Unser Familienpfiff


Unsere Eltern lernten sich 1928 in Berlin kennen. Man begegnete sich in der Bücherei des Abendgymnasiums, das der „Olle Wertheim“ gegründet und gesponsert hat. Vater bediente in der Hausbücherei und Mutter lieh sich als angehende Bibliothekarin dort immer wieder Bücher aus. Man kam sich näher und besuchte dann gemeinsam einmal einen Film, in dem die Melodie und die Handlung zum Lied der Wolga-Schlepper drin vorkamen.

http://de.wikipedia.org/wiki/Lied_der_Wolgaschlepper

Schon als Kinder lernten wir den Pfiff kennen: „Zieht euch warm an!“ (und nicht mit eingeschlossen geht der Song weiter: „denn die Kälte greift den Arm an“).

„Zieht euch warm an!“ – Warum gerade diese Melodie? Zum einen war der Film gerade herausgekommen. Er passt so zu Mutter, sie, die 1909 in Moskau geboren, mit den Eltern (unseren Großeltern) als Austauschgefangene nach Berlin deportiert wurden.

„Zieht euch warm an!“ – am 3.Februar 1929 verlobten sich die Beiden (irgendwo in einem Berliner Park) in eisiger Winterkälte. Exakter kann es nicht sein. Dieser eine Takt. Macht unseren Familienpfiff aus.

„Zieht euch warm an!“ – sommers hat dieser Aufruf nur die Aufgabe, uns im Wald beim Pilze suchen zu orientieren. Und anderswo, in menschlichem Gewühl konnte man in die Richtung schauen, von wo der Pfiff kam.

„Zieht euch warm an!“ – wenn dieser Pfiff die Straße herauf kam, dann wussten wir: es kommt einer der Unsrigen. So meldeten wir uns ebenso, wenn es in Bonn die Kreuzbergallee hinauf zum Garten der Eltern ging.

ortwin

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Kommentare (4)

tilli kann in jedem von uns die Bilder der Kindheit erwecken.
Meine Eltern sangen immer das Lied von schönem Rhein
"Oh wie ist es am Rhein so schön" Damals hätte ich nie zu träumen gewagt, dass ich einmal nach vielen Jahren an den Rhein ziehen werde.
Danke für diesen Blog.
Grüße Tilli
erafina den mein Vater in die Familie einbrachte -
ich habe ihn Jahrzehnte nicht mehr gehört
aber immer noch im Ohr.

Eine schöne Erinnerung


erafina
ortwin Wer erinnert sich noch an den Rhythmus des Stopfens der Schottersteine mit dem Pickel, wenn eine Rotte der Gleisarbeiter in der Strecke die Arbeit gebeugt verrichtete ... und dann der Vorarbeiter auf der Schalmei vor dem sich nähernden Zug warnte?!
Vorbei das Treideln, vorbei das Schlagen auf die Schottersteine!

Es gibt eben nur noch den Gesang in marschierenden Truppen, wenn sie ohne Musikkorps unterwegs sind - ich habe einmal beim Rückmarsch vom Truppenübungsplatz Heuberg (Schwäbische Alb) den "River Quai Marsch" angestimmt: wir hatten Mühe, bei dem Glatteis uns samt Gepäck auf den Beinen zu halten. Alle haben mitgepfiffen, erleichtert. Wir müden "Krieger" kamen heil nach 7 km "Talfahrt" am Bahnhof an.

ortwin
Traute So haben Familien ihr speziellen Traditionen, die anderen fremd und exotisch vorkommen mögen, erworben und damit den Zusammenhalt der Familie demonstriert.
Es ist ein Rhythmus in dem Lied, der sicher dem Schrittmaß der Schlepper angepasst ist.
Wie bei den alten Schiffsbesatzungen der Shanty zwei Aufgaben hatte. Einmal den Gleichtakt der Anker-Hochholer zu dirigieren und gleichzeitig das Los des Seemannes zu beschreiben.
Deine Familie ist groß und da ist es gut für den Zusammenhalt solche Rituale zu bewahren, denn es hat sich bei jedem eine eigene Persönlichkeit mit unterschiedlichen Bedürfnissen gebildet. So muss etwas gemeinsames gefördert werden, um weiterhin Kontakt zu halten.
Interessant, wie verschieden wir alle sind und wie gleich.
Mit freundlichen Grüßen,
Traute

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