Sauerkraut

Gestern habe ich mir einen wunderbaren Sauerkrautsalat gemacht, da fiel mir eine Begebenheit aus dem Jahre 1992 ein. Ich war arbeitslos und ich wartete dringend auf die Zahlung vom Arbeitsamt. Sechs Wochen waren bereits vergangen, Nachfragen brachten nichts, die Festkosten liefen weiter und ich lebte auf Dispokredit. Allen Stolz beiseite schiebend entschloss ich mich, beim Sozialamt ein Überbrückungsgeld zu beantragen.
Ich fuhr also zum Rathaus und dort war gerade Markt. An einem Stand gab es ein großes Fass mit frischem Sauerkohl, der Geruch löste eine Erinnerung an meine Oma aus. Sie hat einmal im Jahr den Teppich damit gereinigt, es auf den Knien mit einem Baumwolltuch eingearbeitet, es lange trocknen lassen und dann abgesaugt. Er sah mit den frischen Farben wie neu aus. Da ich wusste, dass die Wartezeiten auf dem Amt recht lang werden konnten kaufte ich 4 KG Sauerkohl, verpackt in einer großen Plastiktüte, die durch zwei weitere Tüten vor dem Auslaufen schützen sollten. So ging ich zum Sozialamt, zog eine Nummer und wartete. Der Geruch von meiner Errungenschaft breitete sich aus, ein nasser Fleck auf dem Boden war bereits zu sehen, als meine Nummer aufgerufen wurde.
Den Beutel packend trat ich ins Zimmer, die Blicke hinter mir stoisch missachtend. Ich trug mein Anliegen vor, schilderte meine Situation, dann kam die Frage des Sachbearbeiters: “ Zeigen Sie mir die Unterlagen über ihre Einkünfte!” Ich sagte ihm, dass ich z.Zt. keine hätte und ja darum hier bin. Auch legte ich meinen Antrag an das Arbeitsamt vor und die Nachricht, dass sich die Zahlung verzögern würde. Die Antwort war für unsere Bürokratie logisch, in mir jedoch völlig unverständlich. “Wenn Sie kein Einkommen haben können wir das Überbrückungsgeld nicht berechnen, wir haben keine Grundlage dafür.” Diskutieren darüber war ganz sinnlos, der Herr machte Dienst nach Vorschrift. Mein Adrenalinspiegel stieg, der Duft des Sauerkrautes auch und so stand er auf und verabschiedete sich. Ich bin bei Beschwerden immer freundlich, aber hier war eine Grenze erreicht. Ich stand souverän auf, nahm mein kostbares Nass und stellte es ihm mitten auf seinen Schreibtisch mit den Worten: "Als Zeichen dafür, wie sauer ich bin bekommen sie heute mein Sauerkraut als Geschenk für Ihr Verständnis und für die professionelle Beratung. Mit hocherhobenem Kopf verlies ich, in mich hineingrinsend, den Raum-. Mein Humor hat dem Ärger den Garaus gemacht, ich ging erneut auf den Markt und kaufte mir die zweite Portion. Der Händler erkannte mich und fragte, wo ich die 4KG gelassen habe. Ich sagte lächelnd, ich habe es meinem Sachbearbeiter auf dem Sozialamt geschenkt.
Dann ging ich zu Fuß nach Hause, um nicht auch noch den Bus zu parfümieren. Dort angekommen machte ich mir erst einmal einen Kaffee, bereitete alles für die Aktion vor und machte mich fröhlich an die Arbeit. Nachts alle Fenster auf, das Ergebnis konnte sich am nächsten Tag sehen lassen. Seitdem benutze ich keine Chemie mehr.


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Kommentare (3)

Muscari


Liebe Malina,

erst jetzt habe ich Deinen heiter-ernsten Beitrag entdeckt, der mich sehr überrascht hat.
Ja, auch ich mag Sauerkraut sehr gerne. Aber zum Teppich reinigen dann doch nicht.
Aber dem "netten" Herrn Sachbearbeiter das Sauerkraut auf den Schreibtisch zu knallen, war einfach Spitze und typisch Malina. Du hast es schon immer prima verstanden, Dich auf vielfältige Weise zu wehren. Ich denke mal, dass dieser Herr Deine saure Miene und das Sauerkraut nie vergessen hat.

Danke und mit verständnisvollem Gruß von
Andrea

 

Manfred36

Wir haben früher unser Sauerkraut selber eingeschnitten und in irdenen Töpfen garen lassen. Heute mag ich das Weißkraut feingeschnitten mit vielen Zwieben, Paprika und Radieschen viel lieber. Erst heute Mittag habe ich es mir gemacht, einfach mit Pellkartoffeln.

malina

@Manfred36  Ja Manfred, Sauerkraut ist was feines und man kann es auf vielerlei Art zubereiten und es ist noch überaus gesund, Meine Mutter hat es nach dem Krieg in Holzfässern eingelegt, ebenso Gurken. Aber für den "netten" Staatsdiener war es sicher eine ungewohnte Überraschung.
Lieben Gruß, Malina


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