Poetologisch unterwegs




Sich einen Leser aussuchen...



Na, lieber eine Leserin,
an der Stimme zum Beispiel
oder ihren Metaphern:

Zuerst würde ich sie schön heiser sein lassen,
und dass sie sorgfältig umgeht mit meiner Poesie
im einsamen Moment des Nachmittages,
wo ihr Haar am Nackensatz noch
dämpft vom Waschen her.
(Mittagspause...)

Wie sie aussieht?

Sie sollte einen Regenmantel,
einen abgewetzten tragen,
schmutzig, weil sie kein Geld hat
für ein adäquates Reinigungsmittel.

Nu - sie setzt ihre Edeka-Sonnenbrille auf,
als sie nach Büroschluss über den Markt geht.

An dem Kirchlein vorbei,
das fünf Glocken für ihr Gestühl
renoviert haben will
und um Geld sammelt,
an ihren klingenden Tapetentischen
sich erkundigend.

Aber jetzt:

Dort in der Buchhandlung,
wo sie Ruhe sucht,
da greift sie zu meinen Gedichten,
setzt sie zurück in die Buchstütze
auf dem Regalbrett.

Und sagt zur Verkäuferin:
"Für so viel Geld,
kann ich meinen Regenmantel
chemisch reinigen lassen."

Ja, ich will,
dass sie sich Zeit nimmt für
ihre Schönheit

und dieses Gedicht.

Eine Leserin erkennen,
heißt

... boletos mittere difficile est


*

Ich komme gerne einer Anregung in diesem Blog nach:

Anmerkung zu dem lateinischen Satz und dem Begriff „boletus“= Steinpilz:

Martial schrieb: "Argentum atque aurum facile est lenamque togamque mittere, boletos mittere difficile est."

Das ist nicht nur Stückchen kulinarischer Feinlehre:

Es ist etwa so zu übersetzen: „Silber und Gold, Mantel und Toga kann man leicht verschenken, schwer ist es aber, aber Pilze zu schicken, d. h. auf sie zu verzichten, das fällt schwer.“
.

So urteilte Martial, römischer Dichter und Klassiker des lateinischen Epigramms, im 1. Jh. nach Chr. über Pilze.

In seinem Werk "Historia mundi naturalis" ging Plinius auf den Speisewert einiger Arten ein und hob den Steinpilz, die Trüffel und den Kaiserling als besondere Leckerbissen hervor. Auch beschrieb er ihre Zubereitung. Sie muß ein wahres Ritual gewesen sein.
Jedenfalls überließen die röm. Patrizier diese Arbeit nicht ihren Bediensteten, sondern nahmen die Zubereitung der "Götterspeise" - wie Pilzgerichte damals genannt wurden - mit teurem Bernsteinbesteck und auf kostbarem Silbergeschirr selbst vor. Die speziellen Silbergefäße, die dazu dienten, nannten sie "boletaria".

Marial meinte den uns bekannten Steinpilz, den Herrenpilz, (lat.): Boletus edulis; also den Herrenpilz, Dobernigel, Braunkopp, Doberling, Steinkopf, Pülstling...

"Boletos" sind Pilze (im Akk. Pl.); aber keine Rauschgiftpilzchen, die in Holland z.B. als "Paddos" so beliebt sind, dass man bei einer "Jugend auf Suche & Sucht" noch hundert Jahre Meldungen fabrizieren kann über Glück und Unglück bei unkonventionellen Vergiftungen als Vorstufen zum Suizid. - Dort (bei den Dutchies) wurden "Paddos" jetzt als "harte Drogen" eingestuft.

Hier ist viel ästhetisch und geschmacklich Schönes über Pilze nachzulesen:


Pilziges


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Kommentare (2)

nachtigall wäre nicht schmutzig, weil ich gar keinen hätte. Würde mein Geld lieber für deine Gedichte ausgeben. Du schreibst sehr gut - ich lese gerne von dir - Dankeschön!
Gruss Larissa
immergruen eine solche Lyrikliebhaberin wünschte ich mir auch, aber leider gehen die meisten an dem Regal mit Gedichten vorbei. In manchen Fällen kann ich es sogar verstehen. Aber in Zeiten wie diesen ist es wirklich manchmal wichtiger Geld für die Dinge des Alltags zu verwenden als für geistige Nahrung, denn viele haben nicht genügend Geld zur Verfügung.
( Latein ist eine alte Sprache und nicht jeder hat das große Latinum. Das nur als Amerkung.)

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