Plötzlich gestorben ...

Autor: ehemaliges Mitglied

Plötzlich gestorben ...

Das Leben ist voller Gegensätze ... Licht und Schatten ... Leben und Tod ...

Das Bezirksklinikum Ansbach, 1902 als "Kreisirrenanstalt" gegründet, ist heute ein modernes Klinikum - eine großzügigen Anlage mit viel Grün, und neben modernen auch vielen schön renovierten Gebäuden aus der Anfangszeit.
Aber die schönen alten Gebäude erinnern auch an schlimme Zeiten, an Opfer die neben den anderen großen Verbrechen des Nationalsozialismus lange vergessen waren ...

"Ansbach war wie alle Heil- und Pflegeanstalten in das „Euthanasie“-Programm des NS involviert. Zwischen 1934 und 1943 wurden 379 PatientInnen zwangssterilisiert. Die Einbeziehung in die „Aktion T4“ erfolgte im Sommer 1940. Zwischen Oktober 1940 und April 1941 wurden von hier 892 PatientInnen in sieben Transporten in Tötungsanstalten verlegt. Ansbach diente  u.a. als Zwischenanstalt: Viele dieser PatientInnen waren aus anderen Einrichtungen nach Ansbach verlegt worden und wurden nach vier bis sechs  Wochen in die Tötungsanstalten abtransportiert. Schon 1941 führten die Verantwortlichen in Ansbach zweierlei Lebensmittelrationen ein. Dies nimmt den Hungerkosterlass vom August 1942 vorweg. Die Sterblichkeit stieg danach sprunghaft an.  Insgesamt starben bis 1945 über 1200 PatientInnen an den Folgen dieser Maßnahmen. Nach mehreren Gesprächen mit den reichsweit Verantwortlichen entschloss sich der Ansbacher Direktor Dr. Schuch 1942 an der „Kindereuthanasie“  mitzuwirken. Insgesamt starben 129 Kinder."
(Quelle: http://feld22.de/pdf/ns/AusstTafel%208.pdf )

Die Angehörigen erhielten meist Mitteilungen über angebliche Erkrankungen und dann über den Tod des Patienten, mit falschen Angaben zur Todesursache oder nur der Mitteilung die Patienten seinen "plötzlich gestorben" ... Aber obwohl die wahren Vorgänge nicht unbemerkt blieben, konnten nur wenige Patienten von Angehörigen und Klinikpersonal gerettet werden.

Besonders schlimm empfinde ich bis heute, dass in meiner Kindheit und auch später die Leute in unserer kleinen Stadt über diese Dinge, die vor ihrer Haustür passiert sind, nie wirklich gesprochen haben ... allenfalls getuschelt, untereinander ... "alles nicht wahr", konnte ich oft verstehen, oder "übertrieben" ... Und von "Siegerjustiz" war oft die Rede ... obwohl viele der Verantwortlichen nicht wirklich zur Rechenschaft gezogen worden waren, und teilweise bald wieder "in Amt und Würden" ...


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Kommentare (10)

ahle-koelsche-jung

Wenn auch ein sehr trauriger Bericht, interessant ist er Allemal. 
Leider kamen derartige unmenschliche Sachen viel zu oft vor. 

VG Wolfgang

ehemaliges Mitglied

es ist so absolut unfassbar, was alles passierte
über ganz DE, Österreich und Polen war ein Netz von Tötungsorten gelegt worden

man verging sich an Kindern, Behinderten und psychisch kranken Menschen,
kranke Kinder wurden eingewiesen,
Kinder  aus Heimen wurden in diese Tötungsanstalten verlegt, dazu reichten Nichtigkeiten, wie länger andauerndes Weinen, man sorgte schon dafür, dass die ausgewählten Kinder Grund zum Weinen hatten
teilweise wurden Kinder direkt über die Jugendämter an diese Kliniken überwiesen, man konnte sich dagegen kaum erfolgreich wehren, ebenso traf es Kinder lediger Mütter, weil man der Ansicht war, dass eine Frau ohne Mann, an sich schon höchst verdächtig war - solche Kinder können nur gestört sein, auf Grund schlechten Erbgutes
(Kriegswitwen traf das natürlich nicht)

unvorstellbares Leid haben diese Kinder erleben müssen, weil an einigen Tötungskliniken auch noch schreckliche medizinische Versuche mit ihnen gemacht wurden

man weiß das deshalb so genau, weil diese Versuche akribisch genau dokumentiert wurden

die Leute hatten zu dieser Zeit blanke Angst - sie wussten, dass ein falsches Wort bedeuten kann, sich selber, oder seine Kinder in diesen Kliniken wiederzufinden

manche Eltern wussten nicht, was auf ihre Kinder zukam, viele aber ahnten es sehr wohl, einige wussten es genau
viele haben ihre Kinder auch früh genug versteckt, irgendwo aufs Land gebracht oder so

lebensunwertes Leben - unfassbar

wenn so eine Maschinerie einmal im Gange ist kannst du im offenen Widerstand vermutlich kaum mehr etwas erreichen
manchen gelang es trotzdem heimlich ein paar Menschen zu retten - sie riskierten dabei ihr eigenes Leben und das ihrer Familie
mein Dank geht auch heute noch an diese Menschen, die still taten, was sie konnten und Menschen mit Behinderung, besonders Kinder vor diesem Ende bewahrten

traurigen Gruß
WurzelFluegel




 

ehemaliges Mitglied

@WurzelFluegel  

"man weiß das deshalb so genau, weil diese Versuche akribisch genau dokumentiert wurden"

