Mutters Leben ...

Mütterversammlung mit dem jüngsten Nachkommen.

Mütter bleiben immer die Mütter ihrer Kinder, ein Leben lang. Doch das kann sehr unterschiedlich ausfallen. Mit 17 bekam ich von einem Gynäkologen zu hören: „Sie bekommen nie Kinder!“ Es gab halt gesundheitliche Gründe, die nicht zu ändern wären. Wie sehr er sich irrte, zeigte mir mein Leben fünf Jahre später. Ich war 22, als mein Sohn auf die Welt kam. Selig genoss ich mein Mutterdasein und war überzeugt, er sei mein einziges Kind.

Wieder vier Jahre später stellte ein kleines Mädchen unser Leben immer wieder auf den Kopf. Schon die normale Geburt war nicht möglich, es musste ein Notkaiserschnitt erfolgen. War mein Sohn einer stets seinem Alter entsprechenden Entwicklungsstufe mindestens ein halbes Jahr voraus, brauchte unsere Kleine immer wieder ein halbes Jahr länger, als es für üblich gehalten wurde.

Sorgen habe ich mir dann doch nicht mehr gemacht, als sie – zweijährig – immer noch in einer Art Babysprache nur halbe Sätze von sich gab. Eines Tages verlangte sie von ihrem Bruder: „Tole ham!“. Ich verlangte, sie solle das Teil vollständig aussprechen. „Sag mal “. Ganz klar und deutlich kam die Antwort der Lütten: „Ich weiß doch, dass das Wasserpistole heißt!“. Und zu ihrem von klein auf immer korrekt sprechenden Bruder gewandt, kam wieder: „Tole ham“!!

Während sich ihr Bruder in seiner Schulzeit „nur“ mit leichter Legasthenie plagen musste, dennoch einen ziemlich guten Realschulabschluss hinlegte, sah ihr Lebensweg ins Erwachsenwerden doch beschwerlicher aus. Mit zwölf Jahren bekam sie die Diagnose starkes Wirbelgleiten, es müsse operiert werden. Allerdings sei sie noch nicht ausgewachsen und daher müsste noch zwei Jahre mit einer OP gewartet werden. Ein Jahr später gab es nur noch die Wahl, entweder doch sofort operieren oder ein Leben im Rollstuhl.

Die Versteifungs-Operation gelang. Was nicht gelang war, für Blutübertragungen unser Blut (wir, ihre Eltern, hatten beide die gleiche Blutgruppe wie sie, aber wir hatten noch nie Blut gespendet) unserem Kind zur Verfügung zu stellen. Sie bekam Fremdblut – und das brachte ihr verschiedene Unverträglichkeiten, lebenslang zu beachtende Einschränkungen ein!! Der Kell-Faktor sorgte bei der Dreizehnjährigen dafür, dass sie, sollte sie später mal schwanger werden, ihr Kind vermutlich nicht lebend auf die Welt bringen könne. Der Rhesusfaktor war nicht beachtet worden! Das war vor fast 40 Jahren noch ein ungelöstes Problem.

Sie konnte ein Jahr vor dem Abschluss nicht die Schule besuchen, weil sie nach der OP nicht sitzen durfte, bekam deshalb Hausunterricht. Die Beurteilung ihrer Leistungen waren gut bis sehr gut, doch als sie wieder die Schule besuchen durfte, war sie für ihre Mitschüler:innen und das Lehrpersonal stets ein Beobachtungs-Objekt, nicht nur im Unterricht, sondern sogar auf dem Pausenhof! Klar, dass sie sich von allen zurückzog, sich im Unterricht nicht mehr meldete. Das brachte ihr dann schlechte Zensuren ein!

Ein Jahr später zeigten sich erste Symptome eines Diabetes Typ 1. Dieser wird normalerweise nur vererbt. Doch in unserer weitläufigen Verwandtschaft gibt es keine Verwandten mit Diabetes jeglicher Art! Wie schlampig müssen seinerzeit (1984) die Blutkonserven untersucht worden sein?? Sie darf seither (seit 36 Jahren) zum Glück ohne jegliche „Spätschäden“ mit ihrem Diabetes leben. Wahrscheinlich können wir noch von Glück sagen, dass zumindest keine Blutkonserve HIV-verseucht war!

Beides führte dazu, dass sie mit einem grottenschlechten Abschlusszeugnis sowie ihren gesundheitlichen Belangen keine Ausbildungsstelle bekam. Da sie noch schulpflichtig war, machte sie ein BGJ Bau, lernte verschiedene Bauarbeiten auszuführen, aber auch Bauzeichnungen zu erstellen. Danach meldete ich sie auf einem Ausbildungsinternat an. Dort war vorab ein Vierteljahr Berufsfindung zu absolvieren. Im Vordergrund stand für uns beide immer, irgendwie müsse es doch möglich sein, dass sie ihr Zeichentalent beruflich einbringen könne.

Das Ergebnis versetzte nicht nur die Ausbilder, sondern auch mich in Erstaunen! Jeder der Lehrmeister hätte sie gern in seinem Beruf ausgebildet, und so kam es, dass sie sich selbst für den sie am meisten interessierenden Beruf entscheiden durfte. Sie wählte – mit einem grottenschlechten Hauptschulabschluss-Zeugnis – einen Beruf, den man seinerzeit nur bei der Telekom als Abiturient:in mit einem Glanz-Abi erhielt! Kommunikationselektroniker:in! Und diese Ausbildung musste sie aufgrund einer erneuten Operation auch noch für ein halbes Jahr unterbrechen. Doch sie machte ihre Abschlussprüfung inklusive Ausbildungsbefähigung dennoch ein halbes Jahr früher!

