„Ischias“, sagt Frau Mettel, „Ischias zieht sich von hier oben runter bis in die Füße.“
Dabei steht sie auf, schiebt ihren Stuhl zurück und fährt mit den Fingern an ihrer mit großen grauen Karos versehenen Hose entlang, bis sie an den Waden halt macht.
Dann taucht sie mit hochrotem Gesicht wieder auf, mustert uns durch ihre spiegelnden Gläser und schnauft:
„...bis an die Füße!“
Beifälliges Nicken ringsum.
„Und dann muss ich mich einfach hinlegen, auf den Rücken. Schmerzen sind das, Schmerzen, sag ich euch! Auch wenn man sich gar nicht bewegt! Mein Mann kommt dann immer mit einer Aspirin und einem Sherry und sagt: Nun stell dich man nicht so an! - Männer haben dafür überhaupt kein Gefühl!“
Allgemeine Zustimmungsäußerungen der unverbindlichen Art: Hm! Jaja! Wem sagst du das!
Als einziger Mann in der Runde (... Och nehm´n Se doch bei uns Platz ...) überlege ich noch, ob ich einen schwachen Protest starte, da schiebt sich ein gewaltiger mohair verhangener Busen vor mein Gesichtsfeld:
„Hexenschuss!“ dröhnt es in mein Trommelfell, „Hexenschuss! Wie angeweht! Einfach so! Du stehst so da, sagen wir mal in der Küche, und zack“ - ein Handkantenschlag fegt unmittelbar an meiner randlosen Brille vorbei – „ein Schmerz wie mit einem Messer, und du kannst dich nicht mehr rühren! Absooluuut nicht!“
Frau Butzbach wedelt mit ihren Händen beschreibend vor meinen Augen, lässt ihre graublauen Löckchen wippen und blitzt uns aus ihren kleinen Äuglein an:
„Hatte ich letzte Woche! Da stehst du da und kannst dich nicht mehr rühren. Absolut nicht! Nicht wahr Hannelore?“
Ich sehe mich diskret um, wer ist Hannelore? Außerdem lasse ich meine eigenen Krankheiten vor meinem inneren Auge Revue passieren, vielleicht finde ich ja eine, die ich, eventuell etwas katastrophenartig ausgeschmückt, zur Ausgestaltung der Unterhaltung beisteuern könnte.
„Hexenschuss ist eine üble Geschichte“, korrigiert Frau Mettel.
Sie klopft mit einer Kuchengabel auf den Tisch, mustert jeden von uns eingehend und stellt klar:
„Das ist aber kein Vergleich zu Ischias!“
Sie steht schon wieder auf.
„Ist da noch was von dem Wein da? Dem trockenen natürlich!“
Sie schiebt ihre Brille in Richtung Nasenspitze und studiert das Etikett der Flasche.
„Ich weiß auch nicht“, sagt Frau Klimsmann und hält ihr Glas mit spitzen Fingern in Richtung Flasche,
„das muss wohl mit dem Alter zusammenhängen, dieser Trockene schlägt mir einfach auf den Magen.“
„Da musst du einen Weißherbst trinken, da kannst du nichts falsch machen.“ Frau Daubern, eine kräftige Winzerfrau, hält ihr Glas mit fachmännischem Blick gegen das Licht, schiebt ihre kleine rosa Zunge zwischen den Lippen hin und her und macht schmatzende Geräusche:
„Ist von Uns, wirft sie ein, ein süffiges Gewächs.“
Ich bin etwas verunsichert, mache mir dann aber doch unter den musternden Blicken der Umgebung ein Bier auf. Das Klicken des Deckels fällt in einen dieser selten auftretenden Augenblicke absoluter Stille und lässt auf der glänzenden Stirn der Winzerfrau eine steile Falte erscheinen, die sich dann aber doch zugunsten eines mildtätigen Lächelns auflöst.
„Sie sind Norddeutscher, nicht wahr?“
Plötzlich stehe ich im Mittelpunkt der Gesprächsrunde, mit wohlwollendem Nicken wird mir eine Schüssel zugeschoben:
„Nehmen Sie doch noch etwas Spundekäs!“
Gerade will ich etwas Lobendes zu dem Spundekäse sagen, da steht Frau Mettel schon wieder auf, tritt einen Schritt zurück um sich in voller Größe zu präsentieren (mindestens einsachtzig, ziemlich vollschlank, peruanischen Zuschnitts, d.h. gar keine Taille und keine Hüften, alles ein Stück) und strahlt uns an:
„Wie findet Ihr meine neue Hose?“
Alles starrt sie an, rauf und runter, ihr Gesicht färbt sich leicht dunkel vom Luftanhalten.
„Wiesbaden?“ wirft Frau Klimsmann mit fragendem Blick ein.
„Also ich geh da ja immer zu Karstadt, da habe ich die größte Auswahl. Da nehme ich dann immer gleich mehrere mit in die Kabine und probiere die in aller Ruhe an. Ist eigentlich kein Baguette mehr da?“
Frau Dauner stellt entrüstet ihren Weißherbst ab:
„Da kann man doch nicht hingehen! Neben der Bücherei, da ist eine kleine Hosenbutik, die sind erstklassig sortiert. Besonders wenn man auf Qualität achtet wie ich und eine so ausgefallene Größe hat wie unsereins.“
Ich versuche unauffällig die ausgefallene Größe unter dem Hängekleid zu taxieren, kann aber keine sicheren Konturen ausmachen.
„Aschaffenburg! Ich fahre nach Aschaffenburg!“
Frau Mettel steht noch immer vor dem Tisch, die Kuchengabel in der Hand. Sie fuchtelt mit den Armen und zeigt die Richtung an:
„Da gibt es ein Geschäft mit richtigen Verkäuferinnen, die sind echt geschult. Und höflich, sag ich Euch. Als ich da reinkam, hat mich eine nur angeschaut und kam dann mit einer Hose, die saß wie angegossen! Ehrlich! Und das will was heißen bei meiner Figur!“
Sie setzt sich wieder und schmiert sich eine dicke Schicht Spundekäs auf eine Scheibe Baguette.

