Wir waren schon mehrmals im Bus über die Tower Bridge gefahren, aber jetzt wollten wir sie uns einmal genauer ansehen. Außer den Fahrkarten für den Nahverkehr beinhalteten unsere Welcome Cards auch eine große Anzahl von Gutscheinen für kostenlosen oder zumindest verbilligten Eintritt in Londoner Touristenattraktionen. Für die Tower Bridge war auch einer dabei und so zückte ich die beiden Hefte und ging zur Kasse. Ich bestellte zwei Tickets für die Brücke und zeigte die entsprechenden Seiten in den Gutscheinheften. Die Kassiererin sagte etwas zu mir und ich verstand nur „Tear off“. Das wiederholte sie mehrmals und wurde dabei immer lauter und ungeduldiger. Okay, es wehte ein kalter Wind über die Brücke und trieb uns die Tränen in die Augen, aber ich fand, das gab ihr nicht das Recht über meine feuchten Augen herzuziehen. Nachdem ich auch nach der dritten Wiederholung nichts verstanden hatte, nahm sie mir das Heft weg und riss die Seite heraus. Jetzt wusste ich, was sie gemeint hatte. Tear off schien wohl herausreißen zu heißen und hatte nichts mit Tränen zu tun.

Wir besichtigten die Brücke von außen und von innen und wurden in einem Saal von unserem Guide ziemlich erschreckt, indem er uns erklärte, dass in diesem Raum schon viele Menschen zerquetscht worden seien, weil sich eines der Gegengewichte der Brücke in diesen Raum hinein bewege. Dann verabschiedete er sich hastig und im nächsten Moment kam auch schon ein riesiger Stahlzylinder auf uns zu. Wir hatten keine Chance zu entkommen, denn wir standen mit dem Rücken an der Wand und alle Türen waren zu. Die Frauen kreischten. Meine Frau schmiegte sich ängstlich an mich, denn auch sie glaubte, dass unser letztes Stündlein geschlagen habe. Ich sagte mir und ihr, dass es unmöglich sei, dass man hier harmlose Touristen massenhaft umbringe, denn immerhin waren wir nicht allein, aber je näher das Gegengewicht kam, umso unsicherer wurde auch ich. Aber kurz bevor wir wirklich erdrückt wurden, blieb das Gewicht stehen und alle lachten erleichtert auf.
Auf diese Weise bekamen wir eine Ahnung vom britischen Humor.

Nachdem wir wie durch ein Wunder wieder an das Sonnenlicht gekommen waren, kletterten wir viele Stufen hoch, um aus einer Höhe von etwa 40 Metern auf London und die Tower Bridge herabzublicken, was wirklich sehr viel Spaß machte.
Wieder auf der Straße zurück, waren wir immer noch motiviert und beschlossen deshalb zu Madame Tussauds zu fahren, um uns die weltberühmten Wachsfiguren anzusehen.

Wir überquerten eine große Straße, um zur Bushaltestelle zu gelangen. Der Bus, der kam, hatte auch die richtige Nummer, aber als wir einstiegen und unsere Touristenkarte vorzeigten, fragte die Busfahrerin: „What's your destination?“
Von destination war nach meiner Erinnerung bei BBC nie die Rede gewesen, weshalb ich mal wieder nichts verstand. Ich dachte, es sei etwas mit den Fahrkarten nicht in Ordnung und schaute verwirrt auf diese und die Fahrerin. Sie war geduldig und verständnisvoll, weshalb sie die Frage anders stellte. „Where do you want to go?“
„Baker Street“, antwortete ich verwundert darüber, dass ich das Ziel der Busfahrt angeben musste. Kaum hatte ich es ausgesprochen, da erklärte und zeigte sie uns, dass dies hier die falsche Richtung sei. Wohl alle Fahrgäste unterstützten sie in ihrem Bemühen, uns zu zeigen, dass wir auf die andere Straßenseite müssten, um dort einzusteigen.
Wir verstanden und bedankten uns. Dann verließen wir den Bus und wechselten erneut die Straßenseite.

Dieser Vorfall zeigte uns einmal mehr, dass es selbst als Fußgänger Schwierigkeiten mit dem Linksverkehr gibt. Aber immerhin hatte die freundliche Busfahrerin mitgedacht und wusste, dass Touristen eigentlich eher in die andere Richtung fahren wollten.

Aus dem Buch "Reisehusten" von Wilfried Hildebrandt


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Kommentare (3)

Rosi65

Lieber Wilfried,

bei Deinen lustigen Reiseerinnerungen fällt mir doch sofort ein früheres Malta-Urlaubserlebnis ein. Auch auf dieser Insel herrscht Linksverkehr. Bei unserer ersten Busfahrt standen wir natürlich auch prompt an der falschen Haltestelle, denn der betreffende Bus, der uns nach Valletta bringen sollte, fuhr genau in die entgegengesetzte Richtung. Erst als der Bus mit der Zielaufschrift eintraf, bemerkten wir unseren Irrtum, und wechselten ziemlich irritiert die Straßenseite.
Zum Trost: Du bist also nicht der Einzige, der sich solch eine dumm-witzige Anekdote geleistet hat.😅

Herzliche Grüße
    Rosi65

Wilfried

@Rosi65  
Liebe Rosi65,

in Malta war ich auch, aber später. Dort wollte ich mein Englisch verbessern. Vielleicht poste ich demnächst mal, was ich dabei erlebt habe.

Viele Grüße
Wilfried

Rosi65

@Wilfried

 Ja, bitte unbedingt..., bin gespannt! 


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