Ein Jahr als Bauzeichnerin im hiesigen Katasteramt folgte, allein schon, um Geld zu verdienen. Doch während dieses Jahres machte sie nachts ein Fernstudium zur Grafik-Designerin, dass sie mit vielen Einsern abschloss! Es ergab sich eine neue Arbeitsstelle in einer kleinen Werbefirma. Aber der Chef verkaufte ihre Arbeiten als seine und zahlte schlecht, ein Grund, dass in ihrer Vorstellung die Absicht, eine eigene Firma zu gründen, wuchs. Es ergab sich, dass eine andere Firma ihre Arbeiten so schätzte, dass man ihr einen eigenen Raum anbot, in dem sie sich als Selbstständige verwirklichen konnte. Der Sprung war geschafft!

Im Bewusstsein, dass sie aufgrund des Diabetes sehr lange mit einer Schwangerschaft gewartet hatte und dann ihren gesunden Sohn doch trotz der zu beachtenden Auswirkungen des Kell-Faktors vier Wochen vor dem errechneten Geburtstermin per Kaiserschnitt hatte holen lassen, zeigte, dass diese Gefahr immer noch Bestand hatte. Sie brauchte unmittelbar zum Kaiserschnitt einen Blutaustausch, denn ihre inzwischen eingetretene Blutvergiftung war lebensbedrohend!! Natürlich sah man dem Neugeborenen die Zeichen eines Heranreifens im mütterlichen Diabetes-Körper an. Aber es dauerte nur ein paar Tage, dass der aufgeschwemmte Babykörper erschlankte und es zeigte sich auch, dass der Junge nicht auch selbst mit Diabetes auf die Welt gekommen war!! Er ist bis heute kein Diabetiker!

In zwanzig Jahren Selbstständigkeit hat sie es doch gewagt, vor zehn Jahren ihren Sohn zu bekommen. Ihre eigenen Firmenräumlichkeiten wurden geschaffen, eigene erforderliche Maschinen sind längst bezahlt, deren einwandfreie Nutzbarkeit dank ihres technischen Verstandes und das nötige Wissen erhalten geblieben sind.

Inzwischen kommen etliche Diploma bezüglich Legasthenie, Reflexe verstehen und Kenntnisse, die Schwerpunkte, die zur Behandlung der störenden Wahrnehmungen und fehlenden frühkindlichen Reflexe gehören, in der Hälfte der eigenen Räumlichkeiten in ein „lerntalent-Studio“ umgeändert worden, damit nicht nur unser legasthener Max, sondern auch vielen anderen betroffenen Kindern geholfen werden kann.

Heute – wir sprachen über die Auswirkungen und Folgen des „Putin-Krieges“ auch bei uns – kommt die Angst hinzu, was geschehen könnte, wenn sie kein Insulin mehr, lebenswichtig für ihren Körper, bekäme? Es würde ihren schnellen, viel zu frühen Tod bedeuten! Für mich als ihre Mutter schon heftig, aber für ihren zehnjährigen Max??!! Und wie sollte es dann für die Kinder weitergehen, die bislang als „lernunfähig“, was sie offensichtlich nicht sind, abgeschoben werden?

Sie hat noch so viel vor, etwas im Leben von betroffenen Kindern zu verändern. Und da kommt so ein Putin mit dem Ukraine-Krieg und Weltkriegsgefahr daher, um ein längst vergessenes sowjetisches Reich zu erneuern …

Mütterliche Sorgen hören eben nie auf, weder die eigenen noch die der inzwischen ebenfalls mütterlich agierenden Tochter.
 


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Kommentare (2)

Mary-Lou99

Oh je, das ist eine üble, aber dennoch schöne Geschichte. Ja, dieser Putin... er ist doch nicht zu begreifen!!!! 

Ich hoffe mit dir und Vielen, daß es irgendwie glimpflich ausgehen mag Die Menschen in der Ukraine haben mein sorgenvolles Mitgefühl. Und du mit deiner Familie auch!

nnamttor44

@Mary-Lou99  
Weißt Du, Mary-Lou, die unschönen privaten Geschichten sind vorbei. Manchmal bin ich selber erstaunt, was da so alles in meinem Leben zu bewältigen war. 

Sorgen macht mir derzeit nur die Situation, die dieser Despot Putin verursacht. All die Menschen, die Heimat, Zuhause, Leben oder ihre Lieben verloren haben, in einer Zeit, die eigentlich kriegsfrei in Europa sein müsste, könnte.

Wenn ich mir vorstelle, dass dieser russische "Möchte-gern-Kaiser" bereits seine kriegerischen Fähigkeiten in Syrien ausprobiert hat, diesem Land schon so viel Leid gebracht hat, wie er es jetzt der Ukraine zumutet, wünsche ich mir, es gäbe einen Menschen in seiner Umgebung, der ihm Kraft und Leben nimmt, weiterhin Solches - einfach so - Völkern zuzumuten!! Ich weiß, das ist ein Mordgedanke! Aber etwas anderes ist doch gar nicht mehr möglich ...

sinniert Uschi


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