Der Höhepunkt unseres Urlaubs sollte eine Dampferfahrt auf dem Bodden sein. Immer, wenn wir an der Anlegestelle vorbeigekommen waren, lag uns unser Sohn in den Ohren, dass er unbedingt mit dem Schiff fahren wollte. Also versprachen wir es ihm, vertrösteten ihn aber von Tag zu Tag. Der Grund war unser begrenzter Etat. Wir wollten erst einmal sehen, wie wir mit dem Geld auskamen. Als wir am Ende des Urlaubs tatsächlich noch Geld übrig hatten, machten wir unser Versprechen wahr und kauften Fahrkarten für den Dampfer. Dann gingen wir an Bord und fanden auf dem fast leeren Schiff schöne Fensterplätze.
Nachdem alle Passagiere an Bord waren, wurde der Motor angeworfen und tuckerte monoton vor sich hin. Das Schiff legte ab und fuhr an der Küste entlang. Von dieser Seite war der schmale Streifen zwischen Ostsee und Jezioro Jamno durchweg grün bewachsen, sodass man eigentlich nicht viel sehen konnte außer Wasser und Buschwerk. Es dauerte keine fünf Minuten und unser Sohn war eingeschlafen. Nach weiteren fünf Minuten schlief auch meine Frau und ich fragte mich, wofür wir eigentlich das teure Fahrgeld bezahlt hatten. Es waren langweilige 90 Minuten und auch ich kämpfte die ganze Zeit gegen den Schlaf.
Um mich zu verständigen, musste ich sehr schnell viele polnische Vokabeln lernen. Meine Versuche, mit Englisch über die Runden zu kommen, scheiterten fast immer, denn die Polen lernten überwiegend Französisch als Fremdsprache und das konnte ich nicht. Nach zwei Wochen Urlaub hatte ich schon so viel von der polnischen Sprache mitbekommen, dass ich bei der Heimreise verstand, wann unser Zug von welchem Gleis abfahren würde.
Alles klappte gut und so planten wir, unsere Rückreise in Szczecin zu unterbrechen und eine Hafenbesichtigung zu machen.
Am Stettiner Hauptbahnhof wollten wir unser Gepäck aufgeben, um unbelastet den Hafen zu besuchen. Ich hätte einfach auf Deutsch fragen können: „Wo kann man das Gepäck aufgeben?“ Das schien mir aber zu primitiv. Deshalb benutzte ich mein jüngst erworbenes Wissen gepaart mit meinem dort gekauften Sprachführer und fragte einen polnischen Bahnmitarbeiter: „Gdzie można nadaje swoj bagaz?“ Dieser antwortete mir wie aus der Pistole geschossen auf Deutsch: „Da gehen Sie bis an das Ende der Halle und dann sehen Sie rechts schon die Gepäckaufbewahrung“.
Wir gaben also unser Gepäck auf und stürzten uns in das Gewühl im Hafen. Da Szczecin eine Grenzstadt ist, gab es viele DDR-Bürger, die mal eben einen kleinen Ausflug nach Polen machten. Wir konnten miterleben, wie einige von ihnen auftraten. Im Gegensatz zu uns schien es niemand für nötig zu halten wenigstens „bitte“ und „danke“ auf Polnisch zu sagen. Warum auch? Die Polen in dieser Gegend sprachen offenbar alle deutsch. Wir mussten schmunzeln, als ein Gernegroß aus Sachsen ein paar Äpfel kaufte und dabei 70 statt 17 Złoty bezahlte, da er den polnischen Händler wohl falsch verstanden hatte und dieser so höflich war, ihn nicht zu verbessern.
Während der Hafenrundfahrt schlief unser Sohn nach fünf Minuten ein – meine Frau erst nach einer Viertelstunde.

Polen, wie wir es kennengelernt hatten, verkörperte ein leichtes, südländisches Flair. Wir hatten uns sehr wohlgefühlt und nahmen uns vor, noch öfter in dieses Land zu reisen.

Aus dem Buch "Reisehusten" von Wilfried Hildebrandt


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