„Sie kann kein Kalbfleisch mit Glößeln kochen und habe ein loses Maul!“


„Sie kann kein Kalbfleisch mit Glößeln kochen und habe ein loses Maul!“

Etwa 60 Vorgänge zum Rechtsalltag der Stadt Radeberg im Jahre 1744 sind in den bisher ältesten, noch vorhandenen, Gerichtsprotokollen der Stadtgerichtsbarkeit vorhanden. Unter dem Datum 20. April 1744 beginnt ein dreiwöchiges Gerichtsverfahren, das am 6. Mai 1744 mit dem Urteil endet: Zwei Tage Prangerstehen für Anna Maria Schiebling, Ehefrau des Zimmermanns Andreas Schiebling , und 13 Tage Fronfeste bei Wasser und Brot für die 15 jährige Tochter Anna Rosina. Das Stadtgericht sah es als erwiesen an, dass beide Frauen gegen das Städtische Gesindemandat verstoßen hätten.

Was war dem Urteil voraus gegangen? Am 20. April zeigt der in der Stadt tätige Jurist George Heinrich Voigt die 15 jährige Magd Anna Rosina Schiebling wegen Verlassens des Dienstverhältnisses beim Radeberger Stadtgericht an. In der Anzeige formuliert er, dass seine Frau Anfang April 1744 das Mädchen für ein Vierteljahr „im Sinne des Gesindemandats gemiethet habe.“ Sie sei jedoch in der Vorwoche einfach wieder nach Hause gegangen. Radebergs Gerichtsdiener hatte Schieblings aufgesucht und das Mädchen verwarnt. Anna Rosina hatte angegeben, dass sie wegen Zahnwehs nach Hause gegangen wäre. Da sie nicht zu Voigts zurückkehrt, kommt es zur Gerichtsverhandlung. Hier stellt sich die Mutter Anna Maria Schiebling vor ihre Tochter und gibt an, dass sie das Kind zur Heimkehr aufgefordert habe, denn die Dienstbedingungen wären untragbar. So müsse das Kind allein auf dem Boden schlafen, nicht einmal eine Kammer wäre ihr zugewiesen worden. Auch hätte sie wenige Kenntnisse zur Hauswirtschaft und wäre praktisch mit dem Dienst überfordert.

Ihre Dienstherrin stellt beiden Schieblings ein schlechtes Zeugnis aus. „Die Mutter wäre plötzlich aufgetaucht, die Tochter zurückverlangt und widerwärtige Worte gegen ihren Mann gerichtet. Das Mädel habe ein loses Maul, schlage mit den Türen, antworte nicht wenn sie gefragt würde und könne nicht einmal Kalbfleisch mit Klößen (hier geschrieben Glößeln) kochen“.

Zu ihrer Verteidigung gibt Anna Maria Schiebling an, dass die Dienstherrin gleich auf sie los gegangen wäre „und hält zehn Worte wenn ich eins sage“. Auf Nachfrage räumt sie ein, „die Tochter könne nicht viel machen, da sie stets schwach und dürfftig am Leibe sey“. Auch sei es ihr ungewohnt auf dem Boden allein zu schlafen. Der Ausgangspunkt sei jedoch gewesen, dass ihre Tochter ins Zimmer gestürmt sei, als der Herr Jurist mit seiner Liebsten allein sein wollte.“ Das Gericht entschied zunächst, da Aussage gegen Aussage stehe, Anna Rosina solle sofort den Dienst wieder aufnehmen, dann würde man von Strafe absehen

Am 5. Mai 1744 holte die Mutter ihre Tochter wieder vom Dienst und erklärte „sie gebe sie nicht mehr in den Dienst“. Schon am nächsten Tag berät das Stadtgericht erneut. Die Mutter erscheint allein vor Gericht und gibt an „Die Tochter sey erkrankt“. Sie hätte mit ihr nach Radebeul gehen müssen, da im Dienst der Tochter die „3. Ribbe“ verschoben worden wäre. Vermutlich war sie geschlagen worden, doch das Züchtigungsrecht sah das Gesindemandat vor. Das Stadtgericht sieht sich nicht in der Lage die Anzeige vom 20.April 1744 zurückzuweisen. Nun kommt es zum Eklat, die Mutter beschimpft die hohen Herren samt dem Stadtschreiber. Es fallen Worte wie „Hurensöhne, freches Lumpengesindel und falsche Muttersöhnchen“. Sie wird sofort verhaftet und zu zwei Tagen Pranger stehen verurteilt, ein Tag wegen Vergehens gegen das Gesindemandat, ein Tag wegen Missachtung des Gerichts. Radebergs Büttel wird nach Radebeul geschickt und muss die erkrankte Tochter zum Vollzug der Fronfestungshaft holen. Die Gerichtskosten von 8 Talern, 22 Groschen und 6 Pfennig muss die Familie Schiebling bis Michaelis 1744 entrichten. Frau Schiebling bittet um Ratenzahlung und bringt jeden Dienstag 22 einzelne Pfennige zum Gericht. Im Volksglauben damaliger Zeit galt, wer eine Rate über 21 Pfennig zahlt, ist unschuldig verurteilt worden.


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Kommentare (1)

omasigi geschah bis ins 19.Jh. hinein.
Von meiner Oma kenne ich den Ausdruck auch, sie war im Dienst.
Bei Deiner Geschichte finde ich aber interessant, dass vom Ehemann / Vater kein Wort erwaehnt wurde.

omasigi

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