„Ein ganz tolles Stück“


„Ein ganz tolles Stück“

Aus der Frühzeit des Kinos dürfte manche Geschichte erzählt worden sein. Manche wurde auch niedergeschrieben. Eine solche soll 1910 beim Ansehen des Films „Ein ganz tolles Stück“ passiert sein. Aktenkundig wurde sie nur, weil es zu einer Gerichtsverhandlung vor dem Radeberger Schöffengericht kam.
Lydia Thielemann und Arthur Robel saßen durch Zufall im „Metropol“ auf der Oberstraße 10 in Radeberg nebeneinander. Im Dunkel ist es durchaus das Einzige was man voneinander weiß. Mit dem Einspielen der Musik hörte damals der in Akten gezeigte Film auf, die Beleuchtung ging an.
Man musste umspulen und in der Pause kann man sich die anderen Besucher ansehen, inklusive die Nachbarin oder den Nachbarn. Arthur Robel gefiel seine ihm noch unbekannte Nachbarin. Nun kam der zweite Akt des Films zur Aufführung. Gespielte Liebesumarmungen wurden auf der Leinwand gezeigt. Beide wurden unruhig, schwitzten und dachten sich ihren Teil. Doch die Starre löste sich, er legte seinen Arm um ihren Rücken und sie nahm nahezu unbemerkt seine Hand. Die Pause vor dem dritten Akt brachte Errötung und Stotterei von beiden Seiten, was jeder auf seine Art deutete.
Als es wieder finster wurde und mit dem dritten Akt der Film seinen Fortgang nahm, kam es zu einem markerschütternden Schrei. Geschimpfe und manches unfeine Wort sorgten dafür, dass der Saaldiener die Vorstellung unterbrach und die Querulanten ausfindig machte. Es waren jene Lydia Thielemann und jener Arthur Robel. Der herbeigerufene Gendarm nahm die Sache auf und übergab sie dem Amtsgericht, hatte doch der Kinobesitzer gleichfalls Anzeige erstattet „wegen ruhestörendem Skandalieren und Rufschädigung“. Auch beide Kinobesucher zeigten sich gegenseitig an, „Ehrenbeleidigung“.
Vor Gericht machte zunächst Lydia Thielemann geltend, dass sie ihr Nebenmann gezwickt habe. „Ich kann vor Aufregung gar nicht sagen wo“, soll sie geäußert haben. Der Angeklagte stand da, zornig und auch verlegen. „Mein Fräulein, dass sie so eine Kleinigkeit so tragisch nehmen. Wenn ich liebe, und dazu noch neben einem hübschen Mädchen sitze, dann muss ich eben auch mal zwicken!“ So oder ähnlich war die Antwort. Der Richter wies darauf hin, dass das Zwicken als Körperverletzung geahndet werden müsste. Er ließ eine Verhandlungsunterbrechung zu, denn so einen Fall hatte man in Radeberg noch nicht verhandelt. Beide einigten sich offenbar in der Pause, denn bei Wiederaufnahme stellten Lydia Thielemann und Arthur Robel den Antrag ihre Klage zurück zu nehmen.
„Da bleibt nur noch das ruhestörende Lärmen!“, so der Amtsrichter. Da beide erstmals auffällig wurden, kam die Regel des 3 Mark Bußgeldes in Ansatz, bei Zahlungsweigerung je einen Tag Haft. Die Gerichtskosten sollten sich beide mit 50% teilen. „Rufschädigung kann ich nicht erkennen“, beschied der Amtsrichter dem Kinobesitzer. „Die Geschichte ist doch in Radeberg im Umlauf, eine bessere Werbung können Sie sich doch nicht wünschen“.
Ob beide heirateten, konnte nicht ermittelt werden. Auf jeden Fall waren sie lange Zeit die bekanntesten Kinozuschauer.

haweger

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Kommentare (1)

omasigi im Dunkel wird gerne.....

Tolle Geschichte aus der Pionierzeit des Films, hab gerne gelesen.

omasigi

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