Sommerreise 2009 - Kleines Resümee (5) - Achtung: über 20 Bilder!


Sommerreise 2009 - Kleines Resümee (5)

Als Begleitmusik: Der zweite Satz der Beethoven’schen Klaviersonate Nr. 23 in f-Moll op. 57 ( Appassionata); es spielt Wilhelm Backhaus.


Tage, Tage, Tage ....




Nach den vorausgegangenen Abschnitten dürfte für die Leser dieser kleinen Beiträge folgendes klar sein
Diese Radreise war keine in erster Linie „sportliche Veranstaltung“; dazu fehlt(e) mir jeder sportliche Ehrgeiz (vom Alter einmal abgesehen).

Sie war auch keine Erlebnis-Gemeinschaftsreise mit Freunden, Bekannten etc., denn ich fuhr allein.

Sie war auch keine „Genußreise“ (Hotel, Restaurants, kulturelle Highlights etc.), keine „Selbstdarstellungsreise“ ... so etwas doch nicht mit Fahrrad und Zelt!

Sie war auch keine (reine) Kulturreise, obwohl sie recht detailliert vorbereitet wurde und viele kulturelle Aspekte vorgesehen waren (meistens städtebaulicher und architektonischer Art, speziell Klöster und Kirchen, Ausstellungen), jedoch während der Reise zeigt sich, daß der Schwerpunkt auf die Reise selbst, auf das Unterwegssein verlagerte.



Was war also diese Reise?
Sekundär durchaus eine gewisse körperliche Herausforderung. Wenn man so will eine Form der Auseinandersetzung mit dem Alter.

Ein naives kleines Abenteuer; d.h. ein bewußtes Sich-Einlassen auf eine mehrwöchige Nomadenexistenz, die Reduktion des alltäglichen Daseins auf das nur Lebensnotwendige. (Allerdings für mich nichts Neues, da ich knapp 50 Jahre – unabhängig von beruflicher und gesellschaftlicher Position – sehr häufig solche Reisen gemacht habe bzw. nur solche Reisen favorisiere.)

Wieder eine kleine Entdeckungsreise: Landschaft, Orte, Leute (soweit man ihnen auf solchen Reisen begegnet), hier speziell in der ehemaligen DDR. Offen sein für die Bilder, die auf einen laufend zukommen.

Letztlich – gleichsam als Zusammenfassung der obenstehenden Punkte – auch eine Form der Selbsterfahrung: mit der eigenen Vergangenheit und Erinnerung, mit dem vergangenen Leben, eine Konfrontation mit der Wirklichkeit, die auf einen zukommt ...



Wie in etwa verlief also der einzelne Tag?

Morgenröte 1


In der Regel ohne Uhr so gegen fünf Uhr, halb sechs aufgewacht. Zelt geöffnet, als erstes der Blick zum Himmel ... bis auf drei, vier Tage kündigte sich täglich bereits in dieser frühen Morgenstunde wieder ein hochsommerlicher Tag an. Der Himmel blau, wolkenlos, im Osten das Rot der aufgehenden Sonne. Munter, neugierig auf den neuen Tag ... so motiviert stand ich schnell auf.

Morgenröte 2 (Usedom)



Auf den Campingplätzen (die übrigens alle sehr hübsche kleine Ecken Radwanderer und für kleinere Zelte hatten, so daß man von Wohnwagen und Campinganhängern ungestört war) herrschte völlige Ruhe; alles schlief noch. Mit Duschen, Zeltabbau, Verpacken etc. verging eine gute Stunde. So zwischen halb sieben und sieben schwang ich mich dann auf mein Rad und fuhr in den jungen Morgen hinein.

Dieser jungfräuliche Tag, die Stille, die Menschenleere, das einsame Dahinrollen auf den Wegen ... die Sonne warf dann die langen Schatten von Bäumen und Büschen auf den Radweg oder der ländliche Horizont (Äcker, Wiesen, Bäume und Busche), von der steigenden Sonne bestrahlt ... die Seele jubelte, das Herz füllte sich mit der Schönheit der Bilder, die das Auge laufend wahrnahm. Singen hätte ich können, jubeln ... daß man das alles als alter Mensch so erleben kann und sich darüber freuen kann – eben wie ein junger Mensch oder eben gleichsam zeitlos – wie ein tägliches Geschenk habe ich dies jeden Tag empfunden.
Zudem: Das frühe, noch schräge Licht gibt einer Landschaft interessante Konturen; das Spiel von Licht und Schatten modelliert eine Landschaft; wenn jemand dafür einen fotografischen Blick hat ...

