Psychischer Druck fürs Herzchen ...



Es war kurz vor meinem elften Geburtstag. Ich lebte nun im Internat, weil ich ersatzweise einen Gymnasiumsplatz meiner vier Jahre älteren Schwester einnehmen sollte, die wegen Leistungsschwäche diese Schule wieder verlassen musste.

Wir Beide gemeinsam wieder in unserer familiären Umgebung – das könnte recht schwierig werden. Unser Vater und unsere Oma schafften es nicht, der Älteren von uns die Gemeinheiten gegen mich auszutreiben. Es wäre die beste Lösung gewesen, unsere Mutter würde noch leben. Sie allein hätte der Großen den Unsinn mit der Krankheitsentstehung ihres Krebses erklären können. Aber es gab sie ja nicht mehr.

Also war ich nach der Grundschule nun an der Reihe, das Gymnasium im Internat zu besuchen. So ergaben sich nur alle vier Wochenenden die Aufeinandertreffen …

Ich konnte mich recht gut in den Internats-Schulablauf einfügen, bis – ja bis der damalige Papst Pius XII starb. Was gab es da für Aufregungen in dem von katholischen Nonnen geführten Internat! Jeden Morgen noch vor dem Frühstück hatten sich nun alle Schülerinnen und Nonnen in der Internatskapelle zu einem Gedenk- und Gebetsstündchen einzufinden, bis endlich wieder ein neuer Papst gewählt war. Das Problem für mich ergab sich daraus, dass die Nonnen offensichtlich voraussetzten, dass alle Schülerinnen wüssten, wie das Prozedere einer Papstwahl nach dem Tod eines Oberhirten der katholischen Kirche ablief.

Ich hatte ein paar Jahre zuvor meine Mutter durch eine Krebskrankheit verloren. Mein Vater hatte sich nach fünf Jahren dazu entschlossen, erneut zu heiraten. Zu Pfingsten war die Verlobung der Beiden, aber nur vier Wochen später gestand er mir bei einem Besuch im Internat, dass meine zukünftige Stiefmutter leider ebenfalls an Krebs erkrankt sei und nun operiert werden musste. Mich traumatisierte dieses Geständnis, denn ich mochte die zukünftige Braut meines Vaters schon und wünschte sie mir sehr als neue Mutter. Im Geiste sah ich sie nun schon genauso sterben wie meine leibliche Mutter.

Und dann starb der Papst – für mich ein drohender Weltuntergang. Der wurde mir im Geiste fast noch bestätigt, als auch weitere vier Wochen später die Mutter Oberin des Kloster ebenfalls verstarb – wieder mit dem gleichen wochenlangen morgendlichen Gebetsgetue wie schon beim Papst. In meinem Kopf drängten sich die Gedanken, Mutter tot, Stiefmutter wird sterben, Kirchenoberhaupt war für mich nicht ersetzbar und starb = Weltuntergang, Mutter Oberin's Tod bestätigte mir das … Für mich war alle Sicherheit der Welt schwer schwankend!!

Das Sportfest kam, denn die Sommerferien standen vor der Tür. Ich war eigentlich eine recht sportliche Schülerin, die die Forderungen beim Wettlauf oder Weitsprung recht erfolgreich leistete. Aber nach diesen psychischen Belastungen, denen ich mich zuvor und immer noch ausgesetzt sah, immer noch in Angst um das Leben meiner zukünftigen Stiefmutter und einem möglichen „Weltuntergang“, gestattete mir mein Herzchen (mit einem klitzekleinen Löchlein in der Herzscheidewand) keine körperliche (Über-)Anstrengung mehr. Mitten im 100-Meter-Lauf klappte ich ohnmächtig zusammen, fiel auf die Aschenbahn. Große Aufregung, Mein Vater wurde gerufen und ich von unserem Hausarzt untersucht.

Inmitten der 1950er Jahre hatte ein Hausarzt noch nicht die heutigen Untersuchungsmöglichkeiten. Dann hätte er festgestellt, dass es wohl nur ein weniger wichtiger Aussetzer gewesen war. Dass der psychische Ursachen hätte haben können, darauf kam niemand. Es hieß damals nur einfach: die fast Zwölfjährige hat einen Herzfehler, sie darf sich nicht mehr körperlich belasten! Wie sehr man irrte und noch gar nicht die Psyche, die ja zum ganzen Menschen gehört, beachtete. Heute würde man mit Sicherheit ein sportliches Programm einsetzen, mit dem ich meinen Körper trainieren würde, um solche Ausfälle langsam aber sicher aus meinem Leistungsprogramm zu nehmen. Vor allem aber war es noch überhaupt nicht üblich, mit Kindern über die Anlässe, Ursachen, warum gerade etwas geschehen konnte, was unerklärlich schien, zu reden.

