie, aber insbesondere über die Eltern berichtet? Nicht eine Familie von ungefähr, nicht so banale Memoiren, nein: unsere Eltern haben fünfundvierzig direkte Nachkommen. Das ist eine Familie! Über diese Geschichte darüber schreiben weder Funk noch Fernsehen, noch findet man etwas in der Presse. Aber wir haben die Zeit mitgemacht, haben alles rund herum erlebt – längst nicht wie die Menschen um uns herum, sondern eben eingebunden in die Familie, die unsere Eltern aufbauten und gestalteten.
Wenn ich heute resümiere, dann sind erst drei aus der Familie auf einem Stein eingemeißelt: der Eltern Namen und einer ihrer Enkel. Die Gräber der Vorfahren findet man nicht mehr, weit verstreut in unserem Land ruhen sie.
Die Geschwister und ihre Kinder sind nicht unbedingt an den „Geschichten“ interessiert – noch nicht. Aber spätestens dann, wenn Enkel und Urenkel wissen wollen, woher sie kamen, was sie waren, was sie hinterließen, dann ist der Wunsch, mehr zu erfahren als das, was gerade am Frühstückstisch erzählt wird.
Man kann heute nicht mehr einfach zur Muhme hinüber gehen, sie abfragen, dazu sind wir alle in unserer heutigen Mobilität viel zu weit verstreut zu Hause. Und wenn dieses Wissenwollen beginnt, kommt man oft zu spät, weil es diejenigen, die noch Bescheid wußten, nicht mehr da sind, und ihr Nachlaß ist untergegangen, weil gerade diese Kleinodien in der Mobilität entsorgt wurden oder zurückgelassen werden mußten.
Je weiter eine Sache zurück liegt, desto verklärter wird sie in der Erinnerung – so entstehen die Sagen. Es ist also schwer echtes Zeugnis abzugeben über das, was einmal war, wie es wirklich war.
Die Briefe sind Tatzeugnisse, fabulieren nicht, sondern sprechen von Freuden, Sorgen und Nöten. Die Eltern schrieben sich fast jeden Tag. Sie schildern uns die Probleme, die wir Kinder in Kriegs- und Nachkriegszeit hatten, die die Eltern darin festhielten – uns sind sie kaum so und noch in Erinnerung.
Aber mit jedem Brief tauchen die Dinge wieder auf – ja ja, so war das und so haben es die Eltern gesehen.
Ich werde das Buch nicht rechtzeitig zu der Eltern achtzigsten Hochzeitstag und auch nicht zu Mutters hundertsten Geburtstag fertig bekommen. Ich werde das, was inzwischen schon druckfähig ist, samt Bildern, Urkunden, Belege auf eine DVD brennen und dann als „Vorab“ an die Familien schicken. Da sind leicht Enkel, die dann diese Datenträger vermehren können. Ein Buch ist endlich und abgeschlossen, eine DVD kann doch heute mit „updates“ erweitert werden. Mache ich es mir damit etwas leichter und entziehe mich nun etwas dem Zeitdruck. Ich weiß doch noch ‘ne ganze Menge zu schreiben.
Sei es denn.

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Kommentare (2)

indeed du hast Recht - leider geht zu viel verloren. Habe schon oft den Gedanken gehabt, für meine Kinder einiges festzuhalten. Wenn man noch jung ist, ist man noch zu abgelenkt und oft fehlt die Muße und der Alltag fordert seinen Tribut. Ich finde es schön, dass du deine Geschichte und deine Wurzeln festhältst mit allem was dazu gehört.
LG indeed
koala Frueher nur mit halbem Ohr hingehoert, wird es heute interessant, laesst sich aber nicht mehr hinterfragen, da 'Sie' nicht mehr leben.

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