„Grau ist keine Modefarbe!“


„Grau ist keine Modefarbe!“

Der zunehmende Verdienst in der Arbeiterschaft schuf neben der bereits existierenden Mode im bürgerlichen Bereich in den Jahren unmittelbar vor dem 1. Weltkrieg interessante Aspekte. Manches dürfte heute zum Schmunzeln anregen, so der Kampfruf „Grau ist keine Modefarbe!“ Anlass bot eine Modenschau mit einer Berliner Moderevue im Jahre 1912.Im Mittelpunkt stand die Verarbeitung des Mouline- Gewebes zu Kostümen für die Frau. Was bis dahin selten zu sehen war, wurde nun hier präsentiert mittels eines mehrfarbig gezwirnten Garns. Mindestens ein zweifarbiger Effekt entstand. Und so kamen auch Frauen aus dem Mittelstand und der Arbeiterschaft in den Genuss einer sich neu entwickelnden Kultur, die dann durch den Krieg unterbrochen wurde. In Radeberg waren es zweiundzwanzig selbständige Schneiderinnen, die die Interessentinnen in Kursen zur Selbstherstellung von Kleidung ihres Geschmacks schulten.

Die damalige Männerwelt sah das in ihrer Mehrheit noch sehr kritisch. Es ging dabei in erster Linie gar nicht mal um das liebe Geld, sondern um das erwachende Selbstbewusstsein der holden Weiblichkeit. „Die haben wohl zu Hause nichts zu tun?“, war eine häufig gestellte Frage an Männerstammtischen oder selbst in gewählten Kommunalvertretungen. Und die durchweg mit Männern besetzten Kirchenvorstände mahnten und mancher sah den Untergang des Abendlandes voraus.

Radeberg beschloss nach kurzer Diskussion eine Luxussteuer für Damenhüte, einem zweiten Kritikpunkt nach der Textilmode. Formuliert wurde nachstehender Text: Die Frage, wann ein Damenhut zum Luxus wird ist eine besonders verwickelte und erfordert umständliche Berechnungen. Der Hut ist ohne weiteres luxussteuerpflichtig, wenn er aus Brokat, Naturseide, Seidensamt oder geklebten Federn besteht. Sind noch andere Stoffe verwendet, so entscheidet über den Steuersatz der wertvollere Bestandteil. Es folgt dann die Anweisung, dass die einzelnen Teile in ihren Verkaufswert zu zerlegen sind, damit man die Steuersummen vergleichbar gestalten könne. Der Text schloss mit einem Beispiel. „Ist für einen Hut aus Seidenstoff eine Unterform aus Papier, Linon oder Svan für 15 Mark, Futter für 10 Mark, Seide für 25 Mark, an Arbeitslohn 20 Mark, an Unkosten und Gewinn 35 Mark berechnet, so unterliegt der Hut der Luxussteuer“. In der Stadt gab es zu dieser Zeit zwölf Hutgarnierinnen.

Da es manchem Stadtrat zu schwierig erschien, schlug man vor, den „Durchschnitts – Hutträgerinnen“ zu empfehlen, einfache graue Stoffhütchen zu tragen. Das führte zu verbalen Protesten und zur Gründung der Initiative „Grau ist keine Modefarbe!“ Eine Vereinsgründung konnte nicht bewerkstelligt werden, es fanden sich nicht genügend Männer, um als gesetzliche Vormünder ihrer „Vorstandsfrauen“ tätig zu werden, denn bis 1919 durften keine Frauen in Sachsen Vereine ohne ihre Männer gründen. Und wir schreiben das Jahr 1912. Den Höhepunkt erreichte das Ganze in den Zeiten der Fastnacht 1913 und 1914.

Jetzt war Pariser Mode Trumpf. Farbenträchtige Modenschauen Pariser Kreationen, vorgeführt von Berliner und Dresdener Damenrevues brachten die jungen Leute in die Gaststätten und ihre Säle. 2500 Besucherinnen in Radeberg, über 400 in Langebrück und etwa 300 in Ottendorf-Okrilla schufen eine nahezu ausufernde Lebensfreude. Um Verboten entgegenzuwirken, deklarierte man die Mehrzahl der Veranstaltungen als Karnevalsschau. Eine neue Lebensfreude in der weiblichen Emanzipation brach sich Bahn und der Siegeszug der Farbe bei den Textilstoffen begann.

haweger

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Kommentare (1)

Willy Ähnlich interessante Geschichten, nicht gaz so präzis wie deine, wusste meine Mutter zu erzählen. Sie war gelernte Hutmacherin.
b.G.
W.

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