Mit dem Kopf durch die Wand


Mit dem Kopf durch die Wand


 
In jungen Jahren, kurz nach dem letzten Krieg, und nach der Flucht aus dem früheren deutschen Ostpommern war ich in Ostfriesland angekommen. Nach einigen Wochen schickte mir das Leben einen väterlichen Freund, der bedeutend älter als ich war. Klaas war sozusagen für drei Jahre ein Vater-Ersatz, da mein eigener Papa schon 1942 an den Folgen seiner schweren Verwundung sterben musste.
Dieser Mann war vom Leben nicht gerade mit Gütern gesegnet. Außerdem durch einen schweren Unfall im Kindesalter an beiden Beinen gelähmt, konnte er sich seit Jahren nur mit zwei Krücken fortbewegen. Er schien stets gutgelaunt, ich kannte ihn nur mit einem lächelnden Gesicht.
Seinen Unterhalt verdiente er sich mit dem Knüpfen von Fischernetzen, dass er hierbei mit einer Fertigkeit zuwege ging, erstaunte nicht nur mich! Außerdem reparierte er Ledergeschirre für Pferde, die seinerzeit für die Landwirtschaft unerlässlich waren, da die Trecker-Mobilität durch den alles verzehrenden Krieg sehr ins Hintertreffen geraten war.
 
Ich lernte von Klaas für mein späteres Leben unendlich viel, und immer war etwas dabei, das ich anwenden konnte, wenn ich mich darauf besann. Leid ertragen, Ängste minimieren, für andere Menschen stets da zu sein - das waren die realen Standpunkte, die ich immer beherzigen konnte.
Eines Tages im Januar des ersten Nachkriegsjahres vergnügten wir Jungen meines Jahrgangs uns damit, auf dem kleinen Teich in unserem Dorf »Eishockey« zu spielen. Mit passenden Schlägern, die aus jungen Baum-Ästen geschnitzt wurden, konnten wir diesem heißgeliebten Spiel nachgehen. Einige meiner Mitschüler waren richtig modern: Sie hatten echte Spazierstöcke ihrer Großeltern umfunktioniert! Welch eine Erfindung.
Für mich stand so etwas natürlich ausser Frage, ich hatte ja auch keine Großeltern mehr. (Die schauten aus dem Himmelsgewölbe zu, ich bin mir sicher, sie hätten alles dafür gegeben, mir auch solch einen »Eishockeyschläger« zur Verfügung zu stellen.)
Mein eigenes, kunstvoll geschnitztes Machwerk überstand das erste mit Brachialgewalt geführte Spiel nicht - es löste sich in seine Bestandteile auf!
Nachdem ich die, mit Sand gefüllte Schuhcremedose, die als »Puck« diente, voll ins Gesicht bekommen hatte und damit zwei Zähne ihrer Stellung enthoben waren, packte mich ein unbändiger Zorn! Vor Wut heulend rannte ich die hundert Meter nach Hause, um meine Wunden zu lecken. Am Gartentor unseres kleinen Hauses stand Klaas und sah mich in einer Situation, die kein Junge gern hat.
Streng sah er mich an. »Du hattest einen Unfall?« fragte er mit einer Härte, die ich an ihm gar nicht kannte. Ich konnte nur noch nicken, meine kleine Welt war ja zusammengebrochen. »Und nun?«, fragte er. Ich zuckte mit den Schultern. »Ich hab keinen Schläger mehr!« konnte ich nur flüstern. »Lauter«, sagte Klaas, »ich verstehe nichts!«
Ich wiederholte meine Antwort. »Wie war das? Ich verstehe immer noch nichts!« Klaas brachte mich so richtig in Rage; ich schrie ihn mit meiner Antwort richtig böse an! Darauf lachte er. Dann lief er mit seinen Krücken ins Haus, kam dann mit einem Spazierstock mit schrägem Handgriff - so aus der uralten Zeit - unter dem Arm und reichte ihn mir.
Meine nebulösen Gedanken konnte ich nicht mehr kontrollieren, ich umarmte Klaas, lief dann schnurstracks wieder zurück zu unserem Eishockeyspiel. Es wurde ein grandioser Sieg für meine Klasse! Als Klaas mich am Abend fragte, wie wir denn abgeschnitten hatten, konnte ich unseren Sieg stolz melden.
Ja, sagte Klaas, es gibt immer einen Weg. Warum wollen wir immer mit dem Kopf durch die Wand? Wir haben doch Augen, um die Tür zu sehen!
Alles ist jetzt fast ein Menschenalter her. Kann man so etwas vergessen?


©by H.C.G.Lux


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Kommentare (1)

Syrdal

Leid ertragen, Ängste minimieren, für andere Menschen stets da zu sein – das waren die realen Standpunkte …“

Sie galten in unseren von permanent schmerzhaftem Mangel geprägten Aufwachsjahren als ehernes Gesetz. - Ob sich das in dieser Weise bis in die Überflussgesellschaft erhalten hat,

fragt Syrdal 


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