„Eine aus der Stadt verwiesene Frau erhält den Zehrpfennig“


„Eine aus der Stadt verwiesene Frau erhält den Zehrpfennig“

Historisches und Kurioses um den Zehrpfennig

Die älteste erhalten gebliebene Aufzeichnung hinsichtlich des Zehrpfennigs ist die aus der Radeberger Stadtrechnung von 1574/75. Am 19. Mai 1574 erhält Jan Schulze aus Kamenz, ein Radmachergeselle, 1 Groschen sogenanntes „Beschedgeldt“ als Zehrgeld. Schulze hatte einen Arbeitsunfall gehabt und musste nun als Arbeitsunfähiger durch die Lande ziehen. Der Groschen gerechnet zu 12 Pfennige ist sowohl als Zehrpfennig als auch als „Abzugsgeld“ zu verstehen. Schulze durfte sich nur eine Woche in Radeberg aufhalten und wird dann nach Großenhain oder Pirna geschickt. So war es damals Brauch. Das Geld wurde gegeben, damit das Bettlerwesen und die Kleinkriminalität nicht erst Fuß fassten.

Der Zehrpfennig ist urkundlich seit 1280 bekannt, in unserer Gegend ist er erstmalig im Meißner Urkundenbuch von 1410 erwähnt. Ein Sprichwort der damaligen Zeit sagte: „Ein guter Wirt müsse auf einen dreifachen Pfennig bedacht sein, auf einen Zehrpfennig, einen Ehrenpfennig und einen Notpfennig“. Das heißt also ein wandernder Geselle war durchaus im Wirtshaus willkommen, um ihn praktisch den Zehrpfennig abzunehmen. Zu den Rechtstatsachen Radebergs jener Jahre gehörte auch der Grundsatz, dass eine aus der Stadt verwiesene Frau einen Zehrpfennig erhält. Sie sollte damit wenigstens die erste Zeit ihre Notdurft an Essen und Trinken befriedigen können, womit wiederum der Bettelei zunächst im Weichbild der Stadt entgegentrat.

Natürlich gibt es um den „Zehrpfennig“ manches Anekdotische oder Kuriose.

Einen Volltreffer mit negativem Ausgang landete die Gemeinde Lomnitz im Jahre 1885. Da die durchwandernden Gesellen und Hausierer samt „ausländischen Bettelvolk“ über Hand nahmen, beschloss der Lomnitzer Gemeinderat, jedem Durchziehenden 1 Groschen zu geben, wenn er versprach, sich nach Erhalt aus Lomnitz zu entfernen. Das wurde zum Eigentor! Gab es 1884 im Frühjahr etwa 600 wandernde Gesellen hatte sich die Zahl allein für den April 1885 ergeben. Es sprach sich in Tippel- und Wanderkreisen herum, wie großzügig Lomnitz war. Man konnte ja dann am Abend zum Beispiel schon in Ottendorf das nächste Geld abfassen. Der Beschluss wurde im September 1885 wieder rückgängig gemacht. Jetzt wurde der Tagwächter beauftragt, die Leute „zu vertreiben“. Dafür wurde ihm eine Zulage von 30 Mark im Jahr gewährt.

Eine Polizeiaktion löste am 13. Oktober 1886 der aus Bischofswerda stammende Färbergeselle Höfgen aus. Er bat an der Wohnungstür eines Glasmachers um den Zehrpfennig. Die sechsjährige Tochter der Familie gab ihm in Abwesenheit der Eltern statt einem 2 Pfennigstück ein 10 - Mark-Stück. Als die Mutter nach einer Stunde nach Hause kam, bemerkte sie den Verlust und ging nach Befragung der Tochter sofort zur Polizei. Diese wiederum holte sich aus Klotzsche Verstärkung und alle 156 in Radeberg gemeldeten Handwerksburschen mussten sich noch am Abend auf der Polizeistelle am Markt melden. Das Mädchen erkannte den Färbergesellen wieder, doch dieser leugnete den Erhalt des Geldes. Die Kleidung wurde erfolglos durchsucht. Jedoch kam das 10-Mark-Stück beim Ausziehen der Strümpfe mit einem Pflaster festgemacht auf der großen Zehe zum Vorschein. Für den Färbergesellen gab es vier Tage Gefängnis. Jedoch hatte das Ganze auch für den Vater ein Nachspiel. Das Geldstück stammte aus einem Überfall in Dresden. Doch konnte er glaubhaft und mit Zeugen nachweisen, dass er dieses Stück in einem Kolonialwarenladen auf Radebergs Dresdner Straße eingetauscht hatte, „um es zu sparen“. Durch diese Aussage wiederum kam die Dresdener Kriminalpolizei einer Diebesbande auf die Spur kommen. Und das Alles wegen einem „Zehrpfennig“.

haweger

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Kommentare (2)

omasigi schilderst Du uns eine Geschichte wie frueher arbeitslosen Handwerkern geholfen wurde.

Aber nur unter Bedingung, das sie in de naechsten Ort weiterziehen. Das kann man sich heute praktisch gar nicht vorstellen.

omasigi
floravonbistram Ich habe Berge von alten Dokumenten aus unserer Familie mit Nebenzweigen. Für unsere Chronik durchstöbere ich alles und habe viel schon eingescannt. Manches muss ich fotografieren, weil die Dokumente zu groß für einen üblichen Scanner sind.
Passend zu Deinem Zehrpfennig habe ich mal etwas über Hausstandsgeld von 1853 herausgesucht.

anders(floravonbistram)


Leider hat ein Vorfahr von mir (Onkel?) mit Tesafilm auf der Sichtseite, statt von hinten geklebt, aber lässt sich nicht ändern

Ich schrieb dazu schon in meinem Googleblog
Hausstandsgeld in meinem Blog

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