So aber wurde ich vom Gymnasium genommen, auf einer Realschule in meiner Heimatstadt angemeldet und es gab für mich keine Anmeldung mehr in meinem Gymnastiksportverein. Auch für den Schulsport gab es eine Entschuldigung, da ich mich keiner körperlichen Anstrengung mehr unterziehen sollte. Dafür, dass ich nun wieder zuhause auf meine große Schwester traf, wurde diese schon mit im Salon unseres Vaters eingespannt, so dass wir nicht mehr zu oft aufeinander trafen. Wir Schwestern hatten nun nicht mehr ein gemeinsames Zimmer, sondern schliefen getrennt und durch die Unterbringung einer Kusine, die unserer Großmutter im Haushalt half, in einem Mädchenzimmer mt mir und der Großen sowie der Unterbringung für unsere jüngste Schwester nächtens bei der Oma, gab es tatsächlich ein wenig mehr Ruhe in der häuslichen Beziehung.

Ich erlebte durch alle Maßnahmen hindurch, dass meine Stiefmutter wieder gesundete. Später stellte sich heraus, dass sie gar keinen Krebs hatte. Der Doc hatte stumpf ihre Untersuchungsergebnisse mit denen einer anderen Patientin verwechselt!! Auch gab es – natürlich – keinen Weltuntergang, ein neuer Papst wurde Kirchenoberhaupt und auch die Nonnen wählten eine neue Mutter Oberin. Das Internat existiert noch heute, zwar als katholisches Gymnasium, aber inzwischen nicht mehr nur Neusprachliches Mädchengymnasium, sondern auch für Jungs und seit Jahren mit weltlicher Führung.

Was meine Herzgeschichte angeht, hab ich als Schülerin oft meine Entschuldigung ignoriert und trotzdem fleißig den Sport mitgemacht, der mir Freude machte. Und nachmittags nutzte ich, da ich ja nicht mehr in meine Gymnastikgruppe durfte, mein Fahrrad und machte lange Touren, für die ich väterlicherseits öfter Strafpredigten erhielt …

Nach den überaus schwer ausgefallenen Geburten meiner Kinder hab ich mir danach später gesagt, dass mein Herzfehler wohl nicht so gravierend sein könnte, da ich diese schweren Geburten ja ohne nachfolgende Herzkomplikationen überstanden hatte. Ich habe keine Rücksicht mehr auf meine Leistungsfähigkeit genommen. Erst viele Jahre später musste ich feststellen, was mein dummes Herzchen zu Stolpereien veranlasst: psychische Belastungen! Hatte ich mich nach einem Hausputz richtig ermattet gefühlt, kam dann noch ein kleines Ärgernis im Verlauf des Abends hinzu, statt ungestörtes Ausruhen, beantwortete mein Herz das mit Stolperei und kratzendem Herzschlag-Gefühl sowie spürbaren Aussetzern. Nachdem ich aber feststellen konnte, dass sich das auch wieder gab, hatte ich das nur noch gelegentlich registriert. Meinen HA regte das schon eher auf.

Zum ersten Mal ernst genommen hab ich das vor fünf Jahren. Ich lebe seit 10 Jahren in dem Ort, wo sich meine Tochter ihr Leben aufgebaut hat. Hier konnte ich mich nach vielen Jahren unter Stress wieder wohlfühlen, erlebte die Schwangerschaft meiner Tochter mit ihrem einzigen Kind und durfte dessen Heranwachsen jeden Tag genießen!

Nach fast vier Jahren ließ sich sein Opa endlich dazu herab, seinen einzigen Enkel doch mal kennenzulernen. Er kam sogar 2016/17 einige Male mit dem Zug angereist, um den Kleinen zu besuchen. Und jedes Mal, wenn er mit dem Zug kam, musste er an meiner Wohnung vorbei. Ich hatte nie mit so etwas gerechnet und nun eine Heidenangst davor, auf meinen Ex zu treffen, weil ich seine Rachsucht für meine Flucht vor ihm fürchtete. Und prompt wurde ich morgens mit Herzrasen wach, das andauerte, bis ich sicher war, er saß wieder im Zug nach Hause … Mein neuer Hausarzt fürchtete für mich um einen Infarkt oder Schlimmeres und verlangte, bei der nächsten Tachykardie sofort ins Krankenhaus zu fahren! Hab ich bislang aber nicht getan. Es ist auch vorbei. Ich bin nun Witwe. Und jetzt bei den Nebenwirkungen der Chemo wegen Krebs darf ich immer wieder hören: meine Werte auch meines Herzens sind optimal!!!


 

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Kommentare (2)

JuergenS

Ich halte dir die Daumen.👴

nnamttor44

@JuergenS
Danke, Jürgen.


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