Und freitags Fisch
Das war ja nun etwas ganz Ungewöhnliches:
Nämlich, dass wir vier wieder zusammen waren und auch alle zusammen am Mittagstisch saßen.
Wir: das sind meine Mutter, mein Bruder und ich – und neuerdings ein Mann, zu dem wir Vati sagen sollten.
Denn, es war zwei Jahre nach Beendigung des Weltkriegs, da war mein Vater plötzlich wieder da, allerdings mit nur einem Bein und sonst auch arg mitgenommen von den Folgen des aufgezwungenen Heldentums.

Bei uns gab es zu der Zeit seit fast einem Jahr freitags immer Fisch! Nicht weil wir katholisch oder was auch immer waren, sondern weil freitags ein Fischwagen auf der Straße bimmelte.
Meine Mutter wickelte den Fisch dann aus dem Zeitungspapier, legte ihn in den Backofen, streute ein bisschen Pfeffer und Salz drüber und zerdrückte eine halbierte Tomate darauf. Jo!
Dann wartete sie, bis es halb zwölf war und stellte den Backofen an.
Und eine Stunde später saßen wir alle in Erwartung dessen, was da auf uns zukam, am Esstisch.
Eigentlich kann man nicht sagen „in Erwartung“, denn wir wussten ja, was das war.
Meine Mutter nahm einen Topflappen, holte das Backblech aus dem Ofen und verteilte den Fisch auf unseren Tellern. Der Fisch war etwas vertrocknet und an den unteren Rändern etwas dunkel verkrustet. Aber oben drauf thronte die halbe Tomate, dunkelbraun, ziemlich eingeschrumpelt, aber immerhin noch größer als eine Rosine.
Meine Mutter schob das Blech wieder in den Ofen, setzte sich und schaute uns an.
Es entstand eine ziemlich lange Pause!
Dann munterte sie uns auf: Nun langt doch schon zu!
Wieder eine Pause!

Dann machte sie den ersten Fehler.
Sie guckte meinen Bruder an und fragte – vielleicht etwas zu schnippisch:
Du magst wohl meinen Fisch nicht!?
Der, 14jährig, schon etwas pubertierend, aber auf jeden Fall mitten in der Phase der Selbstfindung und Selbstverwirklichung:
Nö!
und guckte sich triumphierend, aber etwas unsicher, um, vor allem aber überrascht von seinem eigenen Mut.
Meiner Mutter verschlug es die Sprache.

Und dann machte sie ihren zweiten Fehler.
Etwas hilflos sah sie in die Runde. Dann fiel ihr Blick auf mich.
Ich weiß nicht warum, aber sie ordnete mir so einige hehre Eigenschaften zu, so etwas wie wohlerzogen, hilfsbereit, freundlich, entgegenkommend und was noch alles. War ich eigentlich auch, zu mindestens zu Hause. Außerdem war ich mit den pubertätsbedingten Schrecknissen wohl so ziemlich durch.
Also fixierte sie mich:
Und Du? Ihr habt das doch immer gerne gegessen. Magst Du das auch nicht?
Die Antwort fiel mir leichter als gedacht:
Nö!
Diesmal war die Pause etwas länger. Man merkte, wie es in ihr arbeitete. Irgendwie tat sie mir leid und ich fühlte mich ein bisschen schuldig.

Und dann machte sie ihrem dritten Fehler!
Sie wandte sich an unseren Vater:
Und Du, Vati (sie sagte doch tatsächlich „Vati“)? Magst Du das auch nicht?
Ob das nun die Solidarität mit seinen neuen Söhnen war? Oder ergriff er einfach nur eine gute Gelegenheit, um ohne größere Nachteile seiner Meinung zu äußern
– er sagte:
Nö!
Erschrocken sahen wir unseren Vater, dann meine Mutter. Die saß zuerst ganz still da, fummelte an ihren eigenen Fingern herum, als wüsste sie nicht, wohin damit. Sie fing leise an zu weinen, und stützte ihr Gesicht in die Hände. Dann stand sie langsam auf, fand ihr Taschentuch, zog einmal die Nase hoch, ging zur Tür und machte sie ganz leise hinter sich zu.
Wir saßen ganz erstarrt vor den Fischtellern und schoben sie wie auf Kommando von uns weg. Irgendwann stand unser Vater auf, schnappte sich seine Krücken und verschwand. Mein Bruder und ich kippten den Fisch nach draußen vor die Tür für die Katzen, die hier immer herumlungerten. Dann begannen wir zu putzen. Alles. Den Herd, das Geschirr und die ganze Küche. Als wir fertig waren, setzten wir uns raus und guckten den Katzen zu, die sich um den Fisch prügelten.
Nach einer Stunde kam mein Vater wieder, stellte seine Krücken in die Ecke und hüpfte durch die Gegend.
Dann verkündete er:
Kaffee!
und klemmte sich die Kaffeemühle zwischen das heile Bein und den einen Oberschenkel. Wir deckten den Tisch so schön wie zu einem Geburtstag.
Als alles fertig war, wir aber keinen Kuchen hatten, haben wir Weißbrotscheiben mit Sirup bestrichen. Und gewartet. Und gewartet. Schließlich klemmte sich unser Vater die Krücken unter den Arm und verschwand. Mein Bruder hatte schon die Hälfte vom Sirup wieder vom Brot geleckt, als wir unseren Vater mit den Krücken rumpeln hörten. Schnell haben wir neuen Sirup aufs Brot geschmiert und alles wieder zurecht geschoben. Dann erschienen sie. Meine Mutter sah gar nicht mehr so verheult aus. Als die Sirupbrote aufgegessen waren und eine gewisse Leere eintrat, schaute uns unsere Mutter uns lange an und sagte:
Ich mochte den Fisch auch nicht!
castellanos







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Kommentare (3)

werderanerin und zum Glück kenne ich diese Zeit auch nur aus Erzählungen, das blieb mir alles erspart..., aber man kann sich schon vorstellen, wie Muttern "stolz" darauf war und euch immer und immer wieder Fisch vorsetzte in der bangen Hoffnung, er schmeckt...

Fazit und das Muster gilt doch auch heute noch, man sollte mehr miteinander kommunizieren, hilft ungemein!

Kristine
ehemaliges Mitglied Herrlich deine Geschichte. Vielleicht auch deswegen so amüsant, weil sich bei mir zu Hause Ähnliches abspielte - nur mit dem Unterschied - dass immer alles gegessen wurde, was auf den Tisch kam. Und wenn nicht ? Dann gab es dasselbe Essen am Abend wieder. Oh Gott, es war nicht immer schön, die gute alte Jugendzeit …
FranzFink
lillii es ist einfach erfrischend, Deine Geschichten lesen zu dürfen,
Ich bedanke mich.

Gruß lillii

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