Aschaffenburg!? Was für ein Name! Aschaffenburg?? Langsam baut sich das Bild einer schlanken schwarzhaarigen Studentin vor mir auf: Diese Augen! Dieser Sommerabend in dem weinumrankten Gartenrestaurant! Ich versinke in meinen Erinnerungen. Sabine hieß sie! Was für eine Sommernacht!
Immer deutlicher sehe ich das alles vor mir: Die von der Decke hängenden Weinreben, an den Tischen dicht gedrängt die anderen Gäste, eingesponnen in ihre Gespräche – oder eigentlich sehe ich das alles schon gar nicht mehr: überlagert durch ein Paar schimmernder Augen von unergründlicher Tiefe, die meinen Blick nicht freilassen – Lippen, die lächelnd zu mir sprechen ........

„Sagen Sie mal..“...Frau Mettel klopft mit ihrer Kuchengabel direkt vor mir auf den Tisch und fixiert mich: „Wo kaufen Sie eigentlich Ihre Hosen?“

Castellanos

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Kommentare (9)

castellanos Hallo Begine,
warum sollte ich kritisieren?
Ich habe keinen Anlass dazu.
Ehrlich gesagt, ich habe erst jetzt was von Dir gelesen. Liegt wohl daran, dass ich es nicht so mit Lyrik habe.
Deine Frage war wohl:
Warum liest man so wenig von Dir?
Die Antwort ist einfach:
Weil ich so wenig schreibe!
Gruß
castellanos
EHEMALIGESMITGLIED63

soll ich das als Kritik annehmen?
Da ich aus dem Bauch raus schreibe so wie ich in
Stimmung bin ?

Nein auch wenn mein Geschreibsel nicht formvollendet ist...
Salü Begine
castellanos Hallo Begine,
so groß ist mein Fundus an Geschichten auch nicht (maximal etwas 5 pro Jahr) - es schreibt sich nicht mal eben so, wenn es einigermaßen was taugen soll. Außerdem überarbeite ich die Geschichten sprachlich gründlich - es gibt immer etliche Versionen, bevor ich was veröffentliche.
Ab und zu in irgendwelchen Zeitungen oder in einem Buch, was ich so in Handarbeit herstelle.
Gruß
Castellanos
EHEMALIGESMITGLIED63
warum lesen wir nur so selten etwas
von Dir ?
Es ist einfach Genuß pur, jedes Wort jede Zeile
jede Pointe.....

Einfach wunderbar, ab sofort trage ich nur noch Röcke Elisabethdas Leben....(Begine)


castellanos Hallo, eigentlich an alle:
Eigentlich gerät man in solche Situationen nur, wenn man fremd ist und zufällig in die Runde aufgenommen wird. In der Regel gibt es ein paar höfliche Abfragen nach vorigem Leben (wo, was, warum jetzt hier) und nach wertem Befinden, dann aber hechelt man ungeniert die ganze gemeinsame Bekanntschaft durch - die ich zum Glück nicht kenne.
Castellanos
tilli Ich stimme Ingrid zu, es ist nicht einfach sich zurückzuziehen.
Durch und seinen so schönen Erinnerungen nachgehen.
Amüsiert habe ich mich doch.
Grüße Tilli
finchen ...ich mit meiner Figur, die einem Spargel ähnelt.
Schöne Geschichte - ganz nebenbei, ich kaufe in Münster und geändert wird im Näh-Studio "chez Finsche".
Danke für die lustige Geschichte.
das Moni-Finchen
indeed deshalb meide ich solche Zusammenkünfte wenn es nur irgend geht, lach.
Habe dich bedauert. Deinen Blog hast du aber sehr lebendig beschrieben.

Mit lieben Gruß
Ingrid (indeed)
Traute Doppelte Gratulation.
Einfach vom Feinsten.
Es ist als wäre man einer der Gäste gewesen.
Mit freundlichen Grüßen,
Traute

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