Waldweg/ Morgenlicht



Während der ersten vier, fünf Tagen mußte ich mich am Morgen erst warm treten und spürte sehr wohl zunächst meine Muskeln, meine Kniee, aber nach einer Woche war ich einfach fit und konnte den ganzen Tag radeln.

Brücke/Wilhelmshaven


Ampel


Eine kleine Geschichte. Letztes Jahr – auf meiner Tour vom oberbayerischen Lenggries nach Flensburg – bin ich in Naumburg von einem flott abbiegenden Auto erwischt worden; vermutlich habe ich aber auch die Fußgängerampel nicht genau beachtet. Die Autofahrerin stieg aus, ich lag zunächst am Boden, mein Vorderrad total verbogen; dann stand ich auf. Die „Zuschauer“ – ein Apotheker, zwei Apothekerinnen, zwei weitere Fußgänger – zur Autofahrerin: „Haben Sie etwas am Wagen?“ ... (Die Autofahrerin fuhr mich dann immerhin zu einem Fahrradhändler, der ein neues Vorderrad einsetzte.)
In diesem Jahr: so genau habe ich noch nie Radfahrer- und Fußgängerampeln beachtet.

Je nach Region führte mich der frühe Weg durch die leere Landschaft oder in die erwachenden Orte ...

Kanal/ Hafen


... immer auf der Suche nach einem Zeitungsgeschäft. Dann, mit meinen Zeitungen ausgestattet, schaute ich nach einem Bäckerkaffee, die ich mit der Zeit immer mehr geliebt habe. Ausgesprochen liebenswürdige – meistens junge – Damen, ein reichliches Frühstücksangebot und – dies vor allem in den neuen Bundesländern – angenehm preiswert. Inzwischen war es meistens neun Uhr, also war ich bereits zwei Stunden auf dem Rad unterwegs gewesen. Frühstück, Zeitungslektüre ... manchmal ergab sich mit einem Menschen am Tisch ein Gespräch.

Bäckerei/ Wilhelmshaven


Dann ging es weiter. Je nach Region, je nach Ort habe ich auch etliches angeschaut und fotografiert: städtebauliche Ensembles, Kirchen, Klöster. Aber immer stärker spielte die eigentliche Strecke die Hauptrolle, denn immerhin waren rund 2.300 Kilometer geplant. D.h. ich mußte rund 80 bis 100 Kilometer fahren.

Die Fahrten übers freie Land ...

Feldstraße


Wolken übers Land


Kühe am Weg


und an den Kanälen, an Flüssen, an der Küste entlang waren eigentlich die schönsten Strecken. Das Radeln am Ems-Jade-Kanal war besonders reizvoll ...

Ems-Jade-Kanal 1


Ems-Jade-Kanal 2


Ems-Jade-Kanal 3


Wie schon an anderer Stelle erwähnt, begleitete mich Fridolin, mein Gartenzwerg. In dem Film „Die fabelhafte Welt der Amelie“ spielte ein Gartenzwerg eine Rolle; er wurde von der Amelie dazu benutzt, um ihren Vater aus dem Getto der Trauer zu befreien, damit ihr Vater sich wieder der Welt zuwendet. Eine ähnliche Intention hatte meine Nachbarin, als sie mir vor einigen Jahren diesen Gartenzwerg schenkte, der mich auf etlichen Radreisen begleitet hatte und erst letztes Jahr von meinem Mitreisenden seinen Namen erhielt. Allein die Tatsache, daß ich ihn an markanten Punkten als Nebenfigur mitfotografierte, war öfters Anlaß zu Bemerkungen und Gesprächen. In Sanssouci hörte ich, wie eine Frau ihren Begleiter auf meinen Fridolin und auf den Film hinwies. Die Dame kannte sich aus!

Das Alleinsein auf einer solchen Reise intensiviert den Blick; man entdeckt vieles ...
Fridolin mit toter Taube


Sonnenblume


Gersten-Ähre


Toter Fuchs


Je nach Witterung – an einigen Tagen war es arg heiß, daß ich auch mittags bzw. nachmittags eine Pause machte – und Situation radelte ich weiter, machte kleine Pausen, fotografierte ...

