Smarter fremder Mann


Smarter fremder Mann und die zwei Frauen

„Frauen, romantische Abenteuer, Sex?“, ist es nicht allein das, was er möge, fragt Marlies ihren untreuen Liebhaber. Der muss es zugeben. Zugleich aber möchte er dies differenzierter sehen. Ihm gehe es um mehr und um weniger. Mehr heißt hier: die Frau als Mensch. Es gehe ihm um die Erkenntnis des anderen in seiner affektiven Komplexität, um die Berührung von Denken und Leidenschaft. Weniger heißt hier: entspanntes Zusammensein, gemeinsames Genießen dieses Daseins, das nicht einfach selbstverständlich ist. So denkt kein dahergelaufener Don Juan, sondern ein feinfühliger homme à femme, den die Frauen insbesondere wegen seiner unaufdringlichen Zugewandtheit, seiner wissenden Aufmerksamkeit und seinem zärtlichen Verstehen dessen lieben, was zwischen ihnen und diesem smarten fremden Mann sich ereignet. Kurz: es geht um die Erotik authentischer Begegnung, nicht um den Sex affektierter Abenteuer. Und dabei spielt Erfahrung keine geringe Rolle, man agiert aus der Tiefe eines bereits zur Hälfte gelebten Lebens und lässt den jeweiligen Partner ruhig wissen, was es damit auf sich hatte.

So erfährt der Leser manches über die Lebensgeschichten von deutschen Frauen mittleren Alters, deren gescheiterte Ehen, über die verwöhnten Kinder und die in ihnen weiter schwelende Konflikten undurchschauter Verletztheiten; man lernt die Freundeskreise dieser Frauen kennen, hört von bürgerlichen Luxusproblemen und spürt etwas von der Atmosphäre der deutschen Wohlstandsgesellschaft der achtziger Jahre. Von größerer Bedeutung für das Romangeschehen aber sind die existenziellen Strategien dieser Frauen, die diese nach dem Zusammenbruch ihrer einst traditionellen Biographiekonstrukte in der nur äußerlich heilen Welt der guten alten Bundesrepublik überleben oder untergehen lassen.

Da ist zum einen die attraktive Marlies, die aus der DDR stammende Radiologin, wie sie aus ihrem selbstbewussten Singlestatus heraus sich keinen Illusionen hingibt, stets auf der Höhe der Lage ist, kompromisslos offen agiert und noch im Augenblick ihres Verlassenwerdens mit souveräner Sympathie zu reagieren weiß. Marlies bevorzugt die scharfsinnige Härte einer klaren Kommunikation mit sich und der Welt anstelle von wortreich erklärendem Gerede; und sie setzt entschieden auf die Wahrheit, wo andere noch weiterreden wollen.

Da ist zum anderen Elli, die gutsituierte Schöne, die den Mangel an Liebe in den familiären Beziehungen seit jeher durch innere Tapferkeit, äußere Haltung und einen ambitionierten Lebensstil zu kompensieren sucht. Aber ihre kultivierte Eleganz ist porös; durch die feinen Risse ihrer gepflegten Erscheinung sickert mehr und mehr das Fluidum der latenten Verzweiflung. Als sie mit dem Geld, das ihr nach dem Tod des Vaters als Erbe zukommt, das insgeheim schmerzlich entbehrte Familienglück sich gleichsam zurückkaufen will, fühlt ihr neuer Lebensgefährte sich von ihren großzügigen (von ihm als gewaltsam durchschauten) Gesten abgestoßen und verlässt sie. Er ist nicht länger bereit, dieser Frau, die er vielleicht liebt, den europäischen Ehemann, der er nie sein wollte, zu ersetzen. Er glaubt Elli zwar ihre Liebe, aber er fühlt sich nicht gemeint. Was aber macht diesen Mann interessant, um den sich nicht nur die ostfriesische Damenwelt, sondern der gesamte Roman dreht?

Teil eines Artikels von Prof. Stefan Heyduck


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