Mi ne komprenas

Autor: ehemaliges Mitglied

Ich bummelte mit meiner Familie im Urlaub in München. Auf der Rolltreppe zur U-Bahn sprach mich jemand an. Die erste Bemer­kung verstand ich nicht, weil ich noch wie ein Hirtenhund darauf konzentriert war, ob meine Familie vollzählig ist. Ich wandte mich dem anderen zu, sah einen etwas ungepflegten Arbeitertyp, legte instinktiv die Hand auf die Tasche mit dem Geldbeutel und blickte ihn fragend an. Nun sagte er, er sei kein Tänzer, womit ich auch nichts anzufangen wusste, so dass ich beschloss, das Gespräch abzu­blocken – auf eine Art, die weder Widerspruch noch Aggres­sion pro­vo­zieren würde.
Ich fragte: "Mi ne komprenis, kion vi diris?" (Esperanto: Ich habe nicht verstanden, was haben Sie gesagt?) Nun begann er zu rätseln und zu fragen, was das für eine Sprache sei, wobei er Fremdsprachenbrocken beimischte, wie man sie z.B. im Fernsehen aufschnappt. Aber auf jeden Versuch kam konsequent ein "Mi ne komprenis ..." in (für mich) sinnvollen Variationen.
 So ging das die ganze lange Rolltreppe. Am Ende hauchte er mir eine Alkoholfahne entgegen (erst da merkte ich, dass er angetrunken war), so dass ich, mir Luft zuwedelnd, flüchtete. Wir strebten auf eine Rolltreppe zur nächsten Ebene zu, als ich gerade noch an den (deutschsprachigen emoji_wink) Schildern erkannte, dass es die falsche war. Es gelang mir, meine Familie wortlos, nur mit Gesten umzudirigieren. Während wir zu unserem Bahnsteig hinunter­fuhren entschwand auf der anderen Rolltreppe mein "Ge­sprächs­part­ner" – mit einem etwas verwirrten Gesichts­aus­druck.

Während der ganzen Zeit sagte meine Familie kein Wort. Sonst wäre der Schwindel ja aufgeflogen. Meine Kinder nahmen die Szene mit stoischer Ruhe hin, sie sind von ihrem Vater einiges gewöhnt. Nur meine Frau musste sich abwenden, damit man nicht merkte, wie sie sich das Lachen verbeißen musste. Sie meinte hinterher, das sei eine gekonnte Verarschung gewesen.

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Eigentlich hatte ich mir dieses Verhaltensprogramm mal ausgedacht für den Fall, dass ich irgendwann mit einem missio­nie­ren­den Rechts­radi­kalen konfrontiert bin. Wenn so ein typisch deutsch aussehender Passant, von dem er sich Zustimmung erhofft, ihn mit freundlichem Lächeln in einer fremden Sprache zuquatscht, dürfte ihn das etwas aus dem Konzept bringen.
 Risiko? Vielleicht. Aber für den Notfall bliebe immer noch die Mög­lich­keit, eins draufzusetzen, indem nun der vermeintliche Ausländer den Angreifer plötzlich in urdeutschem Kasernenhofton zusammen­staucht.
 
Juli 2001
 


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