Leuchtsignal


An der Elbe, beim Kernkraft Brunsbüttel, begleiteten mich diese Schafe ...

Zwei Schafe vor Reaktor


Zwei Schafe auf dem Deich


Viele Schafe auf dem Deich


Ähnlich wie der frühe Morgen hatte auch jeweils der Abend seinen besonderen Zauber ...

Elbufer


Spur im Sand


Schiff auf der Elbe/ Abendlicht


Etliche Zeltplätze lagen an sehr romantischen Plätzen ...

Abendstimmung am Schwielower See


Manchmal aß ich abends nur noch etwas Obst oder ein Stück Brot und Heringssalat, manchmal etwas mehr – wenn der Zeltplatz entsprechend etwas anbot, wobei ich dann einige Male mit anderen Radreisenden ins Gespräch geriet.
In Löcknitz (Oder) waren wir insgesamt immerhin sechs Fernradler (alle mit Zelt und entsprechenden Gepäck).
Am Anfang der Reise hörte ich abends im Zelt noch etwas Musik oder Radio (ich hatte mir einen neuen MP3-Player zugelegt, dessen Aufladekabel ich allerdings zuhause vergaß) oder ich ließ Bilder und Erlebnisse vor meinem geistigen Auge vorbeistreifen, bis ich halt einschlief ...

Natürlich lagen auch etliche größere Orte an meiner Route ... Potsdam, Brandenburg, Magdeburg, Braunschweig, Celle, Hannover, Minden etc. etc. ... aber in den größeren Orten fühlte ich mich etwas verloren, man kämpfte sich z.T. durch den Verkehr; oft fanden sich in den Städten keine spezifischen Hinweise für Radler, so daß ich mehr oder weniger verzweifelt und/oder schon auch einmal fluchend nach dem richtigen Weg suchte und fragte.
So interessant auch die einzelnen Orte waren – u.a. liebe ich Hafenstädte (etwa Wismar, Stralsund, Greifswald, Ueckermünde) – , die Fahrten durchs freie Land, auf den einsamen Wegen, auf dem Deich etc. hatten für mich einen besonderen Zauber.

(Fortsetzung folgt)

Die olle Bertha
vom Niederrhein




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Kommentare (5)

henryk ...weill das fuer mich , fuer meine liebe deutsche Sprache , die ich lerne, eine tolle Sache ist. Ich habe alles sehr gut verstanden und es freut mich sehr. Danke. Henryk
nasti und staune

liebe Bertha,


deine Erlebnisse versetzen mich in eine echte nomadische Euphorie. Muss ich zugeben, das so ein schwer zugepackten Fahhrad könnte ich nicht bewegen und hätte ich Angst das ich runterkippe von Fahrad.
Habe ich aufmerksam gemacht einige Seniore/Innen auf deine Erlebnisse /nicht von ST/, alle zeigen eine große Bewunderung.
Für mich wäre ein Dreirad optimal-- hab ich in TV gesehen---Dreirad für Erwachsene. Kippt nicht um, und kan man enorm viel zupacken.

Nasti



niederrhein Verzeihung ...

... aber ich muß zunächst mal lachen: Wovor Angst? Meine liebe Nachbarin und Freundin Zenzi (Jahrgang 1931) meint immer vor jeder Reise, ob ich nicht Angst hätte ... allein, Zelt etc. Worauf ich jedes Mal lachen muß, denn das wäre das Letzte, woran ich denken würde.

B.
immergruen ich würde vor lauter Angst nicht schlafen können aber ich danke Dir für die die Teilnahme in Wort und Bild.
Es sind wieder soooo schööne Fotos und wenn ich das dazu geschriebene lese, kann ich Dich immer wieder nur für den Mut bewundern, den Du aufbringst.
War der Fuchs so nah ? Und das Foto vom Elbufer ist sehr stimmungsvoll.

pelagia stand annähernd Schönes heute. Die Morgenstunden, das Licht, Wege- und Wolkenbilder, danke, liebe Bertha für das Mit-Teilen. Dieser Bericht wird mir ein guter Begleiter in den Tag.

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