Als ich 1972 geheiratet habe, war es in Frankreich allgemein noch an der Tagesordnung, dass die Schwiegereltern, die angeheirateten Tanten und Onkel, der Schwager und die Schwägerin grundsätzlich gesiezt wurden.

Mein Mann und meine Schwiegermutter haben der gesamten großen Familie erklärt, dass es in Deutschland nicht üblich sei, man solle mich bitte duzen und ich würde es ebenfalls so machen. Außer bei einer Schwester meiner Schwiegermutter und ihrem Mann klappte es wunderbar.

Mein Mann hatte eine Cousine, wesentlich älter als er, die ich besonders gern mochte. Ginette und ihr Bruder Bernard stammten aus einem sehr kleinen Dorf in der Normandie, in dem ihr Vater, der Bruder meiner Schwiegermutter, einen Bauernhof betrieb.

Irgendwann wurde aus Bernard und Monique, die ebenfalls aus diesem Dorf stammte, ein Paar, auch Ginette fand ihren Claude in Écrainville. Man kannte sich seit der Kindheit und duzte sich natürlich.
Das änderte sich aber schlagartig mit der Verlobung der Paare. Ginette und Monique siezten sich nun.

Die beiden Paare standen sich sehr nahe, grundsätzlich verbrachten sie ihren Urlaub gemeinsam, am Anfang mit den 5 Kindern, später allein zu viert.

Irgendwann, es war am Anfang der 80er Jahre, stellten wir fest, dass unsere Urlaubsziele nicht weit von einander entfernt lagen. Wir freuten uns sehr, etwas Zeit zusammen verbringen zu können.

Ich traute meinen Ohren nicht. Ginette und Monique duzten sich ja plötzlich. Nach so vielen Jahren wieder.

Bei unserem nächsten Besuch bei der Familie in der Normandie aber musste ich feststellen, dass die beiden Schwägerinnen wieder zum „Sie“ übergegangen waren.

Als ich mit Ginette allein war, sprach ich sie darauf an. Sie lachte und meinte, dass sie und Monique sich immer während des Urlaubes duzen würden, aber eben nur im Urlaub, zu Hause siezte man sich wieder.

Ich war leicht verwirrt, stimmte dann aber in ihr Lachen ein.

Aber ob man sich nun siezt oder duzt, eigentlich spielt es ja auch keine Rolle. Diese beiden Frauen waren nicht nur Schwägerinnen, sie waren beste Freundinnen, sie konnten sich alles sagen, halfen sich gegenseitig, waren immer für die andere da.

Als mir mein Mann, damals noch mein Verlobter, mir bei unserem ersten gemeinsamen Urlaub bei der Familie erzählte, dass sich die Nachbarn meiner Schwiegereltern gegenseitig mit „Sie“ ansprachen, ein Ehepaar, damals so um die 50, empfand ich als sehr befremdlich. Ich konnte es nicht glauben, und doch, ich durfte mich selbst davon überzeugen.

Andere Länder, andere Sitten.

 


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Kommentare (4)

ladybird

Liebe Anita,
auch ich mußte schmunzeln...von Freunden (Franzosen9 bekam ich das bereits erklärt....
in England gilt ja nur das "YOU"....(DU) trotzdem kann man sehr gut erkennen, wer sich dahinter duzt und wer sich fremder ist....
mir persönlich gefällt die Anrede mit dem Vornahmen und ja nach dem halt "siezen"....
mit Gruß ladybird

IndianSummer1952

@ladybird  

Liebe Ladybird,

ich freue mich, dass die Geschichte Dir gefällt.

In Amerika und England redet man sich sehr oft mit Vornamen an, auch wenn man in keinem engen Verhältnis  zueinander steht. Es ist in Firmen an der Tagesordnung, ob Chef oder Untergebener, bei den Nachbarn...

Mir war das zu dem Zeitpunkt vollkommen fremd. Ich bin ein Kind aus dem Pott, man duzt sich rasch, wenn die Chemie stimmt. Aber ich habe es akzeptiert, man gewöhnt sich daran.

Wie gesagt: andere Länder, andere Sitten. 😀

Einen schönen Abend wünscht Dir
Anita

 

Muscari

Liebe Anita,

In der Tat "Andere Länder andere Sitten".
Aber ich denke, dass das heute nicht mehr der Fall ist.
Jedenfalls hast Du das lustig beschrieben, sodass ich mit einem Kopfschütteln schmunzeln muss.

Du weißt bestimmt, weshalb ich Dich jetzt an dieser Stelle um Verzeihung bitte,
weil .... 😉
Übrigens, ich schmunzele immer wieder gerne ... 💓
Mit liebem Gruß
Andrea
 

IndianSummer1952

@Muscari  

Liebe Andrea,

Dein Schmunzeln freut mich. ♥♥♥♥♥

Es gibt noch heute jede Menge junge Leute, die ihre Schwiegereltern siezen. Ich denke, es dauert noch 20, 30 Jahre bis diese Sitte verschwunden ist. So schnell geht das nicht bei den Franzosen. 

Aber egal, ob "Du" oder "Sie", es kommt auf die Gefühle, das Verhalten der anderen Person gegenüber an. 

Ich wünsche Dir einen schönen Tag, liebe Grüße,
Anita


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