Ja, das ist ein noch zusätzlich erschütterndes Detail ... diese nüchterne kleinkrämerische Buchführung über all die Verbrechen ...
Wir haben am Gymnasium über das "Dritte Reich" und grad auch diese Dinge doch etwas detaillierter gesprochen ... haben auch teilweise Originaldokumente durchgearbeitet, sog. "Dokumentensammlungen", auch Protokolle von den späteren Vernehmungen ... die Aussagen der Täter, die zum großen Teil ohne schlechtes Gewissen schlimmste Dinge erzählten, aber weitgehend nur verharmlosten, beschönigten, die Schuld auf andere schoben ...
Unfassbar, damals wie heute ...

Rosi65

Lieber Horst,

bei einer Führung (Mahn- und Gedenkstätte Steinwache Dortmund) lagen, neben anderen Ungeheuerlichkeiten, auch einige der Originalbriefe von damaligen Kliniken aus. In denen wurden die Eltern kurz über den plötzlichen Tod ihres Kindes informiert. Angeblich starben die Kinder, die eine Behinderung hatten, alle an einer plötzlich aufgetretenen und akuten Blinddarmentzündung.
In Wahrheit wurden an ihnen medizinische Experimente durchgeführt, die sie nicht überlebten.
Die armen Eltern, die ihre Kinder einer Kurzzeitverschickung anvertraut hatten, waren vollkommen ahnungslos. Unsere Gruppe war nach dieser Führung total erschüttert.

Ja, solche Kliniken, in denen Monster in weißen Kitteln tätig waren, gab es tatsächlich.
Ob in der Steinwache auch etwas über Ansbach dokumentiert wurde, weiß ich jetzt leider nicht mehr.

Viele Grüße
  Rosi65

ehemaliges Mitglied

@Rosi65  

Das gab es wohl nahezu überall ...

Ich wohne ja schon lange nicht mehr in Ansbach. Die nächste größere Stadt hier ist Erlangen ... aber auch da genau das gleiche, niemand will was gewusst haben, nicht mal die damaligen Ärzte und das Pflegepersonal teilweise ...
Und der letzte Rest der alten "Hupfla", der sog. Kopfbau der ursprünglich riesigen Anlage, soll nun doch keine wirkliche Gedenkstätte werden wie von einem Teil der Bevölkerung gewünscht, sondern wird gerade bis auf einen minimalen verbleibenden Rest abgerissen.

Manfred36

Ich habe Ähnliches miterlebt, auch meine Frau. Ihr Vater hatte Multiple Sklerose und sollte zur Reha in die Heilanstalt Klingenmünster, wovon unter aller Verschwiegenheit ein Parteifunktionär dringend abriet. Sie brachen ihn in die Schweiz, und er hat den Krieg überlebt.

ehemaliges Mitglied

@Manfred36

Ja, ähnliches gab es wohl vereinzelt auch hier.  Manche Verwandte konnten ihre Kranken in Sicherheit bringen, manche Patienten die rechtzeitig vor den Transporten fliehen konnten wurden von der Bevölkerung versteckt. Es sind aber nur sehr wenige Fälle bekannt.

margit

Lieber Blues-Opa,

ich danke Dir für den Bericht. Die "Hupfla" in Ansbach habe ich als Kindergarten-Kind anfangs der 50-er Jahre bei den Besuchen meiner Großmutter kennengelernt - wir gingen dort im Park spazieren, um die "Spinnerten" anzuschauen, die dort lebten und in großen Käfigen an die frische Luft durften. In Erinnerung blieb mir das Bild einer alten Frau mit langen Zöpfen, die sich an das Gitter geklammert hatte und und uns tieftraurig ansah.

Eine Ironie des Schicksal wollte es, dass meine Oma nach einem Unfall aufgrund ihres Alters dort eingeliefert wurde und zwei Tage später an den Unfallfolgen verstarb.

Von der entsetzlichen Geschichte dieser Anstalt habe ich erst viele Jahre später auf Nachfragen von Dritten erfahren, mit der grässlichen "Rechtfertigung": "Was hätte man denn sonst machen sollen, der Platz wurde doch für die verletzten Soldaten gebraucht."

Margit

ehemaliges Mitglied

@margit  

"Was hätte man denn sonst machen sollen, der Platz wurde doch für die verletzten Soldaten gebraucht."

DIESE "Rechtfertigung" habe ich tatsächlich noch nie gehört ... und ich habe da schon viel eigentlich Unsägliches gehört ...
Ansbach ist ja die Stadt meinen Kindheit, und ich habe da doch viel mitbekommen, auch wenn immer nur getuschelt wurde und Kinder außer Hörweite geschickt, wenn man sie bemerkte. Aber auch später habe ich da nur sehr wenig Einsicht, Bedauern wenigstens, feststellen können ...

Ich kann nicht verstehen, wie Menschen so ohne jedes menschliche Gefühl, Mitgefühl sein konnten ...
Ok ... nicht alle. Aber doch wohl sehr viele, zu viele ...

Den Park, dieses schöne alte Gelände, kenne ich übrigens gut - auch meine Oma ist mit mir als Kind dort spazieren gegangen, mit ähnlichen Erlebnissen ... Die Kranken haben uns sehr leid getan, aber so waren die Zeiten, da hat sich zum Glück viel geändert ...

Horst

aixois

@Blues-Opa  
Danke für diese Erinnerungs-Initiative. Sie sagt uns Älteren leider mehr, als den heute Jungen, die zum größten Teil (nicht alle !), betroffen sind, aber sich nicht 'hineinversetzen' in die Zeit damals und in die schambehafteten Versuche, sich jeglicher  'Verantwortung' zu entziehen.

Ob und wieweit, Franken, das protestantische Franken, besonders national-konservativ tickt (bei Wahlen damals lagen die Stimmabgaben für "rechts" immer signifikativ über dem deutschen Durchschnittswert) oder zumindest 'anfällig' ist, sei dahin gestellt. 

Selbst unter christlich-protestantischen Verantwortung stehende Heimleitungen nahmen an den Euthanasiemassnahmen teil.
Aus der Diakonissenanstalt in Neuendettelsau etwas mehr als 10 km von Ansbach  wurden  in mehreren Deportationen 1940/41 mehr als 1.200 Insassen  in staatliche Heil- und Pflegeanstalten (bes. in die Hupfla Ansbach) verlegt worden. Man nimmt an , dass mindestens zwei Drittel umgekommen sind.

Noch heute weiss man nicht genau, wieviele Heimbewohner z.B. aufgrund des bayerischen Hungerkost-Erlasses von 1942 umgekommen sind (fleisch-/fettfreie Kost); das zählte nicht als Euthanasiemassnahme.
In der Hupfla Erlangen sollen 1000-1500 Menschen Opfer der B-Kost geworden sein.

In einem Lehrbuch meines Vaters fand ich mal statistische Abbildungen, wo debil dargestellte Menschen gezeigt  wurden, mit dem Text, wieviele kämpfende Soldaten verpflegt werden könnten mit den Nahrungsmitteln, die diese 'unnützen' Esser benötigen.
Ob die Hupflas als Lazarette verwendet wurden weiss ich nicht, dass Strüth als Lazarett aus allen 'Nähten platzte' schon.
Vielleicht liessen sich ein paar schlagende Gewissen damit, mit der 'Höherwertigkeit' des Lebens eines Soldatenkämpfers, beruhigen ?

Es gibt für mich keine wirklich überzeugende Antworet auf die Frage des 'Warums'. Warum habt ihr es geduldet, warum habt ihr bewusst weggeschaut, warum seid ihr 'feige' der Verantwortung nach der Befreiung ausgewichen ?

Es liegt sicher an dem folgsamen Respekt des Autoritären, der nicht nur, aber auch, in Franken auch heute noch ausgeprägt ist. Der Gehorsam eines Kindes ist grundsätzlich positiv besetzt, nicht so die Widerspenstigkeit eines 'ungezogenen'  Banggerds.

Warum schiessen junge Männer in Myanmar auf ihre Altersgenossen ?
Warum feiern wir so wenig unsere deutschen Revlutionäre ? Werden unseren Enkeln  die Matrosen , die 1918 in Kiel/Wilhelmshaven, sich nicht hinschlachten lassen wollten, als Vorbilder dargestellt, wieviele Kasernen tragen Namen der aufständischen Helden ?
Wer kennt die Jüdin Rosa Luxemburg als engagierte Humanistin, nicht nur als Kommunistin ?

Warum Kinder  in unserer Zeit einen 'schwächeren' Mitschüler mobben können, indem sie sagen "hau ab du Spasti ! Was bist du für eine Missgeburt !", kriege ich nicht in meinen Kopf.
Es liegt sicher nicht daran, dass sie nie etwas von Euthanasie mitgekriegt haben ...

schöne Grüsse in die fränkische Pampa !

Aixois


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